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Morddrohungen, Sexismus & toxische Männlichkeit – Gamer sind Idioten

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Kein Wunder, dass er so ausrastet, wenn er die Maus mit der Faust bedient.Bild: getty images
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Sexismus, Morddrohungen, toxische Männlichkeit: Warum ich kein Gamer sein will – obwohl ich gerne spiele

27.11.2020, 08:46
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Wer zockt, ist ein Gamer. Irgendwie logisch. Trotzdem möchte ich mich nicht als Gamer bezeichnen, möchte Abstand halten. Fragen mich Fremde, ob oder was ich spiele, antworte ich ausschweifend. Ich spreche über die aufwühlende Geschichte von "Last of Us 2", über die tausend Tode in "Dark Souls" oder die genialen Dialoge in "Divinity". Stets leidenschaftlich, stets ermüdend für andere. Fragt mich aber jemand, ob ich Gamer bin, beende ich mit einem kurzangebundenen "Nein" die Unterhaltung. Eine Begründung spare ich mir meistens.

Bei Videospielen rede ich lange, bei meiner Abneigung gegenüber der Community höre ich erst gar nicht auf. Sexismus, toxische Männlichkeit, Hasskampagnen gegen Entwickler, weil sie Kleinigkeiten in einem Spiel verändern. Die Liste ist lang, und sie wächst stetig. Beinahe wöchentlich kommen Meldungen hinzu, die mich in meiner Haltung bestärken.

Bevor jetzt aber einige den Finger heben, um meine "Ich werfe alle in eine Schublade"-Argumentation zu verteufeln, möchte ich betonen: Natürlich hat die Gaming-Community ihre guten Seiten. Auch ist nicht jeder ein hasserfüllter Sexist, bloß weil er keine weibliche Figur spielen will – engstirnig, ja, aber nicht zwangsläufig Sexist. Manchmal sind schlicht Verallgemeinerungen nötig, damit sich Menschen eines Missstands bewusst werden, wie ein geschätzter Kollege auf "Grenzgamer" bereits sagte. Und auf diesen möchte ich in meiner Anti-Gamer-Kampagne aufmerksam machen.

Gamer und ihre Morddrohungen

Vor wenigen Tagen berichtete der Entwickler Bryan Intihar auf Twitter, dass er Morddrohungen erhalte. "Wir jagen dich, und wir werden dich kriegen! Du bringst das in Ordnung!", hieß es darin. Ziemlich heftig. Umso heftiger ist, wie banal der Grund dafür ist. Intihar ist am Remaster des 2018 erschienen "Spider-Man" beteiligt. Was macht jemanden so wütend, dass er deshalb eine Morddrohung rausschickt? Nun, Protagonist Peter Parker erhält darin ein neues Gesicht, das war's.

Solche Fälle sind keine Seltenheit. "Last of Us 2", "Football-Manager", "No Man Sky", "Final Fantasy", sind nur ein paar Beispiele für Games, auf die Morddrohungen folgten. Natürlich ist es legitim, Kritik zu einem Game zu äußern. Ebenso darf sich jeder über Veränderungen aufregen, wenn sie ihm nicht gefallen.

Menschen aber nach dem Leben zu trachten, weil eine Figur ein neues Gesicht bekommt, schießt übers Ziel hinaus. So unwahrscheinlich ein reales Zusammentreffen zwischen Drohendem und Bedrohtem auch sein mag. Übrigens bin ich mir nicht sicher, ob betroffene Entwickler ins Studio stürmen, um die "Wünsche", verärgerter Gamer umzusetzen. Kinder schlagen bei einem Tobsuchtsanfall auf den Fußboden, Gamer auf die Tastatur. Beides bleibt meist wirkungslos.

Gamer und Sexismus

Gamer hassen Veränderungen, sehen wir ja an den Morddrohungen. Am liebsten wäre es ihnen, wenn Spiele bleiben, wie sie es gewohnt sind. Bedeutet: Männer (stark!) sind die Helden, Frauen (zart!) müssen gerettet werden und am Ende folgt, zur Belohnung für die harte Arbeit (hart!), Sex – oder zumindest ein Kuss. Überzogen? Dann schauen wir doch zurück auf die Diskussion zu "Last of Us 2".

