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Internet: "Es wird nicht funktionieren, und wenn doch, interessiert es keinen"

Auf dieser Sigma 7 an der University of California in Los Angeles wurde vor 50 Jahren die erste Internet-Verbindung aufgebaut.
Auf dieser Sigma 7 an der University of California in Los Angeles wurde vor 50 Jahren die erste Internet-Verbindung aufgebaut. Bild: Youtube / sCreenshot
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50 Jahre Internet: "Es wird nicht funktionieren, und wenn doch, interessiert's keinen"

Bis Ende der 60er-Jahre tauschten Forscher ihre Daten per Post aus. Am 29. Oktober 1969 kommunizierten zum ersten Mal zwei entfernte Computer miteinander. Das Internet ward geboren. Es macht Schlaue schlauer – und Dumme lauter.
29.10.2019, 18:05
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Der Logbuch-Eintrag eines jungen Informatik-Studenten an der "University of California" in Los Angeles vor 50 Jahren klingt wenig spektakulär.

"Mit Stanford Research Institute gesprochen – von Host zu Host."

Tatsächlich markiert die Verbindung zwischen zwei entfernten Uni-Rechnern in Kalifornien die Geburtsstunde des Internets.

In diesem Labor an der University of California in Los Angeles gelang am 29. Oktober 1969 die erste Internetverbindung:

Am Anfang stand ein Absturz

Damals versuchte der Informatik-Student Charles S. Kline, eine Nachricht von einem Computer an der University of California in Los Angeles (UCLA) an einen mehr als 500 Kilometer entfernten Rechner am Stanford Research Institute (SRI) zu senden. Eigentlich wollte Kline das Wort "LOGIN" übertragen. Aber schon nach zwei Buchstaben crashte das System. Zunächst kam also nur "LO" an. Eine Stunde später konnte die vollständige Botschaft übermittelt werden.

Wichtiger als die Mondlandung

Bis dahin konnten nur Computer gleicher Bauart miteinander kommunizieren. "Vor 50 Jahren gelang es erstmals, dass auch Rechner mit unterschiedlichen Betriebssystemen Informationen austauschen können", ordnet Prof. Christoph Meinel, Wissenschaftlicher Direktor am Hasso-Plattner-Institut (HPI) in Potsdam, die historische Bedeutung ein.

"Daher gilt der 29. Oktober 1969 als der Geburtstag des Internets."
Prof. Christoph Meinel

Während die Mondlandung live im TV übertragen würde, bekam kaum jemand die historische Tat an der UCLA mit. Selbst den beteiligten Wissenschaftlern war die Tragweite nicht klar.

"Wir wussten, dass wir eine wichtige neue Technologie entwickeln, von der wir erwarteten, dass sie für einen Teil der Bevölkerung von Nutzen sein würde, aber wir hatten keine Ahnung, wie bedeutsam das Ereignis war", sagte der Vorgesetzte von Kline, Leonard Kleinrock, später.

Der US-Elektroingenieur Leonard Kleinrock gilt als einer von mehreren "Vätern das Internets". Der Interface Message Processor (IMP) im Bild wurde zum Senden der ersten Internet-Nachricht "LOGIN" genutzt:

Die Landung auf dem Mond vor 50 Jahren überstrahlt im historischen Rückblick auf revolutionäre technische Entwicklungen des Jahres 1969 alle anderen Ereignisse. Doch schaut man sich die wirtschaftlichen und politischen Auswirkungen des Internets an, dürften diese noch größer ausgefallen sein als der Sieg der USA im Wettlauf zum Mond.

Sputnikschock als Wegbereiter des Internets

Vorläufer des Internet waren im Grunde die afrikanischen Trommelketten und die indianischen Rauchzeichen. Aber den entscheidenden Anstoß gab der sogenannte Sputnikschock: Nachdem die Russen am 4. Oktober 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik in die Umlaufbahn geschossen hatten, begannen die USA wie wild zu rotieren. Es durfte nicht sein, dass der Kommunismus den Wettlauf ins All gewann.

