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Bei "Lanz": Virologe erklärt, was er vom Impfstoff aus Russland hält

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Virologe Martin Stürmer war zu Gast bei Markus Lanz.Bild: screenshot zdf
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Virologe sieht Russlands Corona-Impfstoff bei "Lanz" kritisch: "Würde mich damit nicht impfen lassen"

12.08.2020, 10:57
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Markus Lanz ist nach einer kurzen Sommerpause zurück im TV – quasi pünktlich zum heiß diskutierten Schulstart, der offiziell bestätigten Kanzlerkandidatur von Olaf Scholz (SPD) und dem von Russland entwickelten ersten Impfstoff gegen Corona. Kein Wunder, dass genau diese Themen nun auch Platz in Lanz' Sendung gefunden haben.

Zu Gast waren am Dienstagabend Berlins regierender Bürgermeister Michael Müller, Marlis Tepe, die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, Virologe Martin Stürmer sowie SPD-Chef Norbert Walter-Borjans.

Gleich zu Beginn wurde das aktuell wohl überraschendste Thema angesprochen: der erste Covid-19-Impfstoff. Dass nun ausgerechnet aus Russland die Nachricht kam, man habe einen Impfstoff entwickelt und bereits zugelassen, sorgte in der Welt für Aufsehen. Virologe Martin Stürmer, der selbst früh an Covid-19 erkrankte, sieht dieses Vorpreschen "sehr, sehr kritisch". Er erklärt:

"Letztlich reden wir ja über einen Impfstoff, der möglicherweise Millionen bis Milliarden von Menschen verabreicht werden soll, der die klinische Prüfung überhaupt nicht vollständig abgeschlossen hat. Der ist an ein paar mehr oder weniger freiwilligen Personen getestet worden. Man schwankt zwischen 50 und 100 Soldaten, die diesen Impfstoff bekommen haben."

Virologe skeptisch über Russlands Corona-Impfstoff

Aber die wichtige Phase 3, in der die Wirkung des Impfstoffs an mehreren Tausend Personen getestet wird, um überhaupt zu erfahren, wie wirksam er schützt oder welche Nebenwirkungen er tatsächlich haben kann, wurde vor der Zulassung nicht durchgeführt.

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Markus Lanz spricht mit Virologe Martin Stürmer über den neuen Corona-Impfstoff aus Russland.Bild: screenshot zdf

Lanz hakt nach, ob es denn wirklich denkbar ist, dass es so einfach sein kann, einen wirksamen Impfstoff gegen Corona zu entwickeln. Stürmer meint: "Es kann einfach sein. Die russische Regierung kann viel Glück damit haben, dass dieser Impfstoff tatsächlich keine Nebenwirkung hat und auch eine Wirkung erzielt. Aber das weiß man vorher nicht." Er selbst stellt klar: "Ich würde mich damit nicht impfen lassen." Denn man könne absolut nicht sagen, wie der Körper darauf reagiert.

Neben den typischen Nebenwirkungen, die man auch von einer Grippeimpfung kennt, wie ein schmerzender Arm, eine geschwollene Einstichstelle oder etwas Fieber – "alles harmlos", wie Stürmer betont – könnten aber auch ganz andere Dinge auftreten. "Wir können Autoimmunerkrankungen erzeugen, wir können andere schwere Nebenwirkungen bekommen, die sehr vielseitig sein können", sagt er. Beispielsweise könnte ein Organ in Mitleidenschaft gezogen werden, von dem man aktuell noch nicht vermutet, dass es eine Rolle spielen könnte

Corona-Impfstoff offenbar selbst in Russland umstritten

Russland ist sich dennoch sicher, dass der Impfstoff eben keine schweren Nebenwirkungen auslöst. Wie kann das sein, will Lanz wissen. Der Virologe erklärt: "Die haben diese Technik nicht zum ersten Mal jetzt ausprobiert. Das wurde in der Vergangenheit schon mehrfach angewendet." Mit Vektorviren, die auch jetzt zum Einsatz kommen, wurde beispielsweise zur Bekämpfung von MERS-Corona vor zehn Jahren bereits experimentiert. Sie sehen ihr Vektor-System als erprobt an, sagt Stürmer. Doch laut des Virologen solle man sich dabei nicht so sicher sein.

Die russische Bevölkerung selbst scheint übrigens ebenfalls noch skeptisch zu sein. Aktuell geben nur 23 Prozent an, sich den Impfstoff verabreichen lassen zu wollen. Diese sehr geringe Bereitschaft spreche laut Stürmer für extrem wenig Vertrauen.

Walter-Borjans verteidigt Kanzlerkandidat Olaf Scholz

Nach der Impfstoff-Diskussion wurde Norbert Walter-Borjans digital in die Gesprächsrunde zugeschaltet. Natürlich ließ es sich Lanz nicht nehmen, ihn direkt auf die früheren Differenzen mit dem künftigen Kanzlerkandidaten Olaf Scholz anzusprechen. Denn immerhin waren sie einst Konkurrenten, als es um den SPD-Vorsitz ging. Damals habe er Scholz noch mit aller Macht verhindern wollen, wie Lanz direkt einwarf.

