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Corona-Zahlen bei jungen Menschen am höchsten: Warum, erklärt ein Epidemiologe

Vor allem junge Menschen stecken sich laut RKI-Zahlen mittlerweile mit Corona an. (Symbolbild)
Vor allem junge Menschen stecken sich laut RKI-Zahlen mittlerweile mit Corona an. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / Berezko
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"Kommen immer mehr jüngere Patienten auf Intensivstationen": Warum sich junge Menschen am häufigsten mit Corona anstecken

15.04.2021, 19:2725.04.2021, 11:00
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Covid-19 sei eine Krankheit für alte Männer, wurde zu Beginn der Pandemie noch zynisch gewitzelt. Tatsache ist, dass die Lungenkrankheit, die vom neuartigen Coronavirus ausgelöst wird, tatsächlich schwerer bei Personen über 65 und bei Männer verläuft. Bei jüngeren Menschen ohne Vorerkrankung zeigten sich bislang größtenteils eher milde oder gar keine Symptome.

Besonders verheerend waren in diesem Zusammenhang auch schwere Corona-Ausbrüche in Pflegeheimen, die meist ältere Bewohner getroffen haben, oft auch tödlich. Um ältere Mitbürger und Risikopatienten zu schützen, werden sie bei der Impfkampagne seit Dezember 2020 priorisiert. Sofern junge Menschen in keinem systemrelevanten Beruf arbeiten, müssen sich noch gedulden, bis sie ihre erste Impfung erhalten.

Vor allem junge Menschen stecken sich mit Corona an

Mittlerweile stecken sich allerdings immer mehr Menschen zwischen 20 und 35 mit Sars-Cov-2 an: Besonders die 20- bis 24-Jährigen sind laut Daten des Robert-Koch-Instituts stark betroffen, in dieser Altersgruppe liegt die 7-Tage-Inzidenz bei 211. So hoch wie in keiner anderen Gruppe.

Zudem berichtete der Intensivmediziner Stefan John vom Klinikum Nürnberg bei watson, dass auch das Alter der Corona-Intensivpatienten auf seiner Station deutlich gesunken sei:

"Wir behandeln inzwischen deutlich jüngere Corona-Patienten auf der Intensivstation als in den beiden Wellen zuvor, das Alter ist im Schnitt um gut acht bis zehn Jahre gesunken."

Auch die Hausärztin Heidi Weber aus der Eifel warnte jüngst in einem Interview mit watson, dass zunehmend junge Menschen mit schweren Covid-Symptomen in ihre Praxis kämen: "Ich treffe Menschen, die erst Mitte 20 sind und deren Lungen in einem Zustand sind, in dem eigentlich gar kein Sauerstoffaustausch mehr möglich ist."

Sind die jüngsten Entwicklungen also ein Beleg dafür, dass Corona zunehmend eine Krankheit der Jungen wird? Der Epidemiologe Markus Scholz von der Uni Leipzig hält dagegen und meint, die Inzidenzzahlen der 15- bis 45-Jährigen wären auch schon in der zweiten Corona-Welle vergleichbar hoch gewesen. "Der wesentliche Unterschied ist jetzt, dass die Inzidenzen in der Gruppe der über 80-Jährigen, die in der zweiten Welle am stärksten betroffen war, stark rückläufig ist", sagt Scholz gegenüber watson. "Ein klares Ergebnis der Impfungen."

Seit Anfang April impfen auch Hausärzte hierzulande gegen Corona.
Seit Anfang April impfen auch Hausärzte hierzulande gegen Corona.Bild: www.imago-images.de / Ralph Lueger

Über 80-Jährige sind mittlerweile weitgehend durch Impfungen geschützt

Bei Menschen über 80 sinken seit Januar die Inzidenzen kontinuierlich, während sie in allen anderen Altersgruppen seit Mitte Februar wieder steigen, erklärt Scholz. "Vor allem wirkt sich hier aus, dass die Alten- und Pflegeheime, die hauptsächlich zu den hohen Inzidenzen in der Ü80-Gruppe beitrugen, weitgehend durchgeimpft sind."

