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"Zero Waste braucht nicht mehr Zeit": Wie du ganz unkompliziert Müll reduzierst

Unverpackt-Läden machen das Leben für Shia deutlich einfacher – aber auch wenn man keinen solchen Laden um die Ecke hat, kann man Müll sparen, sagt sie.
Unverpackt-Läden machen das Leben für Shia deutlich einfacher – aber auch wenn man keinen solchen Laden um die Ecke hat, kann man Müll sparen, sagt sie.Bild: screenshot wastelandrebel.com
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"Zero Waste braucht nicht mehr Zeit": Wie du unkompliziert deinen Müll reduzierst

03.08.2020, 18:20
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455 Kilo Haushaltsmüll produziert jeder von uns in Deutschland durchschnittlich im Jahr – das ist mehr als ein Kilo am Tag. Klar, der abgepackte Salat, die Chipstüte, die leere Shampoo-Flasche, der Kaffee-To-Go-Becher oder der ausgelöffelte Joghurtbecher verschwinden nicht einfach im Nirgendwo. Mit jeder Mahlzeit und jedem Einkauf wächst unser persönlicher Müllberg.

Zumindest bei den meisten von uns. Denn dann gibt es da auch noch Menschen wie Shia Su. Die Bloggerin und Buchautorin hat 2014 zusammen mit ihrem Mann angefangen, ihren Müll zu reduzieren – mittlerweile produzieren sie nur noch eine Handvoll im Jahr. Shia sagt:

"Alles eine Sache der Gewohnheit, teurer und zeitintensiver ist das Leben ohne Müll nicht."

Regelmäßige Einblicke in ihr (fast) müllfreies Leben gibt Shia auf ihrem Blog Wastelandrebel und auf Instagram. Im Interview mit watson erklärt die Bloggerin, wie wir einfach und unkompliziert Müll vermeiden können, warum sie nie wieder Klopapier benutzen möchte – und wie ein einfaches Stück Seife ein ganzes Kosmetikregal ersetzen kann.

watson: Der Müll, den du und dein Mann in einem Jahr verursachen, passt in ein Einmachglas. Wie lange hat es gedauert, bis ihr da hingekommen seid?

Shia Su: Na ja, das stimmt nicht ganz. Die Menge an Müll schwankt immer etwas, je nach Lebensumständen. Im vergangenen Jahr haben wir jeder ein Glas voll Müll produziert.

Trotzdem sportlich – andere verursachen an einem einzigen Tag so viel Müll.

Ja, irgendwann ist das Leben ohne Müll einfach zur Gewohnheit geworden, die meiste Zeit laufe ich auf Autopilot. Ich würde aber sagen, dass es ungefähr 1,5 Jahre gedauert hat vom Zeitpunkt, als wir anfingen hier und da Müll zu vermeiden, bis wir den Müll letztlich in ein Einmachglas bekamen. Das hatten wir bei anderen Zero Wastern gesehen. Und wenn Zero Waster etwas zu Hause haben, dann sind es Einmachgläser!

"Eigentlich hatten wir nie geplant, Zero Waste so auf die Spitze zu treiben. Das hat sich einfach so ergeben."

Gab es einen konkreten Anlass dafür, dass ihr gesagt habt: Wir wollen müllfrei leben?

Wir wollten immer schon nachhaltiger leben, aber im Studium haben wir uns eingeredet, wir hätten kein Geld dafür. Aber als wir dann gearbeitet haben, war das immer noch nicht der Fall. In der Kantine auf der Arbeit gab es damals kaum vegetarische Gerichte, also habe ich mir meistens auf dem Weg zur Arbeit im Supermarkt einen abgepackten Salat geholt – das hat mich todunglücklich gemacht. Ich habe zu meinem Mann gesagt: So will ich nicht bis zur Rente weiterleben.

Also habt ihr alles umgekrempelt?

Genau, ich habe meinen Job gekündigt, wir sind in eine andere Stadt gezogen und ich bin erstmal kellnern gegangen. Ich habe von vegetarisch auf vegan umgestellt. Wir haben uns verkleinert, sind minimalistischer geworden. Und als ich dann einen Beitrag über eine Zero-Waste-Familie gesehen habe, ist mir aufgefallen, wie viel Müll wir produzieren. Eigentlich hatten wir aber nie geplant, es mit dem Zero Waste so auf die Spitze zu treiben. Das hat sich einfach so ergeben.

