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Rechte verbreiten Zweifel am Suizid des "Hogesa"-Aktivisten Marcel K. – der Faktencheck

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dpa/montage:watson
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Rechte verbreiten Zweifel am Suizid eines "Hogesa"-Aktivisten – der Faktencheck

21.09.2018, 15:4721.09.2018, 15:56
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Am Mittwochabend findet ein Passant einen Mann mit mehreren Stichverletzungen tot in der Mönchengladbacher Innenstadt. Bei dem Toten handelt es sich um den bundesweit bekannten Rechtsextremisten und "Hogesa"-Mitgründer Marcel K. Es dauert nicht lange, bis Rechtsextreme zu einem "Trauermarsch" aufrufen. Im Vorfeld dieses Marsches tauchen im Internet bereits einzelne Aufrufe auf, die "Mörder zu jagen".

Nach aktuellen Erkenntnissen gibt es aber gar keine Mörder, die gejagt werden könnten: Am Donnerstagnachmittag geben Polizei und Staatsanwaltschaft das Obduktionsergebnis K.s bekannt. Der 32-Jährige soll sich selbst getötet haben.

Das aber glauben nicht alle. Seit der Polizeimitteilung verbreiten sie online zu tausenden Zweifel an den Ermittlungsergebnissen und eigene Theorien rund um den Tod K.s.

Mittlerweile ist im ganzem Umfang klar: An diesen Verschwörungstheorien ist nichts dran. Das sagt die Polizei, die die Aufnahmen einer Überwachungskamera ausgewertet hat. Und das sagt ein unabhängiger Experte, mit dem watson gesprochen hat.

Bei dem Toten handelte es sich um einen gut vernetzten rechtsextremen Aktivisten.

So wird aus einem Suizid ein "Messermord"

Bereits vor der Bekanntgabe des Obduktionsergebnisses verbreiten Rechtsextremisten die Behauptung, es habe sich bei dem Todesfall um einen Mord gehandelt. Hintergrund vieler Spekulationen ist eine erste Aussage der Polizei, eine Fremdeinwirkung nicht völlig ausschließen zu können.

Der Betreiber des rechtsextremen Blogs "Halle-Leaks" etwa behauptet am Mittwochabend zunächst, Islamisten hätten K. erstochen.

Das sah so aus:

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screenshot: watson

In einem weiteren Eintrag auf der Seite wird dann am Donnerstag spekuliert, eine "steuerfinanzierte Staats-Antifa" könnte hinter dem Tod stecken. Belege dafür liefert die Seite nicht – sie ist für die Verbreitung rechtsextremer Falschmeldungen bekannt. Regelmäßig postet ihr Betreiber, Sven Liebich, etwa gefälschte Politikerzitate. Erst kürzlich musste sich ein CSU-Ortsverband öffentlich entschuldigen, weil er so ein falsches Zitat des Grünen-Politikers Anton Hofreiter bei Facebook teilte.

Mit der Bekanntgabe der Todesursache durch Polizei und Staatsanwaltschaft am Donnerstagmittag nehmen diese Behauptungen und Spekulationen jedoch keineswegs ein Ende.

Im Gegenteil – sie gehen erst richtig los.

Kurz nach der Bekanntgabe häufen sich auf Twitter Tweets, die den Suizid Marcel K.s anzweifeln und teilweise sehr offen Verschwörungstheorien über dessen Tod verbreiten. Vielfach werden dabei Parallelen zum Todesfall in Köthen gezogen. Dort war ein junger Mann nach einer Auseinandersetzung an einem Herzversagen gestorben. Auch hier schürten Rechte und Rechtsextreme Zweifel an der Todesursache.

So wie hier:

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screenshot: watson

Ein Drittel der Tweets verbreitet Zweifel und Verschwörungstheorien

watson hat die Tweets mit dem Hashtag "Mönchengladbach" vom Zeitpunkt der Veröffentlichung der Polizei-Pressemitteilung bis zum frühen Freitagmorgen (05:52 Uhr) ausgewertet. Knapp jeder dritte davon zieht den Suizid K.s in Zweifel.

Auch rechte und rechtsextreme Parteien, Politikern und Aktivisten mit teilweise fünf- und sogar sechsstelligen Followerzahlen verbreiten solche Theorien.

