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Nazi-Jägerin Beate Klarsfeld feiert 80. Geburtstag – sie ohrfeigte Kanzler Kiesinger

Beate Klarsfeld im Jahr 1974. Damals stand sie wegen der versuchten Entführung des Nazi-Verbrechers Kurt Lischka vor Gericht.
Beate Klarsfeld im Jahr 1974. Damals stand sie wegen der versuchten Entführung des Nazi-Verbrechers Kurt Lischka vor Gericht.Bild: imago/montage: watson
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Beate Klarsfeld – Die Frau, die einen Bundeskanzler ohrfeigte und Nazis weltweit jagte

Sie hat Nazi-Verbrecher aufgespürt, Bundeskanzler Kurt Georg Kiesinger die wohl bekannteste Ohrfeige der deutschen Geschichte verpasst und 2015 das Bundesverdienstkreuz verliehen bekommen. Nun wird die "Nazi-Jägerin" Beate Klarsfeld 80 Jahre alt.
12.02.2019, 18:25
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"War das die Klarsfeld?" fragt Kurt Georg Kiesingers direkt. Bei einem CDU-Parteitag in Berlin hat sich der Bundeskanzler eine Ohrfeige eingefangen. Die Täterin: tatsächlich die damals 29-jährige Beate Klarsfeld. Die Deutsch-Französin will mit der spektakulären Aktion 1968 gegen Kiesingers Vergangenheit als Nazipropagandist protestieren. "Mein Anliegen war, dass er zurücktreten musste", erzählt Klarsfeld über 50 Jahre später. Dieses Ziel verfehlt sie: Kiesinger regiert bis 1969 und wird dann vom SPD-Politiker Willy Brandt abgelöst.

Direkt nach der Kanzler-Ohrfeige, die sie auf einen Schlag weltberühmt macht, wird Beate Klarsfeld zu einem Jahr Gefängnis verurteilt – muss die Strafe jedoch nicht verbüßen. Bei dieser einen Verurteilung bleibt es allerdings nicht. Gemeinsam mit ihrem französischen Mann Serge macht sich Klarsfeld das Aufdecken ungeahndeter Nazi-Verbrechen zur Lebensaufgabe. Am Mittwoch (13. Februar) feiert sie im Kreis der Familie ihren 80. Geburtstag.

Beate Klarsfeld (unten rechts) 1974.Bild: imago stock&people

Verantwortungslosigkeit im Nachkriegsdeutschland

Als Beate Auguste Künzel wird sie 1939 in Berlin geboren. Ihre Eltern: Hitler-Wähler. Sie seien keine überzeugten Nazis gewesen, schreibt Klarsfeld 1972. Sie hätten aber auch nach dem Krieg keine Verantwortung für das verspürt, was unter der Nazi-Herrschaft geschehen war. Nach dem Krieg wollen Klarsfelds Eltern – und mit ihnen ihre ganze Generation – nicht länger über die Vergangenheit sprechen. Ihre einzige Erklärung für den Zustand der Welt sei gewesen: "Wir haben einen Krieg verloren, und jetzt müssen wir arbeiten." 

1960 geht Beate als Au-Pair nach Paris, beginnt dort, sich mit den Folgen des Nationalsozialismus und mit dem Holocaust zu beschäftigen. Drei Jahre später heiratet sie dort Serge Klarsfeld, dessen Vater im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz ermordet wurde. Gemeinsam beginnen die Klarsfelds ihren Kampf gegen Naziverbrecher, die ungesühnt davon gekommen sind.

Journalistin Beate Klarsfeld mit Ehemann Serge Klarsfeld (Historiker) in ihrer Wohnung in Paris; Aufnahmedatum geschätzt
Beate und Serge Klarsfeld 1988 in ihrer Wohnung in Paris.Bild: imago stock&people

Schon zwei Jahre vor ihrer Parteitags-Ohrfeige nimmt Beate Klarsfeld den frisch gewählt Kanzler Kiesinger ins Visier. Als Journalistin kritisiert sie ihn in mehreren Artikeln für seine Rolle im Nationalsozialismus. Von 1933 bis 1945 war Kiesinger Mitglied der NSDAP, ab 1940 arbeitete er im Reichsaußenministerium, machte dort Karriere und war für den Kontakt zu Joseph Goebbels Propagandaministerium zuständig.