Laut RKI-Daten lag die 7-Tage-Inzidenz in der ersten Kalenderwoche 2021 bei 80- bis 84-Jährigen noch bei 233, bei den 85- bis 89-Jährigen war sie auf 389 geklettert, bei den über 90-Jährigen auf 658 vergleichsweise explodiert. Seither gingen die Zahlen allerdings vor allem bei den ältesten Mitbürgern nach unten. "Erst seit einigen Wochen sinken die Inzidenzen in der Ü80-Gruppe nicht mehr, da die dritte Welle immer stärkere Ausmaße annimmt", so Scholz. Allerdings ist selbst die aktuelle 7-Tage-Inzidenz von 93 bei den über 90-Jährigen immer noch deutlich niedriger als bei jüngeren Altersgruppen.

Den Grund dafür, dass die Infektionszahlen bei jüngeren Menschen teilweise stark steigen, sieht der Epidemiologe darin, dass diese Gruppe die meisten Kontakte hat und zu großen Teilen durch eine Impfung noch nicht geschützt ist. Deswegen "kommen nun immer mehr jüngere Patienten auf die Intensivstationen", sagt Scholz:

"Dort sind schwere Verläufe zwar seltener, aber eben doch häufig genug, um die Intensivstationen zu füllen."

Am Donnerstag erst warnten Intensivmediziner erneut vor einer Überlastung des Gesundheitssystems und forderten eine bundeseinheitliche Strategie, um die dritte Corona-Welle einzudämmen. "Wir können es uns nicht leisten, noch wochenlang zu diskutieren", warnte der Leiter des Intensivbettenregisters der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI), Christian Karagiannidis, im "Tagesspiegel". Karagiannidis sagte, den Tod seien Intensivmediziner zwar gewohnt – "aber so etwas hat es noch nicht gegeben".

Dass es zu dieser Belastung der Intensivstationen komme, liege laut Scholz ironischerweise daran, dass das Alter der Intensivpatienten sinkt: "Jüngere Patienten weisen eine längere Liegedauer auf. Diese scheinbar paradoxe Beobachtung ist darin begründet, dass deren Überlebenschancen besser sind und sie somit länger mit der Krankheit ringen, als die über 80-Jährigen, von denen viele versterben."

Eltern sind einer Infektion eher ausgeliefert

Obwohl aus ethischen Gesichtspunkten beschlossen worden ist, ältere Menschen zuerst zu impfen, "würde aber die Impfung von Personen mit vielen Kontakten zu einer effektiveren Eindämmung der Pandemie führen", so der Epidemiologe. Und wer viele Kontakte hat, ist in der Regel nun einmal eher jünger. "Es ist deshalb sinnvoll, hier zumindest nach Berufsgruppen vorzugehen, die viele Kontakte haben. Im Gesundheitsbereich und in der Kinderbetreuung beziehungsweise Schulen ist das bereits der Fall", sagt Scholz. Als weitere Beispiele nennt er Polizei, körpernahe Dienstleister oder Mitarbeiter im Einzelhandel.

Wer Kinder zu Hause hat, nimmt allerdings eine Sonderrolle im Pandemieszenario ein: "Eltern sind aktuell in der Tat den Einträgen aus dem Schul- und Kitabereich ausgeliefert", gibt Scholz zu bedenken. "Deshalb ist es sehr wichtig, in Schulen strenge Test- und Hygienekonzepte aufrechtzuerhalten, solange den Eltern keine Impfangebote unterbreitet werden können."

Zwar gibt es mittlerweile eine Testpflicht an Schulen. Corona-Tests bewahren jedoch nicht vor einer Ansteckung, wie auch die Zahlen des RKI belegen: Die 7-Tage-Inzidenz ist bei Kindern und Jugendlichen seit Beginn des Jahres stark gestiegen, am höchsten liegt sie bei den 15- bis 19-Jährigen mit 189. Und wer sich in der Kita oder Schule ansteckt, schleppt das Virus sehr wahrscheinlich mit nach Hause zu den Eltern.

Regelmäßige Corona-Tests an Schulen sind Voraussetzung, damit der Präsenzunterricht stattfinden kann.
Regelmäßige Corona-Tests an Schulen sind Voraussetzung, damit der Präsenzunterricht stattfinden kann.Bild: www.imago-images.de / Christoph Reichwein (crei)

Scholz: Wir brauchen weitere Verschärfungen der Corona-Regeln

Um einen weiterhin starken Anstieg der Infektionen sowie eine Überlastung der Intensivstationen zu vermeiden, werden wir aus Scholz' Sicht zunächst mehr benötigen als eine intensive Teststrategie und eine Beschleunigung der Impfkampagne. "Ich gehe davon aus, dass es unvermeidlich ist, die Kontaktbeschränkungen nochmal deutlich zu verschärfen, um eine Überlastung des Intensivbereichs zu vermeiden", sagt der Epidemiologe. Er nimmt die Regierenden in die Verantwortung:

"Offenbar kann sich die Politik dazu aktuell noch nicht durchringen."

