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"Hartz IV ist heute ein Monster": Betroffene erzählen vom Kampf mit der Armut

Bei Sandra Maischberger ging es um ein Thema, über das die Deutschen ungern sprechen: Armut.
Bei Sandra Maischberger ging es um ein Thema, über das die Deutschen ungern sprechen: Armut.ard-screenshot
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"Hartz IV ist heute ein Monster": Betroffene erzählen Maischberger vom Kampf mit der Armut

26.09.2019, 03:1326.09.2019, 06:36
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Bei Sandra Maischberger ging es um ein Thema, über das die Deutschen ungern sprechen: Armut. Die Angst vor der Armut im Alter treibt Millionen Deutsche um – gleich zu Beginn der Sendung warne der Wirtschaftsexperte Michael Opoczynski: "Es kann immer mehr Menschen treffen."

  • Neben Opoczynski hatte Maischberger den SPD-Politiker Ralf Stegner, der sich mit Gesine Schwan auch für den Vorsitz seiner Partei bewirbt, eingeladen.
  • Die Runde ergänzten die Rentnerin Gisela Quenstedt, die frühere Leiharbeiterin Heike Orzol, der Publizist Oswald Metzger und die Grünen-Nachwuchspolitikerin Sarah-Lee Heinrich, die mit Hartz IV aufgewachsen ist.

Armut, das heißt vor allem auch: Scham. Heinrich hatte es lange nicht gewagt, über die Situation in ihrem Elternhaus zu sprechen: "Wir sagen immer wieder: 'Wer arm ist, ist selbst schuld.' Und wer will denn selber zugeben, ein Verlierer zu sein?"

Rentnerin vor Besuch der Tafel: "Das ist mir sehr schwergefallen"

Vor allem die Angst vor Altersarmut treibt viele Menschen um: Die Rentnerin Quenstedt hat 41 Jahre lang in die Rentenkasse eingezahlt, knapp 1148 Euro hat Quenstedt im Monat zur Verfügung – die Summe aus Rente, Wohngeld und Riesterrente.

Den Großteil verschlingen jedoch bereits ihre Miete von 571 Euro und weitere Nebenkosten. Heute bleiben ihr keine zehn Euro pro Tag.

Quenstedt im Gespräch mit ARD-Moderatorin Sandra Maischberger.
Quenstedt im Gespräch mit ARD-Moderatorin Sandra Maischberger.ard-screenshot

Weil sie sich auch um ihre Söhne oder um die Firma ihres Ex-Mannes kümmerte, zahlte Quenstedt nie voll in die Rentenkasse ein – mittlerweile müsse sie, wie sie erzählte, zur Tafel gehen, um überleben zu können. Sie erinnerte sich: "Das ist mir sehr schwer gefallen."

Quenstedt fährt heute einen radikalen Sparkurs: Dusch- und Regenwasser sammelt sie in Behältern, um damit die Blumen zu gießen. Der Wirtschaftsexperte Opoczynski meinte zu Quenstedts Fall: "Das gibt es sehr oft." Mit Blick auf die Rentnerin und andere bei der Tafel sagte der frühere WISO-Moderator: "Das ist eine Blamage für ein reiches Land wie unseres." In dasselbe Horn stößt auch SPD-Mann Stegner: "Das ist nicht fair."

Den konservativen Publizisten Metzger berührten die Schilderungen der Betroffenen weniger. Er meinte: "Menschen mit einer geringen Qualifikation kann man nicht so gut bezahlen, dass sie im Alter eine lebenssichernde Rente bekommen." SPD-Politiker Stegner hielt dagegen: "Wir müssen doch dazu kommen, dass sich solche Dinge ändern."

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Stegner schlug zur Bekämpfung der Altersarmut eine Anhebung des Mindestlohns und die Einführung der von der SPD schon länger geforderten Grundrente vor.

Die früheren Leiharbeiterin Heike Orzol ist von der Politik enttäuscht: "Ich habe keinen Glauben mehr in die Politik." Die Mutter von vier Kindern zweifelt, ob sie nochmal wählen gehen: "Es wird so viel versprochen, aber es wird nichts gehalten."

Sarah-Lee Heinrich über Aufwachsen mit Hartz IV: "Schrecklicher Teufelskreis"

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Auch die nächste Generation hat Angst vor Armut: Die Grünen-Nachwuchspolitikerin Heinrich berichtete bei Maischberger über ihre Suche nach einer Wohnung.

Heinrichs Mutter bezieht Hartz IV, Geld für eine Kaution konnte Heinrich nie ansparen: "Das hat sich angefühlt, wie ein ganz schrecklicher Teufelskreis." Ihrem Frust ließ Heinrich im vergangenen Jahr auf Twitter freien Lauf – und ging viral.

Die junge Frau sei schon in der Schule gemobbt worden, weil sie arm war: "Man fängt an, das zu verstecken." Heinrich spricht von einer "Scham, einer Bittstellerposition". Sie erinnert sich: "Ich war sauer auf Mama, ich war sauer auf uns."

Lehrer hätten sie angesprochen, wenn ihre Mutter das Geld für Klassenfahrten noch nicht bezahlt hätte: "Dann steht man da in der siebten Klasse, und muss dem Lehrer erklären, dass man Hartz IV bezieht und dass einem das eigentlich sehr leid tut."

Für Heinrich ist heute klar: "Armut ist von Politik gemacht." Für den Wirtschaftsexperten Opoczynski ist klar: "Hartz IV ist heute ein Monster." Heinrich will jetzt in Bonn Politik studieren – das Abitur hat sie mit 1,2 abgeschlossen.

(pb)

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