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Norbert Walter-Borjans wurde digital ins Studio geschaltet.Bild: screenshot zdf

Doch von den Differenzen von vor wenigen Monaten will der SPD-Chef nun nichts mehr wissen. Damals sei es allein um den Parteivorsitz gegangen, heute um die Kanzlerkandidatur. Lanz hakt weiter kritisch nach und bringt eine gewagte Aussage ins Spiel: "Olaf Scholz war damals zu schlecht für die SPD, ist aber jetzt gut genug für Deutschland?" Das konnte Walter-Borjans nur verneinen. Trotz harter Auseinandersetzungen halte er Scholz für einen sehr guten, regierungserfahrenen Politiker, der in "seiner Partei verankert" ist. Und er macht klar: "Er ist ein standhafter Sozialdemokrat." Bemerkenswert ist diese klare Aussage insofern, dass genau das in früheren TV-Diskussionen, unter anderem bei Lanz im November 2019, von SPD-Chefin Saskia Esken angezweifelt wurde.

Letztendlich macht der SPD-Chef noch einmal deutlich, was aktuell das erklärte Ziel seiner Partei ist: Die SPD am stärksten zu machen. Ob das gelingt, wird sich zeigen.

Marlis Tepe: "Hätten uns gewünscht, dass die Abstände eingehalten werden"

Das dritte große Themengebiet in der Sendung: die Rückkehr in die Schulen in den Bundesländern. Michael Müller betont, dass die Charité erst vor 14 Tagen dem Kabinett beratend zur Seite stand, als es um das Thema Schulen ging. Doch mit den verschiedenen Umsetzungen in den Bundesländern sind nur wenige zufrieden. Vor allem Marlis Tepe sieht einige Punkte kritisch. Sie sagt, die Politik habe sich, da sei man sich mit Stephan Wassmuth, dem Vorsitzenden des Bundeselternrats, einig, "aus unserer Sicht eher falsch entschieden. Wir hätten uns gewünscht, dass die Abstände eingehalten werden".

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Marlis Tepe, die Bundesvorsitzende der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft. Bild: screenshot zdf

Tepe erklärt, dass es vor allem gegenüber dem Tragen von Masken innerhalb der Lehrerschaft viel Skepsis gegeben habe, denn gerade beim Sprachelernen in Grundschulen oder auch beim Fremdsprachenunterricht sei nicht nur die richtige Aussprache, sondern auch die Mimik sehr wichtig. Mittlerweile allerdings höre sie von immer mehr Kollegen, dass sie sich angesichts von Klassen mit bis zu 30 Schülern, die in geschlossenen Räumen unterrichtet werden müssen, doch einen Schutz durch die Maske wünschen würden. "Da haben die Kollegen Angst, das muss man doch verstehen", meint sie.

Stürmer warnt vor Exeriment an Schulen

Lanz bittet Virologe Martin Stürmer um eine Einschätzung der Maßnahmen in den Schulen und der warnt:

"Wir schaffen im Prinzip in den Klassenräumen eine Situation, von der wir wissen, dass sie hauptverantwortlich für Übertragungen ist. Wir haben einen Raum, der schlecht belüftet werden kann, wir haben viele Menschen, in diesem Fall Kinder, in einem Raum, die den Abstand nicht halten können und keine Masken tragen. Und dann wird im Unterricht natürlich nicht nur geschwiegen, sondern es wird gesprochen und gegebenenfalls auch mal was gesungen. Da haben wir eine Situation, die wir eigentlich vermeiden müssten."

Er weist aber auch auf Studien hin, die möglicherweise darauf hindeuten, dass Kinder nicht so leicht zu infizieren sind und das Virus nicht so leicht weitergeben. Das sei sicher auch eine Motivation gewesen, warum man sich dazu entschlossen hätte, so vorzugehen. Er betont: "Kinder sind keine Virenschleudern, aber sie können sich infizieren und sie können das Virus weitergeben." Er nennt das Vorgehen in den Schulen eine Art Experiment, denn alle Studien seien schließlich im Lockdown oder kurz danach während der Notbetreuung durchgeführt worden, weshalb es "eher gefährlich" sei, die Daten daraus auf Schulen im Vollbetrieb übertragen zu wollen. Aus rein virologischer Sicht würde er deshalb zu Masken im Unterricht raten.

Michael Müller: Masken im Klassenraum könnten noch kommen

Stürmer sagt, er hätte eher dafür plädiert, die Masken draußen in den Pausen wegzulassen, wenn es gewährleistet ist, dass die bestehenden Lerngruppen in größerem Abstand zusammenbleiben.

Markus Lanz
Michael Müller schließt eine Maskenpflicht auch in Klassenräumen für Berlin nicht aus.Bild: screenshot zdf

Eine Einführung der Maskenpflicht in den Klassenräumen, wie beispielsweise in NRW, hält Berlins Bürgermeister Müller auch für Berlin oder andere Bundesländer nicht für ausgeschlossen. Denn die aktuellen Konzepte seien nicht für die kommenden Monate in Stein gemeißelt. Wenn man merke, man könne mit Maske im Unterricht vernünftig arbeiten und es helfe, "dann wird es kommen".

(jei)

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