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Wegen Staatskritik in einem Rap-Video: Bayern setzt Lehrer unter Druck

Lea-Won heißt mit bürgerlichem Namen Lion Haebler und wollte Lehrer im bayerischen Staatsdienst werden.
Lea-Won heißt mit bürgerlichem Namen Lion Häbler und wollte Lehrer im bayerischen Staatsdienst werden.Foto: Kai Neunert
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Wegen Staatskritik in einem Rap-Video: Bayern setzt Lehrer unter Druck

14.12.2019, 08:3514.12.2019, 10:34
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Wie staatstreu muss ein Lehrer sein? Der bayrische Freistaat ist offenbar der Ansicht: sehr. So wurde der Lehramtsanwärter Lion Häbler von den Behörden unter Druck gesetzt, weil sie ein 13 Jahre altes Rap-Video von ihm auf Youtube fanden. Darin äußert der Münchner unter seinem Alter Ego Lea-Won zugespitzte und teilweise polemisch formulierte Kritik an Staat, Behörden und der CSU.

Wie alles begann

Die Geschichte beginnt im September: Häbler wechselt im Rahmen seiner Ausbildung an eine Münchner Mittelschule. Der zuständige Seminarleiter bittet ihn zum Gespräch. Er fordert ihn im Vorfeld auf, etwas früher zu erscheinen, um "noch einige Sachen" zu besprechen. Relativ schnell wird klar, wohin die Reise geht. Der Beamte möchte offenbar, dass Häbler den Song "Ausbürgerungsantrag", den er auf Youtube gefunden hat, löscht.

Häbler erzählt die Geschichte gegenüber watson so: "Seine Ansage war klar: 'Meine Aufgabe als Seminarleiter ist es, alles in meiner Macht stehende zu tun, dass Sie nicht verbeamtet werden, wenn ich nicht den Eindruck habe, dass Sie dahingehend Schritte gehen, Ihr öffentliches Auftreten so anzupassen, wie das von bayrischen Beamten gefordert ist.'"

Bayern schafft sich ab

Häbler ist überrascht. Zumal der Song, um den es geht, seiner Ansicht nach nicht zu seinen radikalsten zählt.

Tatsächlich ist der Text, der im Internet zu finden ist, eher harmlos. Keine Gewaltaufrufe, keine Drohungen, dafür viel "No Nation, No Border". Die womöglich radikalste Zeile fordert die Abschaffung von Bayern – sowie aller anderen Länder und Staaten auch. Im Grunde ist der ganze Text eine klassisch liberale Kritik an staatlichem Handeln: 'Schaut mal, ihr vertretet doch angeblich diese Grundwerte, aber handelt nicht danach.'

Soweit, so staatsungefährdend. Was aber stört den Freistaat an diesem Song so sehr? In einem Schreiben der Regierung von Oberbayern an Häbler, das watson vorliegt, heißt es:

"Selbst unter großzügiger Auslegung der Gewährung künstlerischer Freiheit sind einzelne Textpassagen aus verfassungs- und beamtenrechtlicher Sicht äußert fragwürdig."
Aus einem Schreiben der Behörden an Lion Häbler

Was ist eigentlich Staatskritik?

Im Brief der Behörden wird der Lehramtsanwärter dann aufgefordert, sämtliche Inhalte, die in irgendeiner Weise staatskritische Haltungen zum Ausdruck bringen, zu löschen.

Doch warum eigentlich? Staatskritik sollte in einer Demokratie nicht nur erlaubt sein, sie ist sogar wünschenswert. In einem Papier des bayrischen Bildungsministeriums von 2016 zum Thema "Oberste Bildungsziele" heißt es: "Zu selbstständigem kritischem Urteil, eigenverantwortlichem Handeln und schöpferischer Tätigkeit befähigen".

