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Karl Lauterbach: "Ich hätte mir gewünscht, Drosten und ich hätten Unrecht gehabt"

26.05.2020, Berlin, Deutschland - Foto: Karl Lauterbach, SPD-Gesundheitsexperte, bei einem Pressestatement vor Beginn der Fraktionssitzung. *** 26 05 2020, Berlin, Germany Photo Karl Lauterbach, SPD h ...
Wurde zu einem der Gesichter der Corona-Krise: SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach.Bild: www.imago-images.de / Reiner Zensen
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Karl Lauterbach über seine Popularität, Fanpost und das Corona-Jahr: "Ich hätte mir gewünscht, Drosten und ich hätten Unrecht gehabt"

Bereits Anfang des Jahres hatte der SPD-Gesundheitsexperte vor einer Pandemie gewarnt. Warum seine Warnungen, wie die vieler seiner Kollegen nicht ernst genommen wurden, welche Lehren er aus dem Jahr gezogen hat und wie er selbst Weihnachten feiern wird, erzählt er im Interview mit watson.
19.12.2020, 09:4419.12.2020, 15:03
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Kaum einer hat so eindringlich gewarnt wie er: Karl Lauterbach wird gerne als der Mahner der deutschen Politik beschrieben. Wenn es darum ging, härtere Maßnahmen zu fordern, war Lauterbach stets mit dabei und hatte eine Studie parat, die ein härteres Vorgehen bekräftigt. Das hat ihm nicht nur Freunde eingebracht. Sein Bundestagskollege Wolfgang Kubicki hatte gegenüber watson klargemacht, wie wenig er von Lauterbachs Meinung hält und behauptet, dieser ändere alle zwei Tage seine Meinung.

Nach diesem Jahr wird jedoch klar: Vieles von dem, was Lauterbach prognostiziert hatte, trat so oder so ähnlich ein.

Lauterbach ist eben auch Wissenschaftler und Epidemiologe. Und er ist begehrter Talkshow-Gast – wenn man so will, der begehrteste: Ganze 30 Mal war er dieses Jahr bei den Sendungen von Markus Lanz, Maybrit Illner, Sandra Maischberger, Anne Will und Frank Plasberg, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland jüngst berichtete und führt damit die Liste der Politiker mit weitem Abstand an. Die Nummer Zwei, Wirtschaftsminister Peter Altmaier, war lediglich 18 Mal zu sehen.

Watson hat mit Karl Lauterbach über das vergangene Corona-Jahr gesprochen und damit verbunden seine eigene Popularität. Und: Ob er sich inzwischen bei Kleidungsfragen beraten lässt.

Watson erreicht Karl Lauterbach telefonisch. Der SPD-Politiker hält sich strikt an alle Corona-Maßnahmen und hatte sich gegen ein persönliches Gespräch entschieden. Möglicherweise passte ein kurzes Telefonat auch besser in den Terminkalender als ein Besuch, denn Karl Lauterbach ist immer höchst beschäftigt und musste das Interview zuvor kurzfristig verschieben, am selben Abend ist er noch bei Maybrit Illner zu Gast. Es ist klar: Kaum ein Politiker ist derzeit so gefragt wie der Mediziner und Gesundheitsökonom.

"Jeder liebt den Überbringer der guten Nachricht, jeder schmäht gerne den Überbringer der schlechten."

Watson: Herr Lauterbach, vor ziemlich genau einem Jahr kamen erste Berichte über das Coronavirus aus Wuhan in China. Zunächst hieß es noch, man habe die Lage unter Kontrolle. Sie hatten trotzdem bereits ab dem 25. Januar davor gewarnt, dass die Möglichkeit einer Pandemie besteht…

Karl Lauterbach:
Ja, die Sorge hatte ich schon sehr früh. Epidemiologisch war das auch denkbar. Aber ich wollte erst einmal die Sachlage genau überprüfen, bevor ich mich festlege.

Im Nachhinein hatten Sie sehr oft Recht mit Ihren Prognosen. Spüren Sie eine gewisse Genugtuung, dass sie richtig lagen?

Ich hätte mich sehr, sehr gerne mit meinen Prognosen getäuscht. Leider ist vieles so gekommen, wie es dem Lehrbuch entspricht. Ich erinnere mich, noch im Sommer häufiger mit Christian Drosten gesprochen zu haben, der auch gemahnt hatte, dass es zu einer zweiten Welle kommen würde, mit den entsprechenden Auswirkungen. Ich hätte mir gewünscht, wir hätten beide Unrecht gehabt.

Die zweite Welle wurde bereits im Frühjahr von vielen Wissenschaftlern wie Christian Drosten prognostiziert. Warum hat man sich nicht besser vorbereitet?

Es gab eben auch noch andere Stimmen, die abgewiegelt haben. Es gab Virologen, die erklärt haben, es werde keine zweite Welle geben oder die Sterblichkeit werde abnehmen und alte Menschen werden sich nicht mehr infizieren. Und natürlich haben sich Medien und Öffentlichkeit auf diese Stimmen gestürzt. Am Ende ist es doch so: Jeder liebt den Überbringer der guten Nachricht, jeder schmäht gerne den Überbringer der schlechten.

