Die Grünen erreichen neue Umfragehöhen. Die Partei etabliert sich als zweite politische Kraft hinter der Union.
Im schwarz-grün regierten Hessen wird am 28. Oktober gewählt. Da liegt die Partei in Umfragen mittlerweile auf Rang 2 hinter der CDU.
In Bayern wurde die Partei bei der Landtagswahl ebenfalls zweitstärkste Kraft hinter der CSU. Und so sieht dort die Wählerstruktur der Grünen aus.
Von überall her, so scheint es also, gibt es Zustimmung. Sogar der ehemalige CSU-Chef Theo Waigel lobt in der renommierten Süddeutschen Zeitung:
Selbst die lilberalkonservative Frankfurter Allgemeine Zeitung jubelt:
Interessanterweise hat der aktuelle Erfolg wohl auch seinen Urpsrung im Scheitern der Jamaika-Koalition (CDU/CSU, FDP, Grüne) nach der Bundestagswahl. FDP-Chef Christian Lindner hatte damals das Bündnis platzen lassen. Sein Kalkül lautete: Die entnervte CDU rebelliert gegen Merkel (notfalls nach einer Neuwahl).
Lindner setzte auf Implosion des alten Parteiensystems, um dann selbst einzuspringen. Aber sein Kalkül ging nicht auf. Der FDP und ihrem Frontmann wurde das Scheitern von Jamaika als Flucht aus der Verantwortung ausgelegt. Anstatt den Ball selbst aufzunehmen, grätschten die Grünen der FDP rein.
Seitdem bringt sich die Partei als produktive Kraft der neuen zivilgesellschaftlichen Mitte in Stellung.
Ein Blick auf 6 Frontleute der neuen Aufwindpartei.
Welch eine Choreografie. Welch ein Bild von einem Idyll. Wo die CSU in Bayern auf Bierzelt und Lautstärke setzte, machten die Grünen auf klassische Agora und Dialog.
Robert "Bob" Habeck, 49, ist sei Anfang 2018 Grünen-Chef. Der promovierte Philosoph und Kinderbuchautor unterband den lähmenden Flügelkampf zwischen rechts und links. Seither gehtes voran.
Kaum ein Bild aus dem bayerischen Wahlkampf symbolisiert deshalb besser den Grünen Erfolg wie Habek beim Dialog: Hier geht es zu wie im Gottesdienst. Das sagt viel aus, über das Sendungsbewusstsein der Grünen. Mehr aber noch über den derzeitigen Erfolg der Partei, nicht nur in Bayern.
In einer Parteienlandschaft, in der alles erodiert, die große Koalition aus CDU, CSU und SPD, mehr aus Angst vor Neuwahlen denn aus Wunsch zum Gestalten zusammengehalten wird, sehnen sich viele einfach nur nach einem: Stabilität mit dem festem Stand gegen Rechts und klarem Blick nach Vorne. Was für ein Gegensatz – statt Krawall und Bierzelt gibt es hier vor allem eins: Ruhe.
Annalena Bearbock, 37, ist der zweite XX-Faktor des grünen Teamdreams. Wo sich andere Grünen-Doppelspitzen lähmten, setzen Baerbock/Habeck auf gemeinsamen Erfolg. Er macht auf intellektuell, sie stellt die gesellschaftlichen klügeren Fragen nach dem sozialen Zusammenhalt. Grün macht jetzt auf sozial. Sogar die liberalkonservative FAZ lobte euphorisch:
Fun Fact: Baerbock, Völkerrechtsexpertin, ist ehemalige Leistungssportlerin und schaffte es als Jugendliche bis zu den deutschen Meisterschaften. Welche Sportart? Trampolinspringen.
Sieht jetzt nicht gerade nach Berlin-Prenzlauer Berg, München-Glockenbachviertel oder Schanze in Hamburg aus. Wilfried Kretschmann, 70, seit 2011 Grüner Ministerpräsident von Baden-Württemberg ist so etwas wie der Gegenentwurf zum urbanen Chai-Latte-Grünen: wertkonservativer Katholik, Wandervogel und pragmatisch bis zum Gaspedal.
Zum Diesel-Betrug und den Stickoxiden jedenfalls hört man von Kretschmann wenig. Der Mann weiß, woher der Wohlstand im Autobauerland Baden-Württemberg kommt. Bei der SPD wäre das Umfallen vor der Industrielobby, bei den Grünen ist es Pragmatismus.
Kretschmann regierte in Stuttgart erst mit der SPD, jetzt mit der CDU. Der Mann ist politisch ein Brasilianer, kann rechts wie links und klassischer Landesvater. Er zeigt: Grün kann auch ganz bieder.
Tarek Al-Wazir, 47, ist seit vier Jahren Wirtschaftsminister in Hessen. Und so etwas wie die jüngere Ausgabe von Winfried Kretschmann. Geboren in Offenbach am Main als Sohn einer Lehrerin, lebte er als Jugendlicher zeitweise bei seinem Vater im Jemen. Der Mann ist bilingual: Er spricht hessisch und hochdeutsch.
Tarek, wer? Nie gehört?! Das ist das eigentliche Erfolgsrezept Al-Wazirs. Der Grüne regiert geräuschlos – und das im konfliktträchtigen Hessen.
Kriegt nur keiner mit. Und das ist das Erfolgsrezept. Anders als bei der GroKo in Berlin geht Regieren auch still und ohne Zoff. Der Lohn: Neues Umfragehoch in Hessen.
Wo so viele in die Öffentlichkeit drängen, gibt es auch ein paar im Hintergrund. Wobei Reinhard Bütikofer, 65, so ganz still gar nicht wirkt. Der einflussreiche Europaabgeordnete ist immerhin Chef der Europäischen Grünen.
Vor dem Wechsel nach Brüssel war @bueti Bundesgeschäftsführer der Partei und tüftelte mit im Maschinenraum der ersten Rot-Grünen Bundesregierung von Gerhard Schröder.
Bütikofer weiß, wie Macht funktioniert. (Nicht alle begreifen das als Kompliment). Die Berliner Partei zog ihn 2016 aber zu den Koalitionsgesprächen mit SPD und Linke hinzu. Die Sache mit Rot-Rot-Grün sollte nicht wieder schiefgehen wie vier Jahre zuvor.
Zweitstärkste Kraft in Bayern, sechs Direktmandate – nützt dennoch nix. Die CSU in Bayern will lieber mit den Freien Wählern (FW) regieren statt mit Grünen.
Die Enttäuschung ist groß, bei den Grünen und bei ihrer Spitzenkandidatin Katharina Schulze, 33. Dennoch hat die junge Politikerin da in Bayern einen riesen Erfolg hingelegt, und ihre Zeit wird zweifelsohne kommen.
Auch ein Blick nach Berlin kann trösten. Dort saß der Frust nach dem Aus von Jamaika ebenfalls tief. Es folgte eine Regierung des Streits. Der Lohn: eine grüne Partei im Höhenflug.
Auch die sogenannte Tiger-Koalition aus CSU und Freien Wählern birg viel Konfliktstoff und den heimlichen Wettbewerb: Markus Söder oder Hubert Aiwanger, wer ist der bessere Bayer im Land? Ärger ist vorprogrammiert. Die Grünen muss da eigentlich nur warten.