Darunter ist etwa die NPD, die gleich mehrere Posts zum Thema mit den 167.186 Menschen teilt, denen ihre Facebookseite gefällt. Der erfolgreichste dieser Posts wurde seitdem bereits über 1000 Mal geteilt.

Das schrieb die NPD:

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screenshot: watson

Auch der Chef der rechtsextremen "Identitären Bewegung" in Österreich, Martin Sellner, äußerte öffentlich Zweifel am Suizid Marcel K.

Er veröffentlichte dazu mehrere Tweets (Sellner hat auf Twitter mehr als 29.800 Follower) und verschickte gleichlautende Nachrichten auf seinem Kanal in der Messenger-App Telegram, der von 6.500 Menschen abonniert wird.

Das schrieb Sellner:

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screenshot: watson

Rechte Onlinemedien wie "Journalistenwatch" und "Philosophia Perennis" schüren ebenfalls Zweifel an den Todesumständen. In einem Beitrag zitiert "Philosophia Perennis"-Betreiber David Berger etwa mehrere anonymisierte und teils wirr klingende Facebook-Posts.

Eine Einordnung liefert er nicht:

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 screenshot: watson

Auch der Kreisverband der AfD im niedersächsischen Salzgitter mischt sich ein.

Er veröffentlicht einen Tweet, in dem den Behörden unterstellt wird, sie würden Lügen.

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screenshot: watson

Zusammengefasst: Zweifel am Suizid Marcel K. und Verschwörungstheorien über einen vermeintlichen Mord an ihm werden vielfach geteilt. Unter den Verbreitern dieser Behauptungen sind AfD-Accounts, rechte Aktivisten sowie klassische Neonazis. Sie erreichen mit ihren Facebook-Posts, Tweets und Artikeln insgesamt viele Tausend Menschen.

Aber was ist an den Vorwürfen dran?

Drei häufig aufgestellte Behauptungen sind:

  1. Ein Suizid mit mehreren Messerstichen sei ungewöhnlich – oder sogar unmöglich.
  2. Die Obduktion der Rechtsmedizin Düsseldorf sei am Donnerstagnachmittag "viel zu schnell abgelaufen".
  3. Vor Ort habe es Überwachungskameras gegeben, die die Tat gefilmt haben müssten. Das Videomaterial würde aber vertuscht.

Unsere Recherchen zeigen jedoch: Alle drei Behauptungen lassen sich widerlegen.

Mehrere Messerstiche können kein Suizid sein? Falsch!

watson hat mit dem stellvertretenden Institutsleiter und Oberarzt des Institut für Rechtsmedizin des Universitätsklinkums Essen gesprochen. Andreas Freislederer hat mehr als 30 Jahre Erfahrung mit Suiziden – auch mit Messern.

Der Oberarzt sagt:

"Es ist sogar sehr typisch, dass Suizide mit mehreren Messerstichen begangen werden. Fälle mit nur einem Stich sind selten."

Weiter erklärt er, dass sich die Betroffenen normalerweise zunächst so genannte "Probierstiche und Zauderverletzungen" zufügen, um herauszufinden, wie schmerzhaft die eigentliche Tat sein wird.

"Ich kann mich auch an Fälle erinnern, wo es tiefe Stiche im Brust- und Bauchraum gegeben hat, die aber einfach noch nicht ausreichten", sagt Freislederer. Erst ein finaler Stich, etwa ins Herz oder in eine Atterie, würde dann den Tod auslösen.

Freislederer fasst zusammen:

"Die Aussage, ein  Suizid mit mehreren Messerstichen müsse eine Verschwörung sein, ist selbst eine Verschwörung.“
Hast du suizidale Gedanken? Lass dir helfen!
Bestimmte Dinge beschäftigen dich im Moment sehr? Du hast das Gefühl, dich in einer ausweglosen Situation zu stecken? Wenn du dir im Familien- und Freundeskreis keine Hilfe suchen kannst oder möchtest – hier findest du einige anonyme Beratungs- und Seelsorgeangebote:

