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Deutsche während Corona in Pakistan sitzengelassen: Schwere Vorwürfe gegen Bundesregierung

24.04.2020, Hessen, Frankfurt/Main: Passagiere gehen im Flughafen Frankfurt nach der Landung aus Kapstadt. Es war der vorerst letzten Rückholflug der Bundesregierung. Foto: Silas Stein/dpa | Verwendun ...
Die Bundesregierung hat insgesamt rund 240.000 Deutsche aus dem Ausland zurückgeholt. Bild: dpa / Silas Stein
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Bis zu 300 Deutsche sitzen in Pakistan fest – und erheben Vorwürfe gegen Bundesregierung

30.04.2020, 06:2130.04.2020, 10:56
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Man könnte meinen, die Bundesregierung habe weder Kosten noch Mühen gescheut, deutsche Staatsbürger im Ausland angesichts der Corona-Epidemie nach Hause zu holen: Insgesamt 240.000 Deutsche, die wegen der Corona-Maßnahmen festsaßen, wurden nach Deutschland zurückgeflogen. Am vergangenen Freitag landete die vorerst letzte Maschine in Frankfurt. Sie kam aus Kapstadt in Südafrika. Allein von dort holten die Behörden 4500 Deutsche und mehr als 1200 andere EU-Staatsbürgern zurück.

Damit ist die "Corona-Luftbrücke" beendet. Die deutschen Botschaften wollen sich jetzt weltweit in einer zweiten Phase nur noch um die im Ausland verbliebenen Einzelfälle kümmern. Das klingt gut. Nur: Bis zu welcher Zahl zählt man als Einzelfall? Und haben die deutschen Behörden wirklich alles unternommen, um alle Deutschen, von denen sie wussten, nach Hause zu holen?

Daran gibt es Zweifel. Denn wie Betroffene und Aktivisten gegenüber watson berichten, sitzen beispielsweise in Pakistan noch rund 300 Menschen fest. Sie seien entweder deutsche Staatsbürger oder hätten gültige Aufenthaltstitel für Deutschland. Es handele sich nicht um klassische Touristen, sondern Menschen mit pakistanischen Wurzeln, die dort ihre Familienangehörigen besucht haben.

Ihren Berichten zufolge haben das Auswärtige Amt sowie die deutsche Botschaft in Islamabad allerdings von Anfang an kein sonderlich großes Interesse an ihrem Schicksal gezeigt. Sie erklären, dass sie den Eindruck haben, von den Behörden bis heute nicht ausreichend informiert und im Grunde hauptsächlich hingehalten worden zu sein. Gegenüber watson berichten sie, warum. Sogar ein Rassismus-Vorwurf steht im Raum, den man im Auswärtigen Amt jedoch dementiert.

Yasir Mahmood: Seit Februar in Pakistan

Einer der Betroffenen ist Yasir Mahmood. Der deutsche Staatsbürger steckt mit seiner Frau und zwei Kindern, eines davon neun Monate alt, seit etwa einem Monat in Pakistan fest, wie er watson über Whatsapp berichtet. Sie seien zur Verlobung seines Schwagers und zur Beschneidung seines Sohnes im Februar angereist. Die Rückreise habe eigentlich am 25. März nach Frankfurt gehen sollen.

"Leider wurde die Lage Mitte März, wie auf der ganzen Welt, auch in Pakistan wegen Covid-19 sehr kritisch. Erst wurden die Flughäfen teilweise, dann ein paar Tage vor unserer Rückreise komplett geschlossen", berichtet Mahmood. Alle Flüge seien gestrichen worden.

Yasir Mahmood mit seiner Frau und den beiden Kindern.
Yasir Mahmood mit seiner Frau und den beiden Kindern.Bild: Yasir Mahmood

Das ist auch dem Auswärtigen Amt nicht entgangen. Es organisierte zwei Rückflüge aus Pakistan, einen am 31. März und einen am 4. April. Ungefähr 600 Personen, die meisten davon deutsche Staatsbürger, sind ausgeflogen worden.