Das Spiel löste einen Shitstorm aus. Gegenstand waren eine gleichgeschlechtliche Beziehung, ein Transgender-Sidekick und eine muskelbepackte Protagonistin. Entwicklungschef Neil Duckmann veröffentlichte eine Übersicht der transphoben, homophoben und antisemitischen Zuschriften auf Twitter:

Gamer und ihre Vorbilder

Ebenfalls problematisch: Als der auf Twitch bekannte Streamer MontanaBlack auf der Straße Frauen hinterherhechelte, sie ohne Einverständnis filmte, gar in sein Zimmer einlud, weil ja das Bett noch frei sei, nahmen ihn seine Fans in Schutz. Sie spielten es runter, sagten, MontanaBlack sei nicht sexistisch, das sei einfach sein Humor. Lustig ist dabei nur, dass ihn Twitch daraufhin sperrte. Vielleicht lässt die Pause die Fans ja aushungern.

Es gibt noch weitere Beispiele, etwa Gronkh. Nachdem die Spielerin NeueSappho den Streamer auf Sexismus ansprach, weil er sexuelle Handlungen an besiegten Spielern vornahm, nannte er sie Furie. Seine Fans fluteten ihren Briefkasten mit Drohungen – von Vergewaltigung bis zu Mord war alles dabei. Eine weitere Gamerin bekam ähnliche Nachrichten, nachdem der Youtuber iBlali, über eine Million Follower, sie erwähnte – ob es seine Fans waren, ist unklar.

Gamer und ihre "Mädchen sind doof"-Mentalität

Sexismus zieht sich seit Jahren durch die Gaming-Community. Natürlich liegt es auch daran, wie diese sozialisiert wurde. Toxische Männlichkeit wurde ihr quasi anerzogen. Entwickler schnitten ihre Werbung jahrzehntelang auf ein männliches Publikum zu. Masturbationsanspielungen von Midway, sexistische Stereotype in vielen Games oder Spielemessen mit leicht bekleideten Hostessen, die für neue Gaming-Produkte werben.

Vielleicht akzeptiert die Community deshalb keine Frauen in ihren eigenen Reihen, die Industrie hat sie schließlich so erzogen. Streamerinnen, E-Sportlerinnen, aber auch einfache Spielerinnen werden in Online-Runden häufig belächelt und zur Zielscheibe. Ob sie besser spielen, einen Fehler machen oder einfach existieren, ist egal. Hauptsache drauf. "Zurück an den Herd", "Ich würde dich gern oral befriedigen", oder "klar, dass du nichts kannst, du bist eine Frau", sind da die Regel.

Kein Internet hilft

Sexismus, Erbarmungslosigkeit, toxische Männlichkeit: Eigenschaften, die ins Blut der Gaming-Community übergingen. Eigenschaften, von denen ich mich nur zu gerne distanziere. Ja, die Industrie trug ihren Teil dazu bei. Ebenso ein MonatanaBlack oder Gronkh. Leider entschuldigt das nichts.

Wir könnten Gamern ihre Mündigkeit absprechen, da sie es ja nicht besser wissen. Aber mal im Ernst: Es sind häufig Menschen, die bereits ein Alter erreicht haben, in dem sie selbstständig denken können. Ist ihnen die Tragkraft ihrer Aussagen nicht bewusst, sollte man ihnen vielleicht eine Weile den Zugang zum Internet streichen. Als Kind bekam ich auch Spielverbot, wenn ich ausfallend wurde. Waren zwar andere Zeiten, aber gewirkt hat es.

Heute nehme ich mich als mündig wahr, stehe für Aussagen oder auch Taten gerade. Schreibe ich etwa einen Kommentar, der sich gegen Gamer richtet, akzeptiere ich auch, Hassnachrichten oder Morddrohungen zu erhalten. Gerne können wir darüber auch in den Kommentaren sprechen. Fragt mich nur bitte nicht, ob ich Gamer bin. Ihr kennt die Antwort.