Mit ihnen zieht die neue Zeit (v.l.n.r.): Theater-Mann Bernd Stegemann, Flensburgs SPD-Oberbürgermeisterin Simone Lange, Ex-Grünen-Chef Ludger Volmer, Linken-Fraktionsvorsitzende Sahra Wagenknecht und Kommunikationsexperte Hans Albers. Bild: imago stock&people
Seit Dienstag ist die neue Linke Sammlungsbewegung "Aufstehen" von Sahra Wagenknecht und ihren Mitstreitern offiziell am Start.
Ein Auftaktdrama in 5 Akten.
Für einen neuen Aufbruch saß ziemlich viel Establishment auf der Bühne.
Deshalb soll jetzt die neue, linke Sammlungsbewegung "Aufstehen" frischen Wind in Deutschlands Politik bringen. Zum offiziellen Auftakt am Dienstag in Berlin aber gibt es doch viel Klassisch-Parteitaktisches. Und so soll erst einmal ein Nicht-Politiker zu Wort kommen. Bernd Stegemann, Professor für Schauspiel an der Hochschule „Ernst Busch“, Dramaturg am „Berliner Ensemble“. Er sagt zu dem neuen Projekt:
Bernd Stegemann, Theatermacher und Aufstehen-Initiator
Die Alten wie Ludger Volmer erinnern sich. "Es gab die Friedensbewegung und die Umweltbwegung", sagt der frühere Grünen-Chef zur Macht der Straße. Das war in den 80er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts. Jetzt gibt es Occupy und Attac. Linken-Fraktionschefin Sahra Wagenknecht fasst die Idee von "Aufstehen" pragmatisch so zusammen:
Sahra Wagenknecht, Linkspartei, Aufstehen-Initiatorin
Das soll sich nun ändern. Es gehe darum, "die Parteien zu verändern, um neue Mehrheiten zu gewinnen", sagt Wagenknecht. Gesucht wird keine neue Partei, sondern ein Debattenforum um alte Denkstrukturen aufzubrechen.
Klingt einfacher als gedacht. Voraussichtlich 2021 sind die nächsten Bundestagswahlen. Aber selbst progressive Nachwuchskader rechnen nicht vor 2025 mit einer Mehrheit für Rot-Rot-Grün.
Der Clou des neuen Projekts ist eine neue Debatten-Software. "pol.is".
Unter www.aufstehen.de ist dieses Debattenforum freigeschaltet. Dort soll das Programm des Projekts diskutiert werden, von "unten nach oben", wie Aufstehen-Unterstützer Hans Albers erklärte. Nicht ganz neu, Liquid Democracy hieß das bei den Piraten.
Doch wo steht die "Bewegung" inhaltlich? Ein bisschen was, war schon vorher durchgesickert, vor allem Wagenknechts Kritik an der Flüchtlingspolitik von Kanzlerin Angela Merkel.
Bild: imago stock&people
Etliche Punkte sind daher abgeschwächt im neuen Programm:
Bild: imago stock&people
Weiter setzt "Aufstehen" auf den Staat, etwa auf
Detailliert ausgeführt werden die programmatischen Vorschläge nicht. Porgressive Vorschläge wie ein bedingungsloses Grundeinkommen für alle oder als Einstieg eine Grundsicherung im Alter fehlen gänzlich.
Fazit: Da ist noch Luft nach links.
Wenn so viel Erfahrung versammelt ist, schweift der Blick meist gern zurück.
Simone Lange, SPD, OB von Flensburg und Aufstehen-Unterstützerin
Sahra Wagenknecht, Linkspartei, Aufstehen-Initiatorin
Ludger Volmer, Grüne, Aufstehen-Unterstützer
Nach einem politischen Urknall klingt das jetzt noch nicht, was am Dientag in Berlin vorgestellt worden ist. Umso emsiger wird gezählt. 80 Prominente Unterstützer meldet Wagenknecht.
Peter Brandt steht exemplarisch für das Dilemma der neuen Bewegung. Es geht weniger um die politischen Enkel oder gar Urenkel der einstigen linken Ikone Willy Brandt, als vielmehr um deren Kinder. Will sagen: In "Aufstehen" steckt doch sehr viel alte Bundesrepublik und 20. Jahrhundert. Progressiv-zukunftsweisendes wie ein Grundeinkommen, neue Steuermodelle für die Plattformökonomie oder Alterssicherung für die Beschäftigten der neuen Uber-Lieferando-Ökonomie? Vorerst Fehlanzeige. "Aufstehen" scheint eher eine Bewegung von gestern als von morgen. Das zeigt auch die Altersstruktur der Unterstützer.
Dennoch verweist das neue Projekt auf ein ernsthaftes Problem: Wo liegen künftige strukturelle Mehrheiten im Land?
Und damit stößt man rasch vor zu den Grünen oder dem FC-Bayern-München-Problem der deutschen Politik. Die Grünen machen unter ihrem neuen Chef Habeck mächtig auf jung (nie ohne Hoodie) und mächtig auf klug – wie die Heimat-Debatte zeigt. "Jung, fachkundig und sympathisch", schwärmt selbst die Berichterstatterin der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" und sieht die Grünen schon auf dem Weg zur "neuen Volkspartei".
Die Grünen schicken sich an, die Nummer 2 in der deutschen Parteienlandschaft zu werden. Schön für die Grünen. Weniger schön für die deutsche Politik. Denn ähnlich, wie in der Männer-Fußballbundesliga geht es nicht darum, wer nach Serienmeister Bayern München Vizemeister wird. Es ginge vielmehr darum, den Dauersieger auch mal abzulösen. Übertragen auf die Politik bedeutete dies: Lässt sich eine politische Mehrheit finden im Land jenseits der Union?
"Aufstehen" stellt als Debattenforum also die richtigen Fragen. Programmatisch liefert das Bündnis aber unzureichende Antworten.
(mit dpa, AFP, rtr)
Video: watson/Felix Huesmann, Marius Notter, Lia Haubner