Für diese beiden Rückhoflüge hätten er und seine Familie sich auf der Seite "Rueckholprogramm.de" registriert, sie seien aber leider nicht berücksichtigt worden, erzählt Mahmood.

"Auf unsere Nachfrage bei der deutschen Botschaft in Islamabad, wann der nächste Termin ist, wurde uns gesagt, dass kein weiterer Flug geplant ist."

Die Priorität seien Kranke und Senioren gewesen, circa 620 Personen seien zurückgebracht worden, habe es weiter geheißen. "Es saßen zu diesem Zeitpunkt aber immer noch rund 300 Personen in Pakistan fest." Trotzdem habe die Botschaft den Verbliebenen eine E-Mail geschickt, in der sie aufgefordert worden seien, ihre Daten auf der Website 'Rueckholprogramm.de' nicht mehr zu aktualisieren. "Warum nicht alle Kranken, Senioren oder Familien mit kleinen Kindern, wie in meinem Fall, zurückgeholt wurden, weiß ich bis heute nicht", sagt Mahmood.

Er schreibe weiterhin alle zuständigen Behörden regelmäßig an. "Leider verweist die deutsche Botschaft in Islamabad uns immer noch auf eine riskante und überteuerte Alternative über europäische Drittländer." Diese sähe vor, mit der pakistanischen Fluggesellschaft auf einem Sonderflug nach Kopenhagen oder Paris zu fliegen und von dort aus zu versuchen, weiter nach Deutschland zu reisen. "Ich und die Kinder sind deutsche Staatsbürger, aber meine Frau hat die pakistanische Staatsangehörigkeit mit einem Aufenthaltstitel für Deutschland. Ich hatte Bedenken, ob sie überhaupt über diese europäischen Drittländer nach Deutschland einreisen darf, denn einige Länder hatten zu diesem Zeitpunkt ihre Grenzen schon dicht gemacht." Wäre er alleine gewesen, hätte er das wohl versucht, aber mit seinen Kindern und seiner Frau habe er kein Risiko eingehen wollen.

Ayesha Khan: "Kein Interesse, die Menschen zurückzuholen"

Die freie Autorin Ayesha Khan kennt viele Fälle von Menschen aus Deutschland, die jetzt im Ausland festsitzen. Auch ihre eigene Familie ist von der Situation betroffen. Khan hat die Petition #HoltSieHeim gestartet und berichtet über ihren Twitter-Account regelmäßig über die Entwicklungen. Über eine Whatsapp-Gruppe ist sie mit den Menschen, die in Pakistan festsitzen, verbunden. "Es kommen immer noch neue dazu", erzählt sie watson. Die Leute seien eben nicht alle super vernetzt, manche säßen in irgendwelchen Provinzen fest und kriegten nichts mit.

Sie berichtet von einer Dame, deren am 25. März geplanter Rückflug ebenfalls gecancelt worden sei. "Sie hat aber in dem Dorf, wo sie ist, nichts mitbekommen, sie wusste nicht, dass es ein Flugverbot gibt, das auch schon zweimal verlängert wurde. Von der Rückholaktion hat sie auch nichts mitbekommen." Dabei hätte sie vielleicht schon ausreisen können, sie sei älter und auch krank.

Khan frage immer wieder bei der Botschaft und dem Auswärtigen Amt nach, bekäme aber immer nur Standardantworten. Die Mails liegen watson teilweise vor. Sie sagt:

"Es entsteht der Eindruck, dass keinerlei Interesse besteht, die Menschen zurückzuholen."

Ihre Vermutung, warum die Kommunikation mit den Behörden so schlecht verläuft, ist folgende: "Ich denke, sie sind unfähig und überfordert, sie kommen mit der Krise nicht klar. Sie sehen aber anscheinend auch nicht die Dringlichkeit." Ihr Eindruck: Es sei den Behörden wichtiger, Pauschal- oder Rücksacktouristen zurückzuholen als Menschen, die auf Familienbesuch waren. Sie verweist auf die 26 Rückflüge, die die Bundesregierung aus Neuseeland organisiert habe. Es ist klar, welcher Vorwurf damit im Raum steht: Rassismus.

