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EU-Anti-Terror-Beauftragter spricht über Games und Radikalisierung – das ist dran

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EU-Anti-Terror-Beauftragter spricht über Games und die damit verbunden Gefahren.Bild: imago
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Geldwäsche und Radikalisierung: EU-Anti-Terror-Beauftragter spricht über Games – das steckt dahinter

30.11.2020, 17:22
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Es ist ermüdend. Sobald die Killerspiel-Debatte wieder aus dem bröckeligen Boden haltloser Diskussionen sprießt, eilen Wissenschaftler, Gaming-Journalisten oder auch die Spielecommunity selbst herbei, um sie mittels argumentativer Nagelscheren zu entfernen. Eine Feinarbeit, die jede Menge Geduld voraussetzt. Denn wie Unkraut taucht die Debatte alle paar Monate aufs Neue auf.

Diesmal war es der EU-Anti-Terror-Beauftragte Gilles de Kerchove, der das Thema aus der Versenkung holte. In einem Interview mit der Nachrichtenagentur AFP sprach er von Videospielen, die zur Vorbereitung von Terror-Anschlägen dienen. Diese Haltung ist nicht neu. Vor wenigen Monaten veröffentlichte er ein Papier, in dem er von Gaming-Plattformen als Rekrutierungsort für Terroristen und Extremisten schrieb, "Zeit Online" berichtete. Und wie in dem Papier lieferte er auch in dem Interview kaum Belege für seine Thesen.

Dennoch, eine Sache stellt er klar: Spiele sind aus Sicht der Terrorbekämpfung ein zu wenig regulierter Bereich. Das müsse sich ändern. Um herauszufinden, ob das stimmt, hat watson sich Kerchoves Aussagen genauer angeschaut und kommt zu dem Schluss: Er hat nur bedingt recht.

"Kampfspiele könnten ein Mittel sein, um Angriffsszenarios zu testen."

Die Bedenken sind nicht neu. Nach dem Anschlag auf eine Synagoge in Halle im vergangenen Jahr sagte Innenminister Horst Seehofer, man müsse die Gamer-Szene stärker in Blick nehmen, da viele der potenziellen oder tatsächlichen Täter aus dieser stammen und sich manche von ihnen Simulationen, also Spiele, als Vorbild nehmen.

Jetzt wird Kerchove aber konkreter, spricht von Spielen, in denen man auf Araber, US-Milliardär George Soros und auch Bundeskanzlerin Merkel schießen kann. Game-Titel nennt er nicht, was durchaus schlüssig ist – schließlich muss er nicht auch noch für derlei Spiele werben. Allerdings hätte er erwähnen können, ob die Spiele auf einer Gaming-Plattform, etwa Steam, oder in einem x-beliebigen Forum einer rechtsradikalen Community auftauchten. Erstere ermöglicht schließlich, problematische Spiele schnell und effizient aus dem Verkehr zu ziehen, sie lässt sich sogar regulieren.

Zudem wäre es auf Gaming-Plattformen leichter, radikalisierte Nutzerinnen und Nutzer aufzuspüren. Immerhin nutzen sie überprüfbare Bezahlmodelle. Selbst Accounts mit falschen Kontaktinformationen werden mit Kreditkarten und Kontoinformationen ihrer Nutzer verknüpft; sie sind identifizierbar. Die Plattform-Betreiber haben ihren Sitz außerdem vor allem in Ländern wie den USA. Es dürfte also für Ermittler kein Problem sein, die Daten abzufragen.

Außerdem: Wenn extremistische Organisationen Spiele zum Testen von Angriffsszenarien entwickeln, wer ist dann ihre Zielgruppe? Ist sie bereits radikalisiert? Sollte es Spiele für realistische Angriffsszenarien geben, wäre das natürlich ein Problem. Ob sich aber jemand ohne extremistisches Gedankengut von diesen angesprochen fühlt, ist eine andere Frage. Auswirkungen hätte es eher nicht. Videospiele beeinflussen die Psyche oder das Aggressionspotential höchstens minimal, wie der Psychologe Christopher Ferguson 2015 in einer umfassenden Metaanalyse feststellte.

Kerchove hat recht. Extremistische Gruppierungen könnten Videospiele theoretisch durchaus nutzen, um Anschläge zu simulieren. Allerdings dürften sie auf Gaming-Plattformen keinen Bestand haben.

