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Polizei: Experte gibt Rechtsruck zu - "Skandale sind nur Ausschnitt"

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Kriminologe und Polizeiwissenschaftler Martin Thüne.Bild: privat/watson-montage
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Polizei-Experte erklärt: Darum gibt es den Rechtsruck in der Polizei tatsächlich

27.06.2019, 15:1827.06.2019, 18:46
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Rutscht die Polizei nach Rechts? Das hat der CDU-Politiker Friedrich Merz zumindest für die Bundespolizei diagnostiziert. Und sogar Polizeigewerkschafter stimmen ihm zu. Sie führen AfD-Sympathien in der Behörde auf eine fehlende Wertschätzung der Politik für die Arbeit der Polizei zurück. Was ist an dieser Behauptung dran?

Über diese Frage haben wir mit dem Kriminologen und Polizeiwissenschaftler Martin Thüne gesprochen. Thüne hat als Polizist selbst im Schichtdienst gearbeitet und forscht und lehrt heute an der Thüringer Fachhochschule für öffentliche Verwaltung. Daneben arbeitet er in der polizeilichen Extremismusprävention.

(Martin Thüne spricht im nachfolgenden Interview als Privatperson und gibt ausschließlich seine persönliche Auffassung wider.)

watson: Hat Friedrich Merz recht mit seiner Diagnose, dass es in der Polizei, vor allem der Bundespolizei, breite Sympathien für die AfD gibt?
Martin Thüne: Seine Diagnose besteht aus zwei Elementen und er hat nur teilweise recht. Das erste ist eine Symptombeschreibung:

Es gibt, zumindest in Teilen der Belegschaft, offensichtlich einen Rechtsruck.

Diesem Teil würde ich zustimmen. Um diesen Rechtsruck zu sehen, braucht man keine Glaskugel, das zeigen die Skandale, die jetzt auch gehäuft öffentlich diskutiert werden. Und diese Skandale sind nur ein Ausschnitt dessen, was es möglicherweise noch gibt. Es sind natürlich bei weitem nicht alle Kollegen so, aber diesen Rechtsruck sehe ich auch.

Und womit hat Merz unrecht?
Um in dieser medizinischen Sprache zu bleiben: Die Diagnose mag richtig sein, aber die Anamnese ist falsch, oder zumindest sehr oberflächlich. Er führt den Rechtsruck darauf zurück, dass die Polizei zu wenig Wertschätzung erhält und nicht die ausreichenden Mittel hat. Das ist aber mit der Realität nicht in Einklang zu bringen.

Kaum eine andere Berufsgruppe bekommt in Deutschland so viel Aufmerksamkeit.

Und das schlägt sich auch in der Politik nieder. Es gab in den vergangenen Jahren zahlreiche Gesetzesverschärfungen, es gab eine personelle Aufstockung, die Ausstattung wurde verbessert und neue Einheiten wurden geschaffen. Es gibt sogar flächendeckende Gehaltsanpassungen und bessere Beförderungsysteme. Der Rechtsruck fand trotzdem statt.

Merz ist mit seiner Einschätzung aber nicht alleine. Der Vizevorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Jörg Radek, hat ihm beispielsweise Recht gegeben und das mit Versäumnissen der Bundesregierung begründet. Auch er sprach unter anderem von fehlender Wertschätzung.
Gerade aufgrund der immerwährenden Kritik durch die Polizeigewerkschaften hat die Politik einige Forderungen in den letzten Jahren eher übererfüllt. Die Gewerkschaften stellen aber natürlich immer, wenn etwas erfüllt wurde, die nächste Forderung. Das ist ja ganz normal, sie sind Interessenvertretungen, die parteiisch an der Seite ihrer Mitglieder stehen. Schwierig ist aber, dass die Polizeigewerkschaften im öffentlichen Diskurs oft als unabhängige, externe Experten wahrgenommen werden.

Gewerkschaftliche Vertretung ist richtig und wichtig. Gerade mit Blick auf diese Themen spielen die Polizeigewerkschaften meiner Meinung nach aber häufig eine unrühmliche Rolle, weil sie diese ernste Angelegenheit mit ihren klassischen gewerkschaftlichen Forderungen vermengen und damit eine wirkliche Problemanalyse verhindern. Sie tun auch vielen ihrer Mitglieder damit unrecht.

Denn es gibt durchaus viele Kollegen, die sich einen Wandel hin zu einer progressiveren Polizei wünschen.