Was habt ihr als erstes getan, um Müll zu vermeiden?

Wir waren gerade umgezogen und haben uns geärgert, dass wir so viel mit in die neue Wohnung geschleppt haben. Viele der Lebensmittel waren schon abgelaufen, wir hätten unsere Vorräte aufbrauchen sollen. Also haben wir gesagt: Kaufstopp – wir brauchen erst auf, was wir haben und kaufen nur, was wir wirklich brauchen. Und weniger und bewussterer Konsum heißt auch weniger Müll. Darauf sind wir in den Bio-Laden gegangen, von dem wir früher dachten, wir könnten ihn uns nicht leisten, und stellten fest: Es geht doch.

Ist es nicht teurer, unverpackte Produkte aus dem Biomarkt zu kaufen, anstatt einfach in den Supermarkt zu gehen?

Nein, eher im Gegenteil: Man kauft weniger unnötige Sachen und konzentriert sich auf das Wesentliche. Dann hat man auch genug Geld übrig, um das in gute Produkte zu investieren.

Du sagst, Müllvermeidung ist unkompliziert. Das klingt erstmal wie ein Widerspruch – ich muss ja viel mehr vorausplanen und mitdenken, wie wenn ich einfach spontan kaufen kann, was mir über den Weg läuft…

Wenn es einmal sitzt, braucht man nicht mehr Zeit. Wir kaufen einmal in der Woche frisches Obst und Gemüse, alle vier bis acht Wochen füllen wir Trockenware im Unverpackt-Laden auf. Damit verbringen wir weniger Zeit zwischen Ladenregalen als vorher. Ich habe früher auf dem Heimweg von der Arbeit eingekauft und dann Zuhause gemerkt, dass es manche Sachen doppelt und dreifach gibt und andere fehlen. Somit musste ich am nächsten Tag wieder los.

Eigentlich hatte Shia Su gar nicht vor, das Zero-Waste-Konzept auf die Spitze zu treiben. Doch jetzt passt ihr Müll eines gesamten Jahres doch in ein Einmachglas.
Eigentlich hatte Shia Su gar nicht vor, das Zero-Waste-Konzept auf die Spitze zu treiben. Doch jetzt passt ihr Müll eines gesamten Jahres doch in ein Einmachglas.Bild: screenshot wastelandrebel.com

Nicht nur beim Einkaufen fällt viel Müll an, auch im Badezimmer stapeln sich oft Tiegel und Tuben. Welche Produkte kann man hier einfach durch abfallfreie und natürliche Alternativen ersetzen?

Ich bin ein großer Fan der Olivenölseife, die hat ganz viel ersetzt. Natürlich ist sie unsere Handseife, sie ist aber auch unser Duschgel und ich wasche mir damit das Gesicht. Ein Stück Seife liegt außerdem als Spülmittel neben der Spüle und manchmal mache ich auch Waschmittel daraus. Man kann mit der Olivenölseife auch Blattläuse bekämpfen oder im Schrank die Motten vertreiben. Und sie ist eine super Rasierseife.

Und abgesehen von der Olivenölseife?

Zum Eincremen nutze ich Bio-Öle aus der Küche. Ich benutze hauptsächlich Rapsöl, das mische ich manchmal mit etwas Kokos- oder Olivenöl. Mit dem Öl kann man sich auch wunderbar abschminken. Statt Einweg-Wattepads habe ich dafür auch Baumwoll-Stoffpads, die ich immer direkt auswasche. Zum Zähneputzen haben wir Bambus-Zahnbürsten und Zahnputztabs. Und als Peeling für Gesicht und Körper nehme ich Kaffeesatz, das ist genial.

"Wir haben mit Blick auf den Klimawandel nicht den Luxus zu sagen, entweder oder – wir müssen alle etwas tun, und zwar so schnell wie möglich."

Hast du trotzdem ein Guilty Pleasure, ein konventionell verpacktes Produkt, auf das du nicht verzichten magst?

Es gibt immer wieder Dinge, die ich in Plastik verpackt kaufe, aber was das ist, ändert sich. Als wir anfingen, hatte ich noch knallbunte Haare, die ich alle zwei Wochen nachfärbte. Und kürzlich habe ich mein Fahrrad aufgerüstet, das Fahrradlicht war auch in Plastik eingepackt. Wenn ich etwas brauche, kaufe ich es. Nur eben keinen billigen Schrott, sondern langlebige Dinge, die wieder dauerhaft Müll einsparen.

