Bei "Hart aber fair" läutete ARD-Moderator Frank Plasberg am Montagabend die EU-Untergangsstimmung ein. Der Anlass: Die Staats- und Regierungschefs hatten sich in der vergangenen Woche für die CDU-Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als EU-Komissionschefin ausgesprochen – und eben nicht für einen von den Parteien vor der Wahl nominierten Spitzenkandidaten.
Mit der Wut über Entscheidungen in Brüssel lassen sich in Deutschland schon seit Jahren große Schlagzeilen und ganze Talk-Sendungen füllen. Bei "Hart aber fair" scheint mancher zu denken: Je mehr EU-Wut, desto besser.
In einer Bauchbinde nannte das TV-Talk-Team die Sendung noch "EU-Postengeschacher: Kungelei oder Wählerwille?" – eine offene Frage also. Die Bauchbinde wurde auch in der Show eingeblendet.
Online kam der Sendungstitel dann auch ohne Fragezeichen aus. Aus der Frage wurde eine Behauptung: "EU-Postengeschacher: Kungelei statt Wählerwille". Knallt schön, ein Sendungsthema wie ein Wahlplakat-Slogan.
Dieser kleine Fehler veranschaulicht auch ganz gut, worum es in der Sendung vorrangig gehen sollte: ums Schimpfen über das angebliche Postengeschacher in der EU. Auf dieses Thema kam Moderator Plasberg auch immer wieder zurück in der Sendung.
Der Kabarettist Freitag durfte sich zu Beginn der Sendung gleich als Stimme des einfachen Mannes aufführen. Er sei "sehr verärgert" über die Entscheidung von der Leyen, er denke dabei auch an das Publikum. Denn der Wähler habe vor der EU-Wahl nicht absehen können, dass die nominierten Spitzenkandidaten keine Chancen auf den EU-Spitzenposten haben würden.
Freitag warnt: "Das Volk wird die Demokratie nicht an die Wand fahren, sondern die Politik." Der CDU-Politiker Caspary entfuhr: "Wir sind genauso schockiert wie die Wählerinnen und Wähler." Seine erste Reaktion auf die Entscheidung von der Leyen sei "Fassungslosigkeit" gewesen, für sie stimmen will er in Brüssel dennoch. Man müsse Realitäten zur Kenntnis nehmen.
Plasberg erinnert Caspary daran, dass er als Parlamentarier von der Leyen ja auch nicht wählen könnte. Der CDU-Politiker kneift kurz die Augen zusammen, und dann entweicht ihm ein entlarvender Satz: "Ja, aber es wird doch nichts besser. An dem Nein von Präsident Macron, Victor Orban und Pedro Sánchez zu Manfred Weber wird sich nichts ändern."
Caspary will also für von der Leyen stimmen, weil sie die einzige Möglichkeit ist. Von der Leyen sei dennoch eine hervorragende Ersatzlösung – meint Caspary, und sagt: "Dort, wo sie machen kann, kriegt sie die Sachen hin."
SPD-Politiker Michael Roth nennt das Verhalten der EVP "beschämend" – Caspary geht flugs in die Gegenoffensive: "Es gibt zwei Fraktionen, die in den letzten Wochen im Europaparlament versagt haben, und eine davon ist Ihre."
Als die Grünen-Politikerin Ska Keller gerade damit beginnt, über Inhalte reden zu wollen, unterbricht sie Plasberg: "Ja, aber was hat denn Frau von der Leyen gesagt heute?" Und fragt direkt nach, als Keller vom Gespräch der Grünen mit von der Leyen berichten will: "Ja, gab's denn Kaffee?"
Plasbergs Vorgehen nervt Keller sichtlich: "Ich war ja selbst Spitzenkandidatin bei den Grünen, haben Sie vorhin nicht erwähnt."
Dann wird es albern: Plasberg setzt Keller mit diesen Fragen nach: "Wie viel Sprachen können Sie denn?", "Ja, wie viele denn?", "Zwei oder drei?".
Seit gut einer Viertelstunde kloppen sich die Politiker bereits um die Auslegung der von der Leyen-Entscheidung, als der "Zeit"-Journalist Matthias Krupa meint: "Wir mischen gerade die Diskussion über den oder die richtige Kandidatin mit der Frage des Verfahrens. Auch auf die Gefahr hin mich unbeliebt zu machen, würde ich gerne nocheinmal über das Verfahren sprechen."
Krupa meint: "Ein Teil der Enttäuschung geht an das Europaparlament selber, und an diejenigen, die dieses Spitzenkandidaten-Prinzip unter falschen Annahmen und unter falschen Voraussetzungen betrieben haben."
Darüber will aber nur Krupa sprechen, der Rest beschäftigt sich lieber mit Personen-Streitigkeiten. Als die EU-Parlamentarier Caspary und Roth sich dann doch mal wegen des Ablaufs des Personalverfahrens in die Haare kriegen wollen, besänftigt Plasberg mit der Ruhe mit eines erfahrenen Grundschullehrers: "Jetzt haben wir eine Situation, die den ein oder anderen Zuschauer überfordert. Denn die Feinheiten der Brüsseler Politik, die gehen vielleicht bei manchem Zuschauer nicht genug in die Tiefe", sagt Plasberg und verschiebt die Streitigkeiten wieder Richtung von der Leyen. Damit weiter über "Küngelei statt Wählerwille" in Brüssel diskutiert werden kann.