Sind Sie trotzdem nach wie vor der Meinung, dass mehr Wissenschaftler in Politik und Medien stattfinden sollten?

Diese Meinung teile ich immer noch, aber es ist eben auch ein Kampf, dass die Kollegen die gründlicher arbeiten, sich am Ende auch durchsetzen. Und die Medien müssen sorgsamer darauf achten, die fundierten Meinungen zu beachten und die Auseinandersetzung nicht als Streit der Wissenschaftler zu inszenieren, in der jede Meinung gleichwertig neben der anderen steht. Komplett abseitige Meinungen, vorgetragen von einigen wenigen unseriösen Wissenschaftlern sind eben nicht gleichbedeutend mit denen der Mehrheit.

Es ist aber auch nicht ganz leicht, sich zwischen Hobby-Epidemiologen mit unterschiedlichen Meinungen und ständig wechselnder Studienlage zurechtzufinden. Ist das für die Medien überhaupt leistbar?

Ja. Wenn sich eines im vergangenen Jahr gezeigt hat, dann, dass wir ein sehr hohes Niveau bei den Wissenschaftsjournalisten haben. Zum Teil waren die Journalisten besser im Stoff, als der eine oder andere Wissenschaftler, der damit an die Öffentlichkeit getreten ist. Deshalb ist auch die Journalistin Mai Thi Nguyen-Kim zurecht zur Journalistin des Jahres erklärt worden: Sie steht stellvertretend für viele weitere Kollegen, die einen großartigen Job gemacht haben und ohne die die Bewältigung der Krise nicht möglich gewesen wäre.

"Ich halte eine Beschränkung des Shutdowns bis Anfang Januar für unrealistisch."

Bewältigt haben wir sie leider aktuell noch nicht. Wir wollen die zweite Welle mit einem Shutdown brechen. In Sachsen wurde in Betracht gezogen, Regionen mit hohen Fallzahlen von der Außenwelt abzuriegeln. Was halten Sie von solchen Maßnahmen?

Ich begrüße solch ein Vorgehen für besonders belastete Regionen. Dort müssen die zwischenmenschlichen direkten Kontakte massiv heruntergefahren werden.

Halten Sie das auch für andere Regionen in Deutschland denkbar?

Wenn sich die Fallzahlen nicht anders entwickeln, ja. Die aktuellen Zahlen müssen gesenkt werden, und das passiert aktuell zu wenig. Ich halte eine Beschränkung des Shutdowns bis Anfang Januar für unrealistisch.

Wie lange wird er gehen?

Darüber zeitlich zu spekulieren, ist falsch. Aber ich bin der Meinung, wir machen das so lange, wie es nötig ist, um die Zielinzidenz zu erreichen und stabil zu sichern. Ideal wäre es, eine Inzidenz von 25 zu erreichen.

Besonders für junge Leute ist der Shutdown aktuell sehr belastend. Vielen fällt der Nebenjob weg, das Treffen mit Freunden war ein guter Ausgleich für die Seele. Am Ende wurde ihnen vorgeworfen, Pandemietreiber zu sein. Auch bei watson wandten sich 30 unter 30 Jahren an die Regierung unter anderem mit den Worten: "Was die Jugend jetzt braucht, ist nicht nur Verständnis, sondern auch Gerechtigkeit". Werden junge Menschen aktuell von der Politik im Stich gelassen?

Ich verstehe insbesondere auch die Lage von jungen Menschen sehr gut. Sie müssen sich stark einschränken und sind von den Folgen der Pandemie oft weniger gesundheitlich als sozial und ökonomisch betroffen.

Wie könnte man das Ihrer Meinung nach gerechter gestalten?

Wir müssen in der Phase nach der Pandemie alles dafür tun, dass die verlorenen Chancen nicht nur wieder hergestellt werden, sondern dass sich viele Lebensbedingungen für junge Menschen verbessern. Dazu gehören Maßnahmen wie eine Erhöhung der Bafögsätze wie auch eine bessere soziale Absicherung.

Gerade gab es Meldungen, dass in Sachsen angeblich bereits das Triage-System praktiziert wird. Das heißt, Patienten werden nach Überlebenschance eingeteilt, und zunächst werden diejenigen beatmet, die höhere Aussichten darauf haben, durchzukommen. Wie schlimm ist die Situation?

Die Lage ist höchst bedenklich. Ich halte den Einsatz von Triage auch in Deutschland für möglich, wenn die Fallzahlen nicht endlich sinken.

Gibt es Möglichkeiten solche Situationen abzuwenden?

Das hängt auch davon ab, ob es möglich ist, Patienten aus besonders betroffenen Kliniken in weniger stark ausgelastete Krankenhäuser zu verlegen. Ein solcher Transport ist sehr aufwendig und riskant, findet aber sehr regelmäßig schon statt.

"Das ist eine wirklich dramatische Situation, die gönnt man niemanden."