"Diese Menschen sind anscheinend für das Auswärtige Amt nicht so wichtig. Warum gibt es keinen dritten Rückholflug? Warum nicht?"

Besonders kritisch sieht sie die Rolle der deutschen Botschaft in Islamabad. Von anderen deutschen Botschaftern habe sie ganz andere Berichte gehört: "Der (deutsche Botschafter, Anm. d. R.) in Indien hat aktiv nach Menschen gesucht und versucht, sie alle nach Delhi zu bringen. Der hat aktiv gehandelt, hat Reiseveranstalter kontaktiert."

Der deutsche Botschafter in Islamabad dagegen habe bis Ende März gar nicht reagiert. Auf Anfragen per Mail oder Telefon habe er stets geantwortet, es sei keine Rückholaktion für Pakistan vorgesehen. Was sich angesichts der am 31. März und am 4. April erfolgten Flüge als Fehlinformation erwiesen habe. Und über Ostern sei er zunächst gar nicht und dann nur sehr eingeschränkt erreichbar gewesen.

Najeeb Ahmed: "Da fehlt offenbar der Wille"

Warum es keinen weiteren Rückholflug gibt, fragt sich auch Najeeb Ahmed. Der Analyst wohnt in Friedberg und arbeitet bei einem Fondsmanager in Frankfurt. Er war seit Anfang März mit seinem Vater in Pakistan, beide hatten das Glück, mit einem der beiden Rückholflüge nach Deutschland zurückfliegen zu können. "Logistisch dürfte das kein Problem sein", sagt er gegenüber watson. "Da fehlt offenbar der Wille."

Najeeb Ahmed hatte Glück: Sein Vater und er waren bei einem der beiden Rückholflüge dabei.
Najeeb Ahmed hatte Glück: Sein Vater und er waren bei einem der beiden Rückholflüge dabei. Bild: Najeeb Ahmed

Auch er vermutet, dass der pakistanische Background der Menschen ein Grund für das Desinteresse sein könnte. "Zumindest hat die Botschaft in ihren Mails oft darauf hingewiesen, dass die Leute da ja ihre Wurzeln haben, nach dem Motto: Dann ist es ja nicht so schlimm."

Seitdem er wieder in Deutschland ist, engagiert er sich ebenfalls in der Whatsapp-Gruppe. Das Vorgehen der Behörden verstehe er nicht, mit einem Flug könne man die noch verbliebenen 300 Menschen doch locker nach Deutschland holen. "Natürlich muss man die priorisieren, die es am nötigsten haben, aber man kann die anderen doch nicht zurücklassen. Mich haben auch mehrere Unternehmer angeschrieben, die Kurzarbeit für ihre Mitarbeiter anmelden müssen, aber das nicht können, weil sie nicht hier vor Ort sind."

Ganz abgesehen von diesem wirtschaftlichen Aspekt beschäftigt ihn aber noch mehr:

"Jeder Mensch, der hier in Deutschland seinen Lebensmittelpunkt hat, hat ein Anrecht darauf, nach Hause geholt zu werden. Egal, wer. Es ist traurig, dass es für bestimmte Menschen nicht gemacht wird."

Auswärtiges Amt weist Vorwurf zurück, sieht aber "weiteren Bedarf an Ausreisemöglichkeiten"

Warum holt die Bundesregierung die verbliebenen Menschen nicht nach Hause? Warum organisierten die Behörden aus Neuseeland so viele Rückflüge und aus Pakistan so wenige? Werden Touristen gegenüber Menschen, die auf Familienbesuch waren, bevorzugt? Und was sagen die Behörden zu dem Vorwurf, die Menschen in Pakistan seien von der zuständigen Botschaft vor Ort aufgefordert worden, teure und unsichere Rückkehr-Alternativen auf eigene Verantwortung zu versuchen?