Die Klarsfelds planen eine Entführung

1971 planen Beate und Serge Klarsfeld eine deutlich heiklere Aktion als die Ohrfeige. Sie wollen den Nazi-Verbrecher Kurt Lischka aus Deutschland nach Frankreich entführen, damit er dort vor Gericht gestellt wird. Lischka war für die Deportation Zehntausender französischer Juden nach Auschwitz mitverantwortlich. In Frankreich war er dafür bereits 1950 verurteilt worden, Deutschland lieferte ihn jedoch nicht aus. Ein Gesetz machte es außerdem unmöglich, Lischka für seine Taten in Deutschland erneut zu verurteilen. 

1974 wird gegen die Verurteilung Klarsfelds demonstriert

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1974 wird gegen die Verurteilung Klarsfelds demonstriert
quelle: imago/klaus rose / imago/klaus rose
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Der Entführungsversuch schlägt fehl. Klarsfeld wird zu zwei Monaten Haft verurteilt, nach internationalen Protesten wird die Strafe zur Bewährung ausgesetzt. Wenige Jahre später wird das Gesetz, das Lischkas Verurteilung in Deutschland verhindert, jedoch geändert. Die Recherchen von Beate und Serge Klarsfeld münden 1980 schließlich im "Kölner Prozess". 

Die Nazis Kurt Lischka, Herbert Hagen und Ernst Heinrichsohn werden von einem Gericht der Beihilfe zum Mord an französischen Juden für schuldig befunden. "Die meisten NS-Verbrecher lebten in Deutschland – unter ihrem eigenen Namen", bilanziert Klarsfeld im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur trocken. Den Prozess betrachtet sie noch heute als ihre wichtigste Aktion. Doch diese ist nur eine von vielen. Andere Aktionen führen Beate Klarsfeld nach Syrien, in den Libanon, nach Bolivien oder Chile, wo sie Nazis aufspürte und enttarnte.

Das jahrzehntelange Engagement und die gründliche Recherche von Beate und Serge Klarsfeld führt schließlich zur Verurteilung einer ganzen Reihe an Nazi-Verbrechern.

Präsidentschaftskandidatur, Bundesverdienstkreuz und Kritik

2012 wird Beate Klarsfeld von der Linkspartei gegen Joachim Gauck als Bundespräsidenten-Kandidatin aufgestellt. Es ist eine weitgehend symbolische Nominierung – Gauck erhält bei der Bundesversammlung die ganz überwiegende Zahl der Stimmen.

Die "Nazi-Jägerin" als Bundespräsidentschafts-Kandidatin der Linken.
Die "Nazi-Jägerin" als Bundespräsidentschafts-Kandidatin der Linken.Bild: imago stock&people

Wegen früherer DDR-Kontakte gerät Klarsfeld damals in die Kritik. Sie räumt in ihren Erinnerungen freimütig Zahlungen und Privilegien wie Flugtickets oder Sommerurlaube ein. Sie habe sich aber niemals von irgendjemand instrumentalisieren lassen. 

Das Ehepaar Klarsfeld bekommt am 20. Juli 2015 – dem Jahrestag des Attentats gegen Adolf Hitler – in der französischen Hauptstadt das Bundesverdienstkreuz verliehen. "Die Deutschen werden Dich würdigen, aber erst, wenn du alt bist", hatte Serge seiner Frau schon unmittelbar nach der legendären Kiesinger-Ohrfeige prophezeit. Die unbeugsame Frau nimmt bis heute kein Blatt vor den Mund, warnt vor Rechtsextremismus und Antisemitismus in Europa. 

Ein Motto von ihr lautet:

"Die Geschichte kennt kein Ausruhen."
Beate und Serge Klarsfeld sind noch lange nicht fertig. Dieses Foto zeigt sie im Oktober 2018 im Büro der Klarsfeld-Stiftung in Paris.
Beate und Serge Klarsfeld sind noch lange nicht fertig. Dieses Foto zeigt sie im Oktober 2018 im Büro der Klarsfeld-Stiftung in Paris.Bild: Martina Zimmermann/imago stock&people

(fh/dpa)

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