Ihr verzichtet sogar auf Toilettenpapier und benutzt stattdessen ein Bidet. Wie reagiert euer Umfeld auf solche eher unkonventionellen Ansätze?

Wir bekommen für unseren Lebensstil wirklich alles an Reaktionen. Gerade meine Mutter fand am Anfang vieles ganz schrecklich. Aber jetzt geht sie selbst mit Gemüsenetzen einkaufen und kauft mehr vegan – es färbt ab. Das mit dem Klopapier ist schon ein Schocker, aber da gibt es für uns kein Zurück. Das hat auch nicht nur mit Zero Waste zu tun. Wir waren im Studium ein Jahr in Japan im Auslandssemester und haben dort die Hightech-Bidets kennengelernt. Und wir haben gemerkt: Das ist viel hygienischer als Klopapier.

Als ihr 2014 mit Zero Waste angefangen habt, war das Thema in Deutschland wenig bekannt und es gab noch kaum Unverpacktläden…

Ja, es gab damals nur einen Laden in Kiel und einen in Berlin – und wir haben in Bochum gelebt. Also fragten wir beim Bäcker, ob wir die Brötchen direkt in den mitgebrachten Beutel bekommen können. Und wir fragten im Bio-Laden, wie wir ökologischer leben können. Dort lernten wir zum Beispiel, dass es gegen die Hygienevorschriften verstößt, wenn wir unsere mitgebrachte Box hinter die Frischetheke geben. Aber wenn wir sie auf die Theke stellen und die Produkte dann eingefüllt werden, ist das okay. Ein Bio-Laden hat dann extra eine Zapfanlage für Müsli installiert und irgendwann mit Reis und Nudeln erweitert. Und wir haben Großbestellungen aufgegeben und mit anderen Leuten geteilt.

Wie sieht es inzwischen aus? Ist die Zero-Waste-Community eine kleine Bubble, oder hast du das Gefühl, das Thema kommt mehr und mehr in der Mitte der Gesellschaft an?

Ich privat lebe bestimmt ein bisschen in einer Bubble. Aber ich habe auf meinem Blog eine Zero-Waste-Karte, auf der alle Unverpackt-Läden verzeichnet sind. Als ich 2014 anfing, gab es zwei Läden, jetzt sind es im deutschsprachigen Raum fast 300! Da tut sich gesamtgesellschaftlich etwas, denn wenn es nur eine kleine Bubble wäre, würden sich die Läden nicht halten. Auch die Berichterstattung über Zero Waste und Recycling hat zugenommen, Nachhaltigkeit hat einen größeren Stellenwert bekommen.

"Im Alltag kann man sich einfach mal sagen: Die eingeschweißte Gurke kommt mir heute nicht in den Salat."

Das klassische Argument für viele ist aber noch immer, dass ein Leben ohne Müll praktisch unerreichbar ist. Muss sich auf politischer Ebene mehr tun, damit es uns leichter fällt, weniger Müll zu verursachen?

Es gibt ja häufig die Diskussion: Muss der Einzelne etwas ändern oder die Politik und Industrie? Wir haben mit Blick auf den Klimawandel nicht den Luxus zu sagen, entweder oder – wir müssen alle etwas tun, und zwar so schnell wie möglich. Wenn jeder innerhalb seiner Möglichkeiten das macht, was er kann, ist schon viel gewonnen.

Welchen Tipp würdest du jemandem geben, der sich noch nicht wirklich mit Zero Waste beschäftigt hat aber damit anfangen möchte, weniger Müll zu produzieren?

Im Alltag kann man sich einfach mal sagen: Die eingeschweißte Gurke kommt mir heute nicht in den Salat. Und man kann überall im Rucksack und in den Jackentaschen Stoffbeutel deponieren, sonst vergisst man die nämlich. Leute, die ein bisschen schüchterner sind, können außerdem vor allem im Bad anfangen, Müll einzusparen: Ein Stück Seife bekommt man schließlich überall. Wer kommunikativer ist, kann im Laden um die Ecke nachfragen, ob er Sachen aus der Frischetheke in eine mitgebrachte Dose tun kann, oder ob er seinen eigenen Kaffeebecher mitbringen darf. Und dann gibt es natürlich auch Müllsammelaktionen oder zivilgesellschaftliche Initiativen.

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