"Spiele werden als alternatives Mittel genutzt, um insbesondere rechtsextreme Ideologie zu verbreiten."

Diese Aussage ist nur bedingt richtig. Bleiben wir bei den Gaming-Plattformen, da diese viele Menschen erreichen. Auf der größten, Steam, gibt es durchaus rechtsextreme sowie verfassungsfeindliche Inhalte. Dort erschien etwa ein Spiel von und mit dem Rechtsextremisten Martin Sellner – voll von rechten Symbolen, Antisemitismus und Homophobie. Das Spiel verschwand allerdings nach nur einer Woche – Steam sperrte es. Dennoch landete es vorübergehend auf der Plattform.

Hier wäre es angebracht, Regularien einzuführen, wie watson bereits berichtete. Steam braucht ein Gremium, das sich Spiele vor der Veröffentlichung genau anschaut. Aktuell landen nämlich alle Spiele ohne Vorabprüfung auf der Plattform. Strengere Regularien wären dort also angebracht.

Allerdings sind deutlich rechtsextremistisch geprägte Spiele auf Steam nicht die Regel – ebensowenig im Epic Store oder anderen Vertretern. Man kann nicht die ganze Szene für einzelne Ausreißer verteufeln. Wie albern wäre es, Musik als Problem zu bezeichnen, weil es rechtsextreme Bands gibt? In Deutschland gibt mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien außerdem eine Kontrollinstanz, die sich mit diesen Inhalten intensiv beschäftigt und sie, wenn nötig, verbietet.

Nicht die Spiele sind das Problem, sondern Chatgruppen, in denen sich Extremisten austauschen können. Die gibt es auch auf Steam. Rechtsextreme profitieren von kaum bis gar nicht moderierten Plattformen. Zwar gibt es Community-Regeln, aber die werden nur selten durchgesetzt. Hier braucht es Kontrollen.

Und die könnte es bald geben: Die EU-Kommission legt am 9. Dezember einen Vorschlag für ein "Gesetz für digitale Dienste" vor. Internetplattformen sollen dadurch verpflichtet werden, entschiedener gegen Hass in den Online-Netzwerken vorzugehen. Schade, dass er sich aber weiterhin auf die Spiele bezieht.

"Es gibt Geld, das durch Spiele erzeugt wird und das dann in Bargeld umgetauscht werden kann."

Kerchove verweist auf mögliche Geldwäsche in Videospielen. Das hat er übrigens auch in seinem Papier. Dort spricht er von Games und ihrer "immer stärkeren Verbindung zur Realwirtschaft". Spielwährungen könnten quasi unsichtbar über Grenzen hinweggeschleust werden. Zudem seien "Fortnite", "Call of Duty", "Counterstrike" und "Overwatch" ideale Ziele für die Geldwäsche. Und ja, "Fortnite" wurde dafür genutzt, zeigte das Sicherheitsanalysensystem Sixgill 2019.

Das funktioniert folgendermaßen: Ein Spieler kauft sich für tausende Euro, die er in zwielichtigen Geschäften erwarb, tausende Punkte einer Spielwährung. Diese Währung verkauft er wiederum über einen Drittanbieter wie Ebay. Und zack, das Geld ist sauber. Leicht ist das aber nicht. Zunächst fällt es auf, wenn digitale Währungen und Güter in großem Stil in reales Geld umgetauscht werden. Online werden die Daten der Verantwortlichen ohnehin erfasst. Außerdem wird beispielsweise die Handelsplattform Ebay dahingehend überwacht, ob dort Händler von Spielwährungen besonders aktiv sind.

Zudem wollen Hersteller von Spielen selbst möglichst den Markt ihrer Games kontrollieren. Viele Transaktionen hinter ihrem Rücken drücken den Gewinn. Immerhin sollen Spielerinnen und Spieler ihr Geld möglichst im Spiel verpulvern und nicht auf Ebay.

Nicht alles falsch

Kerchove drückt sich in dem Interview weit weniger pauschal aus als in seinem Papier. Statt auf ein '"Gamer" sind dies und "Games" sind jenes', setzt er auf weniger absolute Argumente, die teilweise vertretbar sind. Ein wenig Unkraut hat er trotzdem rangezogen, aber im verkraftbaren Maß. Wir klopfen unsere Knie ab, wischen uns den Schweiß von der Stirn und legen die Nagelschere beiseite. Naja, in Griffnähe. Wer weiß, wann wir sie wieder brauchen.