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Ökonom über Friedrich Merz: "Olaf Scholz wäre bei weitem der bessere Kanzler"

BERLIN, GERMANY - JUNE 17: Finance Minister and vice Chancellor, Olaf Scholz (SPD), speaks during a press conference on the Federal Budget Supplement on June 17, 2020 in Berlin, Germany. The Federal C ...
"Mit Wumms aus der Krise" ist sein Credo: Geht Olaf Scholz' "Bazooka" jetzt nach hinten los? Bild: Getty Images Europe / Pool
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Ökonom zu Scholz: "Bei weitem der bessere Kanzler als Merz"

04.09.2020, 16:1305.09.2020, 09:57
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Nach der "Bazooka" kommt der "Wumms" und nun die Verlängerung der Wirtschaftshilfen und des Kurzarbeitergeldes bis 2021. Olaf Scholz legt ordentlich nach und alle Hebel in Bewegung, um die Wirtschaft durch die Krise zu bringen. Aber kommen die Milliardenhilfen an – oder geht die "Bazooka" möglicherweise nach hinten los?

Vor Kurzem hat Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing davor gewarnt, dass durch die Corona-Rettungspakete Unternehmen am Leben erhalten würden, die sonst schon lange Konkurs gegangen wären. Sogenannte "Zombieunternehmen" seien eine Gefahr für die deutsche Wirtschaft, so Sewing.

Wie groß ist also die Gefahr durch die lebenden Toten? Oder ist die Vorstellung von untoten Unternehmen genauso Fiktion wie Horrorfilme aus Hollywood?

Rüdiger Bachmann ist Wirtschaftsprofessor an der University of Notre Dame in den USA. Er gehört zu einer Gruppe Ökonomen, die sich im Bundesfinanzministerium regelmäßig zu den Coronahilfen beraten. Warum er Olaf Scholz für einen guten Kanzler halten würde und welche Aspekte der Hilfspakete er trotzdem kritisch sieht, erklärt er im Interview.

"Sie müssen sich den Arbeitsmarkt wie eine Dating-App vorstellen."

watson: Der Chef der Deutschen Bank warnte jüngst davor, dass durch die Corona-Maßnahmen der Bundesregierung "Zombieunternehmen" entstehen könnten, also Unternehmen, die eigentlich nicht profitabel sind und nur durch die Hilfen der Bundesregierung künstlich am Leben gehalten werden. Teilen Sie diese Angst?

Rüdiger Bachmann:
Die Gefahr, dass damit nicht-profitable Unternehmen am Leben erhalten werden, kann man natürlich nicht ausschließen. Aber mich würde interessieren, was genau er damit meint. "Zombie-Firmen" sind nämlich gar nicht so einfach zu definieren. Auch die wissenschaftliche Literatur ist sich darüber uneins. Welche Firmen meint er konkret?

Beispielsweise wurde die Lufthansa-Rettung vielfach kritisiert, weil sie unökologisch und veraltet sei…

Klar, aber wollen wir keine deutsche Fluggesellschaft mehr haben? Das kann man natürlich so sehen, aber ist das eine sinnvolle Politik? Da bin ich mir unsicher. Wenn der Deutsche-Bank-Chef die Lufthansa-Rettung für falsch hält, sollte er das sagen, aber nicht solche Worthülsen raushauen.

Er ist mit seiner Kritik an den Wirtschaftshilfen allerdings nicht alleine. Auch andere Institutionen wie das IfW in Kiel warnen, dass durch das Kurzarbeitergeld Unternehmen gerettet werden, die nicht profitabel sind.

Da sind vielleicht Firmen dabei, die in einer reinen Marktwirtschaft, wo lediglich Angebot und Nachfrage den Markt bestimmen, verschwinden würden. Aber selbst in einer reinen Marktwirtschaft wäre es weder wünschenswert noch effizient, massenweise Firmen pleitegehen zu lassen. Firmen als Organisationen haben einen eigenen Wert und vor allem haben sie Mitarbeiter. Wenn während einer Wirtschaftskrise der Arbeitsmarkt mit Arbeitslosen überschwemmt wird, ist das für eine Volkswirtschaft sehr nachteilig.

FRANKFURT AM MAIN, GERMANY - JANUARY 30: Deutsche Bank CEO Christian Sewing speaks to the media during the bank's annual press conference to discuss financial results for 2019 on January 30, 2020 ...
Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing kritisierte, die Wirtschaftshilfen der Bundesregierung sorge für "Zombieunternehmen".Bild: Getty Images Europe / Thomas Lohnes

Trotzdem ist es so, dass durch das Kurzarbeitergeld Konzerne wie TUI, Lufthansa oder VW geholfen wird. Alles Unternehmen, die vielfach in der Kritik stehen, Dinosaurier zu sein, die nicht zukunftsfähig sind und nicht für den bevorstehenden Strukturwandel gerüstet…

Wie oft im Leben gibt es zwei Seiten der Medaille. Auch das Kurzarbeitergeld hat Vorteile und Nachteile. Tatsächlich hat es aber auch Effekte, die den Strukturwandel fördern. Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass die Konjunktur dadurch angekurbelt wird, weil die Leute mehr kaufen werden, als wenn sie arbeitslos wären. Und im Zweifel ist der Strukturwandel einfacher, wenn es den Menschen besser geht. Außerdem verzögert es nachteilige Effekte des Strukturwandels.