Häbler macht das ratlos. Er fragt sich: "Darf ich auf Instagram keine Bilder von Demontrationen posten, etwa von #ausgehetzt? Darf ich keine Satire vom Bayerischen Rundfunk über die Kreuzverhängungsverordnung mehr posten – ist das schon staatskritisch?"

Sieht so der Staatsfeind Nr. 1 aus?
Sieht so der Staatsfeind Nr. 1 aus? Bild: Kai Neunert

Zweifel an freiheitlich-demokratischer Gesinnung

Wir wollen es genau wissen – und fragen bei der Behörde nach. Auf unsere Anfrage teilt die Regierung in Oberbayern mit, die Pflicht zur Verfassungstreue schließe nicht jede Kritik am Staat aus.

Aber:

"Die Grenzen einer sich im Rahmen der Verfassung haltenden Kritik werden überschritten, wenn die freiheitlich demokratische Grundordnung offen als nicht erhaltenswert bezeichnet wird."
Verena Gros, Regierung von Oberbayern gegenüber watson

Folgende Zeilen stören die Behörde demnach explizit:

  • "Doch Deutschland als solches verdient weder Respekt noch Ehre"
  • "Schwarz-Rot-Gold reimt sich immer noch (...) auf Hakenkreuz…“
  • "Eigentlich bin ich für kein Land – doch als allererstes für die Abschaffung von Bayern“

Für die Behörde offenbar ausreichend, um zu hinterfragen, ob sich Häbler noch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung bekenne und für deren Einhaltung eintrete.

Dem widerspricht Häbler. "Das von der Behörde angeführte Zitat 'Scheiß auf eure Sitten und Werte' bezieht sich auf die inhaltsleeren Floskeln und Doppelstandards." Bayern sei bekanntlich CSU-regiert und die CSU vermische Religion und Staat. Damit mache sie genau das, was sie bei anderen kritisiere.

"Ich zeige nur die Doppelmoral auf und greife Machtverhältnisse an, zeige auf, dass Werte und Sitten von Machtverhältnissen abhängen."
Lion Häbler über seinen Song "Ausbürgerungsantrag"
Bekennt er sich zur FDGO oder nicht? Häbler sagt: Ja.
Bekennt er sich zur FDGO oder nicht? Häbler sagt: Ja.Bild: Kai Neunert

Fatale Folge des Rechtsrucks?

Häbler hat seine eigene Theorie, was die Beweggründe für das strikte Vorgehen der Behörden sein könnten. "Die hatten Angst, dass Eltern das Video entdecken könnten. Zum Beispiel AfD-Wähler", sagt er.

"Es ging vor allem darum: Was könnten AfDler daraus machen? Schaut mal, die CSU ist zu weich, zu linksgrünversifft, die holt Lehrer mit Antifa-Vergangenheit."
Häbler über die Motive der Behörde für das strikte Vorgehen gegen ihn

Häbler reicht es

Häbler hat die Konsequenzen für sich gezogen – und selbst gekündigt. Beziehungsweise: ein Entlassungsgesuch an seinen Dienstherren geschickt. Diesem wurde stattgegeben. Einen neuen Job hat er auch: Häbler unterrichtet inzwischen an einer privaten, nicht-staatlichen Schule. Die ist über den gesamten Vorfall inklusive Video im Bilde.

Das bedeutet natürlich auch: Häblers Beamtenstatus ist futsch. Aber Häbler geht es um Grundsätzliches : "Die beruflichen Nachteile werden nicht von dem Nachteil aufgewogen, jede staatskritische Haltung löschen zu müssen", ist er sich sicher.

Außerdem hat er sich damit auch mehr Beinfreiheit verschafft: "Das Beenden des Dienstverhältnisses war ein Befreiungsschlag, denn so verstoße ich nicht gegen Dienstrecht, wenn ich das öffentlich mache." Den strittigen Song hat er inzwischen in einer neuen Version hochgeladen – acapella und mit der Aufforderung an alle, die Lust haben, selbst einen neuen Beat darunter zu legen.

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