Für die sprechen die Gewerkschaften aber meist nicht.

Wodurch lässt sich der Rechtsruck in der Polizei denn dann erklären?
Ich sehe neben individuellen auch strukturelle Ursachen in den Behörden. Im Gegensatz zu anderen Berufen gibt es in der Polizei kaum Präventionssysteme, die dafür sorgen, dass die Beamten regelmäßig über ihren schwierigen Arbeitsalltag sprechen. Viele Polizeibeamte haben den Eindruck, dass die Situation immer schlimmer wird, und dass die Kriminalität zunimmt. Das ist in anderen Berufsgruppen ähnlich, zum Beispiel bei Sozialarbeitern, Bewährungshelfern oder Psychiatern, die ähnlich wie Polizisten vor allem in Krisen zum Einsatz kommen. Dort ist aber kein Rechtsruck in dem Ausmaß feststellbar. Das liegt meiner Meinung nach unter anderem daran, dass diese Berufsgruppen gelernt haben, professionell mit den vermeintlichen, aber für diese Berufe eigentlich "typischen" Enttäuschungen umzugehen – zum Beispiel indem sie Supervisionsmaßnahmen anbieten, auch ohne dass es einen konkreten Anlass braucht. Das ist bei der Polizei regelmäßig nicht so. Viele Beamte bleiben dadurch dauerhaft in ihrem weitgehend negativen Berufsalltag verhaftet. Und diese Sicht wird dann auch noch durch die Polizeigewerkschaften verstärkt, die ständig sagen: "Es ist so schwierig und ihr bekommt zu wenig Wertschätzung."

Die Institution Polizei ermöglicht es, Macht auszuüben. Zieht sie deshalb grundsätzlich Menschen an, die anfällig für autoritäres Gedankengut sind?
Die Polizei wird teils als uniformierte und bewaffnete Organisation gesehen, die das Gewaltmonopol ausübt. Es ist sicherlich so, dass sie deshalb weniger Leute anzieht, die politisch links verortet, oder extrem liberal oder pazifistisch sind. Das ist auch ein Stück weit logisch. Die Frage ist, wie man damit umgeht, und ob man Anreize bietet, dass auch solche Leute den Weg in den Polizeidienst finden. Es gibt durchaus Menschen, die aus sozialen Aspekten zur Polizei gehen, und die sagen: "Ich möchte was für die Gesellschaft tun und mich dafür einsetzen, dass es sicher bleibt und allen gut geht." Hier sind nicht nur Hardliner unterwegs.

Durch die berufliche Sozialisation entwickeln sich manche Leute im Verlauf der Jahre aber in diese Richtung. Das hängt u.a. mit den typischen, negativen Erfahrungen im Berufsalltag zusammen und damit, dass es kein Gegengewicht gibt. Bei der Auswahl der Bewerber wird schon sehr genau darauf geachtet, und auch in der Ausbildung wird sehr viel versucht. Die dauert aber nur zwei bis drei Jahre. Danach kommen mehrere Jahrzehnte Berufsalltag. Wenn dort keine Präventionsmaßnahmen getroffen werden, besteht die Gefahr, dass die die guten Effekte vom Anfang schnell verpuffen.

Was können Polizeibehörden tun, um stärker gegen Rechtsextreme in den eigenen Reihen vorzugehen?
Wir brauchen, wie gesagt, permanent begleitende Präventionsmaßnahmen im Berufsalltag. Notwendig wäre aber auch die Installation von externen Polizeibeauftragten. An solche Stellen könnten sich sowohl Polizeibeamte als auch Bürger wenden, mit dem Wissen: Die sind unabhängig und nicht von den Interessen der Behörde geleitet.

Außerdem muss das Thema zur Chefsache gemacht werden.

Die Vorgesetzten müssen ganz klar machen, was geht, und was nicht – auch die politischen Vorgesetzten. Vom Innenminister bis zum Polizeipräsidenten. Und sie müssen das nicht nur sagen, sondern auch konsequent umsetzen.

Was auch hilft, und was einige Länder nach dem NSU auch gemacht haben, ist die Einführung von Stellen, die sich mit der Prävention von jeglicher Form der politisch motivierten Kriminalität beschäftigen. Die müssen nicht nur auf die Bevölkerung, sondern auch in die eigene Organisation hineinschauen. Und sie müssen das Personal, die Instrumente und den Rückhalt haben, dass sie im Zweifelsfall auch einschreiten können.

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