Telefonseelsorge: Unter 0800 – 111 0 111 oder 0800 – 111 0 222 erreichst du rund um die Uhr Mitarbeiter, mit denen du über deine Sorgen und Ängste sprechen kannst.Auch ein Gespräch via Chat oder E-Mail ist möglich. telefonseelsorge.de

Kinder- und Jugendtelefon: Der Verein "Nummer gegen Kummer" kümmert sich vor allem um Kinder und Jugendliche, die in einer schwierigen Situation stecken. Erreichbar montags bis samstags von 14 bis 20 Uhr unter der Rufnummer 116 111. nummergegenkummer.de

Muslimisches Seelsorge-Telefon: Die Mitarbeiter von MuTeS sind 24 Stunden unter 030 – 44 35 09 821 zu erreichen. Bei MuTeS arbeiten qualifizierte Muslime ehrenamtlich. Ein Teil von ihnen spricht auch türkisch. mutes.de

Hier findest du eine Übersicht aller telefonischer, regionaler, Online- und Mail-Beratungsangebote in Deutschland: suizidprophylaxe.de

Die Obduktion ist für die Tat zu schnell verlaufen? Falsch!

Auch zu der Annahme, die Obduktion sei zu schnell abgelaufen, hat der erfahrene Rechtsmediziner eine klare Meinung: "Das ist quatsch."

Ein ausgebildeter Rechtsmediziner könne in kürzester Zeit feststellen, ob es beim Opfer "Probierstiche und Zauderverletzungen" gebe. Freislederer sagt: "Das lässt sich alles mit dem Auge sehen."

Würden dann zusätzlich keinerlei Hinweise auf äußere Einwirkungen vorliegen, etwa wegen des Festhaltens durch eine dritte Person, dann seien die Befunde normalerweise eindeutig und ein Arzt könne sie sofort der Staatsanwaltschaft mitteilen.

Einen Einwand hat Freislederer:

"Anders ist es beim Einfluss von Alkohol und Drogen, Ergebnisse über solche toxikologischen Einwirkungen kommen aus dem Labor und dauern deshalb länger."

Die Kameras wurden nicht ausgewertet? Falsch!

Bereits am Donnerstag hat die Polizei die Aufnahmen einer Überwachungskamera am Fundort der Leiche ausgewertet. Es handelt sich um mehr als anderthalb Stunden Videomaterial, das die Beamten "Sekunde für Sekunge" gesichtet hätten. Das hat die Polizei Mönchengladbach am Freitagnachmittag auf einer Pressekonferenz klargestellt.

Auf den Aufnahmen sei zu sehen, wie Marcel K. gegen 15:30 Uhr am Mittwoch einen abgetrennten Bereich vor dem Museum Abteiberg betritt. Erst gegen 17:10 sei ein weiter Mann ins Bild getreten – der Finder der Leiche, der auch den Notarzt verständigt hat.

Ansonsten habe niemand den Bereich betreten können, einen weiteren Zugang gebe es nicht. Auch deshalb schließt die Polizei ein Tötungsdelikt aus.

Die Polizei nennt noch weitere Gründe, die dafür sprechen, dass es sich um einen Suizid handelt: 

  • Alle Stiche seien in einem Körperbereich gefunden worden, an der der Mann selbst heran gekommen sei. Im Rücken gab es keine Stiche.
  • Neben der Leiche sei ein Antidepressivum gefunden worden, das auch Angst- und Schmerzen lindert. Die Polizei geht davon aus, dass K. große Mengen des Medikaments zu sich genommen hat. Ein toxikologischer Befund stehe allerdings noch aus.
  • Einen Tag vor seinem Suizid sei K. mit Panikzuständen bei einem Arzt gewesen und habe eine Überweisung in eine Tagesklinik erhalten. Dort war er nie aufgetaucht.
  • Er sei auch bei der Polizei gewesen, weil er sich von einer ominösen Gruppe aus Bremen verfolgt gefühlt habe. Der Leiter der Mordkomission stellt klar: "Wir haben das überprüft, das stimmte nicht."
  • Das verwendete Messer sei am Tatort festgestellt worden. Es handele sich dabei um ein handelsübliches Klappmesser.
Zusammengefasst: Es gibt keinerlei Hinweise auf eine Manipulation durch Polizei und Rechtsmedizin.
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