Sie sind selbst Arzt. Wie belastend ist es, vor Ort auswählen zu müssen, wer gerettet werden kann und wer nicht?

Es ist äußerst belastend. Ich habe während meines Medizinstudiums viele Jahre in der Intensivpflege gearbeitet und kenne diese Arbeit aus dieser Zeit. Ich weiß, was es bedeutet, wenn man überlegen muss, ob man einen Patienten weiter beatmet – oder ob man Schluss macht. Das ist eine wirklich dramatische Situation, die gönnt man niemanden. Ich appelliere daher auch an alle, über die Feiertage vorsichtig zu sein und Kontakte zu meiden. Wir können nicht so weitermachen wie bisher.

Viele überdenken aktuell auch die eigenen Weihnachtspläne. Wie halten Sie es an den Feiertagen und Silvester?

Ich werde mich selbst zuvor nicht isolieren können, da ich noch wichtige politische Termine habe. Deshalb werde ich mich vorher testen und im ganz kleinen Kreis feiern. Zum Teil werden wir Maske beim Fest tragen.

Sie waren im vergangenen Jahr präsent in den Medien wie nie zuvor und wurden zu einem der Gesichter dieser Krise. Wie nehmen Sie Ihre eigene Popularität wahr?

Ehrlich gesagt bin ich noch nicht dazu gekommen, mich damit zu beschäftigen. Ich mache meine Arbeit, und das Wichtigste ist für mich, meinen eigenen Ansprüchen gerecht zu werden.

Glauben Sie, dass Ihre Präsenz in den Medien Menschen dabei hilft, mehr Bewusstsein für die Pandemie und die Maßnahmen dagegen zu schaffen?

Die Präsenz alleine nicht. Es gibt genug andere, die viel in den Medien auftauchen und dem Kampf gegen die Pandemie keinen Gefallen damit tun. Aber es ist wichtig, darüber aufzuklären, dass Rücksichtnahme aufeinander das zentrale Gebot jetzt ist, um Infektionen zu vermeiden, bis die Impfungen kommen. Dafür werbe ich gerne.

"Ich schätze Markus Lanz."

Man sieht sie auffällig oft in der Talkrunde von Markus Lanz. Es gab schon Gerüchte, Sie hätten dort einen Stammplatz. Ist das korrekt?

Nein, das stimmt nicht. Ich werde oft eingeladen, aber manchmal werde ich auch kurzfristig wieder ausgeladen. Ich habe dort kein Abonnement auf einen Platz in der Runde.

Sie scheinen dort aber öfter zu sein als in anderen Talkshows...

Ich schätze Markus Lanz. Er hat auch zu Recht viel Lob in den Medien für seine Berichterstattung zur Corona-Pandemie bekommen. Aber ich gehe auch gerne in andere Talkshows, da gibt es keine Präferenz.

Einer Kollegin ist aufgefallen, dass Sie mit zunehmender Popularität auch besser angezogen und frisiert sind. Lassen Sie sich inzwischen beraten?

Es freut mich zu hören, dass das auffällt, aber das Kompliment höre ich tatsächlich zum ersten Mal. Ich bin, was Kleidung angeht, ein sehr uneitler Mensch und shoppe in Lichtgeschwindigkeit. Das Kompliment muss ich wohl meinem Modegeschäft in Köln weitergeben.

Sie haben durch Ihre Präsenz in der Corona-Pandemie viele neue Fans hinzugewonnen. Bekommen Sie auch Liebesbriefe?

Ich bekomme Fanpost. Dafür bin ich auch sehr dankbar. Es gibt eine Zivilgesellschaft, die meine Arbeit durchaus zu schätzen weiß und versucht, die Vernunft umzusetzen.

"Ich bin in einem ganz zentralen Punkt skeptischer geworden."

Sie haben den Menschen das Virus nähergebracht, ihnen erklärt, worum es in der Pandemie geht. Wie blicken Sie selbst auf das vergangene Jahr zurück?

Ich bin in einem ganz zentralen Punkt skeptischer geworden. Ich bin skeptisch, dass es uns gelingen wird, mit den Mitteln der Vernunft allein den Klimawandel zu bekämpfen.

Wie meinen Sie das?

Während der aktuellen Corona-Krise ist es mit den konventionellen Mitteln der öffentlichen Gesundheitspflege nicht möglich gewesen, die Pandemie in den Griff zu bekommen, da zu viele Menschen sich nicht entsprechend einschränken wollten. Der Sieg über das Coronavirus wird uns daher nur durch die bevorstehenden Impfungen gelingen. Für den Kampf gegen die Klimakrise bedeutet das leider auch, dass wir nicht darauf vertrauen können, dass Menschen sich von alleine nachhaltiger verhalten.

Worauf freuen Sie sich am meisten, wenn nun durch die Impfungen langsam die Normalität nach der Corona-Pandemie zurückkehren könnte?

Das Treffen mit Freunden und Familie ohne Maske sowie volle Lokale und Sportveranstaltungen. Ich bin auch nur ein Mensch. Vieles von dem, was das Leben schön macht, fehlt auch mir.

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