Je länger man aber damit warte, desto mehr verschlimmere sich die Lage und desto länger müssen die Verschärfungen aufrechterhalten werden, um von den hohen Zahlen wieder herunterzukommen, kritisiert Scholz: "Der Fehler des wochenlangen Zögerns während des Aufbaus der zweiten Welle wird damit leider wiederholt. Obwohl die Impfungen jetzt zügig vorangehen, reicht dies nicht, um die dritte Welle rechtzeitig zu brechen."

Zwar wurde am Dienstag eine Änderung des Infektionsschutzgesetzes beschlossen, die eine bundesweit einheitliche Notbremse ab einer 7-Tage-Inzidenz von 100 pro 100.000 Einwohnern auf drei aufeinanderfolgenden Tagen beinhaltet. Teil davon ist eine Ausgangssperre von 21 Uhr bis 5 Uhr, die besagt, dass man zu diesen Zeiten weder die Wohnung verlassen noch Besuch empfangen darf. Eine Maßnahme, die besonders junge Menschen treffen könnte, die Studien zufolge psychisch mit am meisten unter den Folgen sozialer Isolation leiden.

"Die Auswirkungen von Ausgangssperren sind nicht gänzlich klar", gibt Scholz zudem zu bedenken. Bereits am Montag wandten sich führende Aerosolforscher des Landes in einem offenen Brief an die Bundesregierung, um von Ausgangssperren abzuraten. Die Begründung: Über 99 Prozent der Ansteckungen findet laut einer irischen Studie in Innenräumen statt. Natürlich ist es auch möglich, sich draußen mit Corona anzustecken. Das Risiko ist allerdings deutlich geringer.

Die voranschreitende Impfkampagne bietet Hoffnung

Laut Scholz wirken Ausgangssperren vor allem indirekt, weil Menschen abends oft das Haus verlassen, um andere zu treffen: "Es gibt einen klaren Zusammenhang zwischen Mobilität und Infektionsgeschehen, und Ausgangssperren werden die Mobilität sicherlich einschränken." Diese Zusammenhänge seien aber nicht vollständig kausal, gibt der Epidemiologe zu bedenken: "Da der überwiegende Teil der Ansteckungen in Innenräumen erfolgt, gilt es, vor allem hier Kontakte zu verringern."

Viele junge Menschen leiden psychisch unter den Folgen der Corona-Pandemie. (Symbolbild)
Viele junge Menschen leiden psychisch unter den Folgen der Corona-Pandemie. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / chameleonseye

Das dürfte vor allem jüngeren Menschen schwerfallen, vor allem nach fast einem halben Jahr Lockdown. Ein Faktor, der sich in allen Rechenmodellen nämlich nicht wiedergeben lässt, ist die menschliche Psyche: Und die mag nach einem Jahr Pandemie so strapaziert sein, dass es vielen Leuten umso schwerer fallen mag, sich an Regeln zur Viruseindämmung zu halten.

Hoffnung bietet am Ende dennoch die Impfkampagne der Bundesregierung: So schleppend sie auch angelaufen ist, so zäh die Diskussionen um den Impfstoff von Astrazeneca waren, so schockierend die Nachricht, dass auch das Vakzin von Johnson & Johnson Thrombosen auslösen könnte – es werden dennoch täglich immer mehr Menschen geimpft. Vor allem, seitdem die Hausarztpraxen beim Impfen unterstützen dürfen. Erst am Mittwoch wurde wieder ein neuer Impf-Rekord von 738.501 Erstimpfungen verzeichnet. Laut EU-Kommission kommen zudem 50 Millionen Biontech-Impfdosen früher als gedacht.

Sollten sie tatsächlich zeitnah eintreffen, könnte die Regierung mit dem Impfturbo durchstarten, den sie schon so lange verspricht – und damit auch jüngere Altersgruppen schützen.

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