Sputnik satellite on earth orbit.
Den Anstoß zur Entwicklung des Internets gab 1957 der Sputnikschock.vcBild: iStockphoto

Also wurde wie wild Geld in die technologische Forschung gepumpt. Präsident Lyndon Johnson gab im September 1965 die Richtlinie aus, dass bei der Verfolgung der weit gesteckten Ziele der Forschungsbehörde ARPA (Advanced Research Projects Agency) auch Grundlagenforschung ohne direkten militärischen Anwendungsbezug finanziert werden sollte. Die schier unbegrenzten Mittel ermöglichten die Entwicklung des Arpanet, des vorerst rein universitären Vorläufers des Internets.

Fatale Fehleinschätzung

Die verschiedenen Universitäten, die im Dienste des amerikanisch-russischen Technologiewettlaufs forschten, tauschten ihre Daten damals noch per Post aus. Disketten gab es erst ab 1969, Fax ab 1974.

Es wäre doch praktisch, wenn man via Telefonleitung Daten hin- und herschicken könnte, dachte sich der Ingenieur Leonard Kleinrock von der "University of California" in Los Angeles.

"Sie haben mir gesagt, es würde nicht funktionieren, und falls doch, hätte ohnehin niemand Interesse daran."
Leonard Kleinrock, Elektroingenieur und Informatiker

Ein Schlüssel dafür war die Fähigkeit, Informationen in kleine digitale Datenpakete herunterzubrechen und auf diese Weise versandfähig zu machen. Kleinrock hatte darüber bereits 1962 eine Doktorarbeit vorgelegt. Als er seine Idee den Telefongesellschaften zum Kauf anbot, wies man ihn schnöde ab.

"Sie haben mir gesagt, es würde nicht funktionieren, und falls doch, hätte ohnehin niemand Interesse daran", berichtete Kleinrock später. Falsch gedacht: Inzwischen haben fast vier Milliarden Menschen weltweit Internetzugang. "Ich hätte niemals erwartet, dass meine Mutter später noch mit 99 Jahren das Internet nutzen würde", sagte selbst Kleinrock anlässlich des 40-Jahre-Jubiläums.

Panne schon beim zweiten Buchstaben

Nachdem die Telefongesellschaften das Potenzial des Echtzeit-Datentransfers so sträflich unterschätzt hatten, fanden Kleinrock und sein Team Zuflucht bei der ARPA, die dank des Sputnik-Schocks Geld wie Heu hatte.

Auf dieser Sigma 7 an der University of California in Los Angeles wurde vor 50 Jahren die erste Internet-Verbindung aufgebaut.
Auf dieser Sigma 7 an der University of California in Los Angeles wurde vor 50 Jahren die erste Internet-Verbindung aufgebaut.Bild: Youtube / computerhistorymuseum / Screenshot

Die erste Internetverbindung am 29. Oktober 1969 floppte: Die Informatiker wollten das Wort "LOGIN" übertragen. Doch schon beim "O" in "LOGIN" hängte sich der Computer auf. Rund eine Stunde und mehrere Versuche später klappte es: Ein Computer an der University of California in Los Angeles (UCLA) kommunizierte mit einem Computer der Stanford University nahe San Francisco. Bis Jahresende entstand ein kleines Netzwerk mit zusätzlichen Rechnern in Santa Barbara und Utah.

Die beiden Männer, die damals symbolisch den Schlüssel zu der vernetzten Welt drehten, waren zwei junge Programmierer: Charley Kline an der UCLA und Bill Duvall am Stanford Research Institute SRI in Nordkalifornien. Anlässlich des 40-jährigen Jubiläums des Internets im Jahr 2009 schilderten sie den denkwürdigen Moment im Video. Kline gibt dabei unumwunden zu, dass er und seine Kollegen sich der Tragweite in keinster Weise bewusst waren: "Ich freute mich einfach, dass es funktionierte, so wie ich mich über jedes Programm freute, das funktionierte. Wir haben den Moment nicht als speziell bedeutsam wahrgenommen und auch nicht gefeiert."