Wie das?

Es verhindert eine Verstopfung des Arbeitsmarktes. Sie müssen sich den Arbeitsmarkt wie eine Dating-App vorstellen.

Das müssen Sie mir erklären…

Es müssen sich zwei finden, die sich attraktiv finden – im ökonomischen Sinne, versteht sich. Ein Arbeitgeber sucht einen Arbeitnehmer. Nehmen wir jetzt an, und entschuldigen Sie hier meine männliche, heteronormative Perspektive, Arbeitgeber wären das Äquivalent zu Frauen bei einer Dating-App, dann wären die Arbeitnehmer die Männer. Gibt es jetzt einen Überschuss an Männern und sehr wenige Frauen, dann haben es Männer schwer, eine Frau zu finden. Genauso ist es, wenn sehr viele arbeitslose Arbeitnehmer auf den Arbeitsmarkt strömen, weil zu einem wirtschaftlichen Strukturwandel auch noch eine Wirtschaftskrise kommt, bei der viele Unternehmen pleitegehen. Dann gibt es eine Art Stau. Das Kurzarbeitergeld sorgt dafür, dass das entzerrt wird.

Über Kurzarbeitergeld:

"Da werden möglicherweise schon auch Ferien subventioniert."

Das Institut für Weltwirtschaft Kiel warnt jedoch davor, das Kurzarbeitergeld zu lange zu zahlen, weil es sonst später zu vielfachen Pleiten kommen könnte, die dann wiederum den Arbeitsmarkt überschwemmen…

Klar. Wenn es zu lange geht, dann kann es natürlich auch zu nachteiligen Effekten kommen. Aber wir wissen als Ökonomen darüber viel zu wenig, um das sicher zu sagen. Außerdem ist der Strukturwandel so langfristig, dass das noch nicht absehbar ist und durch das Kurzarbeitergeld wohl eher nicht beeinträchtigt wird. Es ist ja nicht so, dass plötzlich alle Ingenieure von VW zu Tesla wechseln. Neue Technologien und Unternehmer locken eher Uni-Absolventen und Berufseinsteiger an, die dann in diese Bereiche strömen. Da spielt das Kurzarbeitergeld kaum eine Rolle. Ich sehe da eher ein anderes Problem.

Welches?

Gerade jetzt, wo die Pandemie etwas abgeklungen ist, kann es sein, dass weniger gearbeitet wird durch das Kurzarbeitergeld, als wenn der Arbeitgeber das Gehalt zahlen würde. Da werden möglicherweise schon auch Ferien subventioniert. Die Arbeitnehmer haben mehr Freizeit bei immer noch ganz guten Löhnen und die Firmen können die Preise hochhalten, weil das Angebot verknappt wird. Im Endeffekt profitieren damit die Unternehmen und die Mitarbeiter. Leidtragende sind allerdings die Beitragszahler, die kein Kurzarbeitergeld beantragt haben, weil sie doppelt zahlen: Mit höheren Preisen für die Waren und ihren Beiträgen.

"Sollte es zu diesem Duell kommen, wäre Scholz bei weitem der bessere Kanzler."

Olaf Scholz hat das Kurzarbeitergeld jetzt schon auf 24 Monate verlängert. Ist das sinnvoll vor diesem Hintergrund?

Naja, der einzige Grund hierfür ist natürlich, dass nächstes Jahr Bundestagswahlen sind und Olaf Scholz damit Wahlkampf macht. Scholz nutzt sein Vizekanzleramt aus. Das würde aber jeder andere Politiker genauso machen. So läuft das politische Geschäft.

Wie bewerten Sie denn seine bisherige Arbeit als Finanzminister?

Ich bin ein großer Fan seiner Krisenpolitik. Seine beiden Rettungspakete, die "Bazooka" und den "Wumms", halte ich beide für stark. Damit ist Deutschland bisher gut durch die Krise gekommen.

Er ist aktuell Finanzminister und Vizekanzler. Vorher war er Regierender Bürgermeister von Hamburg. Kann er Kanzler?

Er ist ein hervorragender Wirtschaftspolitiker, der auch offen ist für Ratschläge. Es gibt einige andere Themen, die als Kanzler auch eine Rolle spielen und die ich weniger beurteilen kann, aber wenn es um die Wirtschaftskompetenz geht, ja. Ich verweise allerdings darauf, dass Hamburg eine sehr erfolgreich regierte Stadt zu sein scheint, und zwar schon seit langem.

Möglicherweise tritt er nächstes Jahr gegen Friedrich Merz an. Wer wäre aus wirtschaftspolitischer Sicht der bessere Kandidat?

Es ist kein Geheimnis, dass ich von Friedrich Merz‘ sogenannter Wirtschaftskompetenz wenig halte. Sollte es zu diesem Duell kommen, wäre Scholz bei weitem der bessere Kanzler. Auch gesellschaftspolitisch halte ich Friedrich Merz für aus der Zeit gefallen. Er versucht die Bundesrepublik der 1990er Jahre wiederzubeleben. Das ist meiner Ansicht nach keine Zukunftsvision für Deutschland.

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