Leere Straßen, geschlossene Läden, stundenlange Video-Calls: Gefühlt eine halbe Ewigkeit liegt der Lockdown zurück, der Deutschland stillstehen ließ. Ganz so drastisch wie im Frühjahr soll es dieses Mal, während der zweiten pandemischen Welle, nicht werden: Am Mittwoch trifft sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit den Länderchefs, um über einen "Lockdown light" zu beraten. Der Maßnahmenkatalog, den Angela Merkel mit an den Tisch nehmen will, hat es in sich und erinnert stark an das, was Deutschland im Frühjahr erlebte – soll aber nur für eine kurze Zeit gelten.
Sollte dieser "Lockdown light" in Kraft treten, würde das bedeuten, dass Bars und Restaurants wieder schließen, der Einzelhandel in seinen Öffnungszeiten beschränkt wird, Kitas und Schulen aber offen bleiben – vorausgesetzt, das Infektionsgeschehen artet nicht zu sehr aus. Dann könnten auch Erziehungs- und Bildungsstätten geschlossen werden.
Ob Merkels Plan Sinn ergibt und wen selbst ein "Lockdown light" hart treffen würde – darüber hat watson mit dem Epidemiologen Timo Ulrichs gesprochen. Er unterrichtet an der Akkon-Hochschule in Berlin.
watson: Der "Lockdown light" würde vor allem die Gastronomie treffen. Wäre es angesichts des Infektionsgeschehens sinnvoll, alle Bars und Restaurants zu schließen, unabhängig davon, ob sie ein Hygienekonzept haben?
Timo Ulrichs: Wir sollten zwar noch abwarten, bis wir nach der Zeitverzögerung von sieben bis zehn Tagen die Effekte der Verschärfung der bereits bestehenden Maßnahmen sehen. Aber angesichts der epidemiologischen Dynamik ist fraglich, ob wir noch die Zeit dafür haben. Deshalb wäre ein (mindestens) zweiwöchiger Lockdown sinnvoll, von dem Schulen, Kitas und Einzelhandel ausgenommen sind, der aber vor allem Einrichtungen beträfe, die direkte Kontakte fördern, also Veranstaltungen und Gastronomie beispielsweise.
Konnten bisher viele Ansteckungen in öffentlichen Bars und Restaurants nachgewiesen werden?
Die Studienlage ist uneinheitlich, aber umgekehrt gibt es viele Einzelberichte von Superspreaderereignissen, an denen immer auch die Gastronomie beteiligt war.
Schulen und Kitas sollen auch bei einem leichten Lockdown weitestgehend offen bleiben. Ist das angebracht? Welche Rolle spielen Kinder und Jugendliche als Treiber der Pandemie?
Nach allem, was wir wissen, sind sie der Endpunkt der Infektionskette. Auch in Kitas wird das Virus vor allem durch die Erwachsenen eingebracht.
Wie sinnvoll ist es, den Einzelhandel offenzuhalten? Bleibt in einigen Geschäften die Kundschaft aus, laufen Kosten wie Strom weiter, manche Waren könnten verderben.
Von den wirtschaftlichen Aspekten abgesehen, spricht epidemiologisch wenig dagegen, den Einzelhandel offenzuhalten, wenn gute Hygienekonzepte eine sichere Handhabung gewährleisten.
Bräuchten wir einen "Lockdown light", wenn wir unser soziales Verhalten entsprechend anpassen würden, also soziale Kontakte extrem beschränken und ein Kontakttagebuch führen beispielsweise? Was können wir konkret tun, um weitere Lockdowns zu vermeiden?
Ein jetzt diskutierter Lockdown zielt vor allem darauf ab, die persönlichen Kontakte um mindestens 50 oder 75 Prozent zu reduzieren. Wenn das von selbst, also in eigener Verantwortung, ginge, bräuchten wir ihn nicht.
(ak)