"Wait a minute, my system crashed"

Charley Kline und Bill Duvall erinnern sich an den historischen Moment. (Das Video wurde 2009 zum 40. jährigen Jubiläum veröffentlicht.)Video: YouTube/Computer History Museum

Lange Anlaufzeit

Das Netzwerk entwickelte sich langsam. Erst 1973 wurde Europa angeschlossen. Noch in den frühen 1990er Jahren war das Netz nur wissenschaftlichen Experten bekannt.

Es dauerte Jahre, bis das Internet stärker in den Alltag der Menschen vordrang. Als sich die Anwender 1971 erstmals Nachrichten in Form einer E-Mail schicken konnten, hatte das Advanced Research Projects Agency Network (ARPANET) nur 15 Knoten. Zwei Jahre später wurden die ersten Verbindungen mit Rechnern außerhalb der USA in Oslo und London aufgebaut.

Es dauerte dann noch einmal zehn Jahre, bis ein wichtiger Meilenstein in der Geschichte des Internets erreicht wurde, um die Qualität der Datenverbindungen zu verbessern: 1983 wurde das TCP/IP-Protokoll eingeführt, mit dem im Prinzip noch heute Daten übertragen werden. Bei diesem Verfahren werden die Nachrichten zunächst in kleine Pakete aufgeteilt, dann unabhängig voneinander im Netz übertragen und beim Empfänger wieder zusammengesetzt. Die grundlegende Entwicklungsarbeit an dem TCP/IP-Protokoll hatten die US-Wissenschaftler Robert Kahn und Vint Cerf geleistet.

So sieht der Raum mit den Rechnern aus, mit denen 1969 an der UCLA die erste Internetverbindung gelang.

Welche Rolle spielte das Militär?

Beim Design des Netzes spielten auch Forderungen der Militärs eine Rolle. Das US-Verteidigungsministerium wollte ein Netzwerk haben, das auch großflächigen Ausfällen nach feindlichen Angriffen standhalten kann. Der Legende nach wurde das ARPAnet, das "alte Internet", im Kalten Krieg entwickelt, um die Kommunikation während eines Atomkriegs aufrecht zu erhalten. Effektiv diente das ARPAnet primär dazu, die Universitäten untereinander zu vernetzen, um die damals extrem teuren Großrechner effizient auslasten zu können.

Auch Prof. Meinel vom Hasso-Plattner-Institut glaubt, dass der militärische Aspekt bei der Entwicklung des Internets überschätzt wird. Die Entwicklung sei zwar in der Defense Advanced Research Projects Agency (DARPA) angesiedelt gewesen, die dem US-Verteidigungsministerium unterstand.

"Die DARPA war innerhalb der staatlichen Verwaltung aber vor allem die Stelle, die Dinge unbürokratisch finanziell fördern konnte, wenn sie wichtig genug erschienen. Die DARPA hat viele Wissenschaftler mit innovativen Projektideen arbeiten lassen. Und die Universitäten haben dankbar dieses Geld für ihre Forschungsförderung genommen", so Prof. Meinel.

Der Geburtsfehler: Mangelnde Sicherheitsfunktionen

Dass eher die Wissenschaftler als die Militärs die Eigenschaften des Internets definierten, kann man auch an einem gravierenden Mangel ablesen, der es bis heute plagt. In dem Protokoll gibt es quasi keine eingebauten Sicherheitsfunktionen.

"Eigentlich gibt es die Vorgabe, dass jeder jedem im Netz vertraut", sagte Grant Blank vom britischen Oxford Internet Institute der Zeitschrift "New Scientist".

Dieser Geburtsfehler erleichtert bis heute Kriminalität und Spionage, aber auch Desinformations-Kampagnen und Hass-Rede im Internet.

WWW: Die "Killer-Anwendung" des Internets

News Bilder des Tages (190312) -- GENEVA, March 12, 2019 -- World Wide Web inventor Tim Berners-Lee delivers a speech during an event marking 30 years of World Wide Web at the CERN in Meyrin near Gene ...
Ab 1989 kreiierte der Brite Tim Berners-Lee am CERN in Genf das Datenaustausch-System World Wide Web (WWW).Bild: www.imago-images.de

Bis Anfang der 90er Jahre kamen die maßgeblichen Impulse der Internet-Entwicklung vor allem aus den USA. Die erste "Killer-Anwendung" des Internets, das World Wide Web, wurde allerdings in der Schweiz erfunden.