Diese Fragen stellte watson den deutschen Behörden. Und was sagen die dazu? Zunächst nicht besonders viel. Die deutsche Botschaft Islamabad verweist nur ans Auswärtige Amt.

Eine Sprecherin des Auswärtigen Amts erklärt schließlich gegenüber watson: "Wir wissen, dass es in Pakistan auch nach den Rückholflügen vom 31.03. und 04.04. noch weiteren Bedarf an Ausreisemöglichkeiten gibt. Richtig ist, dass darunter auch Menschen sind, die sich bereits vor den ersten Rückholflügen registriert hatten."

Den Vorwurf, sich nicht ausreichend um deutsche Staatsbürger und Menschen mit Aufenthaltstiteln zu kümmern, weist man indes zurück. In vielen Fällen sei es bereits in den vergangenen Wochen geglückt, eine Ausreise zu ermöglichen, heißt es aus dem Auswärtigen Amt. Etwa auf Flügen, die von anderen europäischen Ländern organisiert worden seien. Das Auswärtige Amt und die Botschaft Islamabad bemühten sich intensiv, dass nun auch für die verbliebenen Fälle Lösungen für eine zeitnahe Rückkehr nach Deutschland gefunden würden, versichert man.

Außerdem hätten das Auswärtige Amt und die Botschaft Islamabad intensive Gespräche mit Fluglinien geführt, heißt es weiter. Tatsächlich ist am Sonntag in Frankfurt ein kommerzieller Flug aus Islamabad gelandet, mit dem rund 300 Personen zurückkehren konnten. Daneben stehe man auch in engem Kontakt zu anderen europäischen Ländern, auf deren Flügen in den vergangenen Wochen bereits eine mittlere zweistellige Zahl von Deutschen nach Hause zurückgekehrt sei.

Nach erneuter Nachfrage durch watson weist man im Auswärtigen Amt auch den im Raum stehenden Rassismus-Vorwurf zurück. Der Fokus der Charterflüge habe auf der Rückholung von gesundheitlichen Risikogruppen, insbesondere von Menschen mit gemeldeten Vorerkrankungen, gelegen, heißt es.

"Ein eventueller Migrationshintergrund hat bei der Auswahl zu keiner Zeit eine Rolle gespielt."

Es liege aber nahe, dass die Botschaft Touristen ohne Pakistan-Bezug und Personen mit Verbindungen im Land unterschiedliche Ratschläge erteile, heißt es aus dem Auswärtigen Amt weiter. Eine konsularische Betreuung für Betroffene vor Ort umfasse Beratung zu Rückreisemöglichkeiten, aber auch zur Frage einer Unterkunft und Versorgung bis zu diesem Zeitpunkt. "Sie richtet sich dabei immer nach den Umständen im Einzelfall."

Schließlich wehrt man auch die Kritik an den Bemühungen der deutschen Botschaft in Islamabad ab. Die Entscheidung über die Durchführung von Rückholflügen treffe ohnehin das Auswärtige Amt. "Unabhängig davon war die Erreichbarkeit unserer Botschaft in Islamabad auch über die Osterfeiertage gewährleistet."

Die wichtigste Frage jedoch beantworten die Behörden nicht: Warum gibt es keinen dritten Rückhol-Flug?. Das merkte auch Ayesha Khan kritisch auf ihrem Twitter-Account an, nachdem der deutsche Botschafter Bernhard Schlagheck den Rückflug am Sonntag erwähnt hatte.

Auch nach mehrmaligem Nachfragen gibt es dazu aus dem Auswärtigen Amt keine konkrete Antwort. Man verweist lediglich auf bisherige Erklärungen, ohne Details zu nennen.

"Viel zu oft begeben sich Ostdeutsche in eine Opferrolle, in die sie nicht gehören"
Als Ostbeauftragter der Bundesregierung nimmt Staatsminister Carsten Schneider (SPD) auch eine Vermittlerrolle ein.

watson: Verzweifeln Sie manchmal an Ostdeutschland, Herr Schneider?

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