Der britische Wissenschaftler Tim Berners-Lee trieb 1991 am europäischen Forschungszentrum CERN in Genf ein Konzepte voran, um Daten länderübergreifend und unkompliziert austauschen zu können.

"Die ersten Versionen des WWW waren aber noch mit komplizierten Kommandos zu bedienen", erinnert sich Meinel. Das änderte sich 1993, als der erste Mosaic-Browser mit einer grafischen Oberfläche erschien.

Webseiten mit Links, die in einem Browser betrachtet werden, machten das Internet in den 90er-Jahren erstmals für eine größere Schicht von Menschen zugänglich. Doch selbst heute hat nur etwas mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung Zugang zum Internet.

"Das Internet macht Schlaue schlauer und Dumme lauter."

Wer vor den 1990er Jahren außergewöhnliche Informationen brauchte, musste eine Bibliothek oder ein Zeitungsarchiv aufsuchen, sich durch hunderte von Karteikarten wühlen, die Quelle bestellen, eine halbe Stunde darauf warten, nur um zu sehen, dass sie unbrauchbar war. Heute findet man dank Google und Wikipedia in wenigen Minuten Antworten - ein Segen.

Doch das Internet macht auch Abscheulichkeiten verfügbar und bietet dem Terror und dem Wahnsinn Vernetzungs- und Organisationsmöglichkeiten. Selbst wer über keine kriminelle Energie verfügt, mutiert unter Umständen zu einem schlechteren Menschen: indem er seine Manieren vergisst und als Troll andere demütigt.

2008 stellte der Magazin-Artikel "Is Google Making Us Stupid?" von Nicholas G. Carr die vor- und nachteilige Wirkung auf das Gehirn und die Moral zur Diskussion. Die Frage ist ungeklärt. Ein mittlerweile zum geflügelten Wort gewordener Satz fasst es zusammen: "Das Internet macht Schlaue schlauer und Dumme lauter".

Browser-Technologie ermöglichte Aufstieg der Internet-Giganten

Mit dem Browser konnten Firmen wie Google und Facebook zu Mega-Konzernen aufsteigen. Der Trend verstärkte sich mit dem mobilen Internet. Mit dem iPhone (2007) zeigte sich, dass jeder Mensch das Internet bedienen kann, die Technik tritt einfach in den Hintergrund. Damit ist ein weiterer Trend verbunden: "Inzwischen verschwinden die Rechner immer mehr aus unserem Blickfeld. Sie werden in der Cloud, also in Rechenzentren, betrieben und können über das Internet genutzt werden", sagt Prof. Meinel.

Die von US-Firmen wie Microsoft, Amazon und Google dominierte Cloud-Technologie wirft für den HPI-Direktor auch Fragen zum Datenschutz und der nationalen Souveränität auf. "Ich glaube, der Staat hätte die Pflicht, alleine für alle seine Angebote eine eigene Cloud-Infrastruktur aufzusetzen", meint der Professor. Dass Europa in diesem Bereich so schlecht dastehe, habe auch damit zu tun, dass die Rahmenbedingungen für die verschiedenen Anwendungen nicht gut verstanden und klar geregelt seien.

"Da werden zum Beispiel Bodycam-Videos von Streifenpolizisten auf Cloud-Computern von Amazon gespeichert. Dass muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Der deutsche Staat ist groß genug, um für alle seine Zwecke eine eigene Infrastruktur aufzubauen", sagt Meinel.

Diese Infrastruktur könnte dann auch für andere Anwender und Anwendungen außerhalb der Verwaltung geöffnet werden. "So könnten wir es auch in Deutschland oder Europa schaffen, größere Datenpools aufzubauen. Diese Datenpools braucht man, wenn man Anwendungen im Bereich der künstlichen Intelligenz entwickeln und trainieren will und mit der Entwicklung im KI-Bereich international mithalten will."

(oli/sda/awp/dpa)

Internet macht arme Familie unglaublich glücklich!