Bild: imago-images/ Thomas Trutschel
Digital
Natürlich ist nicht alles gut – im Netz. Soziale Medien haben auch eine dunkle Seite. Besonders Kinder und Jugendliche machen immer wieder auch negative Erfahrungen.
Es sind nur ein paar wenige Klicks, schon ist der
Kopf der Klassenkameradin auf den Körper der Pornodarstellerin
montiert und das Sex-Video an die ganze Jahrgangsstufe verschickt.
Die Betroffene wird kurz darauf mit Nachrichten bombardiert – mit
Worten und Aufforderungen, die üblicherweise nicht in einem
Zeitungsartikel stehen.
Ein Einzelfall? Nein, betonen Lehrer und Polizisten unisono.
Beleidigung, Bedrohung, sexuelle Belästigung und Nötigung sowie
Erpressung per Smartphone gibt es den Experten zufolge an nahezu
jeder Schule. Doch oft genug bekommen die Erwachsenen diese Fälle gar
nicht mit. Die Täter polieren auf diese Weise ihr Selbstbewusstsein
auf, die Mitwisser halten aus Angst lieber die Klappe, die Opfer
schweigen aus Scham – und allen zusammen ist oftmals nicht bewusst,
dass Grenzen verletzt werden, die zu überschreiten noch vor kurzem
undenkbar schien.
"Die Welt da draußen, so verroht sie manchmal ist, so schlampig und vulgär, so sexistisch und rassistisch und antisemitisch, ist in der Welt der Kinder angekommen",
schildert Simone Fleischmann,
Vorsitzende des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV).
Die Rolle der sozialen Medien
Eine große Rolle spielen dabei die sozialen Medien, die die
Kommunikation in der Gesellschaft verändert haben – und damit auch
die Kommunikation in den Schulen.
"Wenn man früher Konflikte zwischen Schülern hatte, dann hat man das
gesehen, dann gab es eine Prügelei oder einen lautstarken Streit. Da
konnte man als Pädagoge eingreifen", schildert Ilka Hoffmann, die
Schulexpertin der Bildungsgewerkschaft GEW.
"Jetzt läuft das alles verdeckt ab."
Doch während die Täter sich tatsächlich immer wieder in der
Anonymität des Netzes verstecken können, sieht es für die Opfer ganz
anders aus: "Derjenige, der dieses Nacktbild mit meinem Kopf gestern
in die Klassenchatgruppe gestellt hat, begegnet mir am nächsten Tag
im Klassenzimmer, und alle anderen begegnen mir auch. Damit ist die
digitale Anonymität überschritten, und das packen die Jugendlichen
nicht", berichtet Fleischmann.
Das Fatale ist: "Die Opfer suchen die Ursachen bei sich. Das führt zu
ganz massiven Selbstwertschädigungen", erklärt Schulexpertin
Hoffmann. Die meisten zögen sich stark zurück. Während Jungs manchmal
aggressiv würden, komme es bei Mädchen häufiger zu selbstverletzendem
Verhalten.
Sexting, Sextortion, Cybermobbing und Cybergrooming
Das erleben auch Esther Papp und Cem Karakaya immer wieder. Sie
befassen sich am Polizeipräsidium München mit Prävention und haben
täglich mit Sexting, Sextortion, Cybermobbing und Cybergrooming zu
tun – Begriffe, die viele Eltern noch nie gehört haben, im Leben
vieler Kinder aber Alltag sind.
- Unter Sexting versteht man die zunächst freiwillige, sexuell motivierte Kommunikation – also das gegenseitige "Scharfmachen" durch Chatnachrichten oder freizügige Aufnahmen, die unter Jugendlichen oft als Liebesbeweis eingefordert werden.
- Sextorsion wird daraus, wenn diese Bilder oder Videos zur Erpressung eingesetzt werden.
- Cybermobbing ist das Fertigmachen und Bloßstellen Einzelner über digitale Medien, meist über einen längeren Zeitraum.
- Und Cybergrooming ist die digitale Kontaktaufnahme zu Minderjährigen mit dem Ziel, ein digitales oder reales sexuelles Verhältnis zu beginnen. Oft geben sich dabei erwachsene Pädophile als Jugendliche aus.
Exakte Zahlen zu diesen Phänomenen gibt die Polizeiliche
Kriminalstatistik laut Bundeskriminalamt nicht her. Doch alle
Experten sind sich einig, dass die bekannt werdenden Fälle lediglich
die Spitze des Eisbergs sind.
"Wir könnten als Polizei pro Tag pro Schule mindestens 400 Handys
beschlagnahmen und Anzeigen erstellen", ist Karakaya überzeugt. Der
Beamte geht regelmäßig an Münchner Schulen, um das Bewusstsein der
Heranwachsenden zu schärfen. Völlig nüchtern resümiert er, dass
Pornos für Siebtklässler inzwischen Alltag sind, die Zwölfjährigen
zugleich aber kein Bewusstsein dafür hätten, dass vieles von dem, was
ihnen täglich in den sozialen Netzwerken begegnet, Straftaten sind:
etwa Bedrohung, sexuelle Belästigung und Nötigung oder die Verletzung
des Rechts am eigenen Bild oder des höchstpersönlichen
Lebensbereiches.
Was tun?
Den jungen Opfern gibt Karakaya den Ratschlag, sich so früh wie
möglich an einen verantwortlichen Erwachsenen zu wenden, Übergriffe
etwa per Screenshot zu dokumentieren und im Zweifel auch Anzeige zu
erstatten, "um zu zeigen, dass du dir nicht alles gefallen lässt,
dass du nicht das Opfer bist, dass du dich wehrst".
"Das sind knallharte Sachen, die die Jugendlichen psychisch gar nicht
verarbeiten können", erlebt auch Papp immer wieder. Die Folgen
reichten bis hin zum Suizid. Die Beamten raten den Schülern deshalb,
sich immer zwei Fragen zu stellen, bevor sie etwas posten:
- "Muss das sein?"
- "Und kann es sein, dass ich es später – vielleicht schon morgen – bereue?"
Oft erleben sie, dass die Schüler regelrecht schockiert
sind, wenn sie gezeigt bekommen, welche Informationen Facebook & Co.
über sie preisgeben.
Karakaya und Papp wissen, dass ihre Arbeit nur ein Tropfen auf dem
heißen Stein ist. Sie sehen in erster Linie die Eltern in der
Verantwortung – doch die setzten sich mit den Gefahren der digitalen
Welt viel zu selten auseinander, geschweige denn, dass sie den Weg
mit ihren Kindern gemeinsam beschreiten würden. "Es ist ja bequem,
wenn die Kinder mit ihren Smartphones in ihrem Zimmer verschwinden",
bilanziert Papp. "Doch hinterher ist das Geschrei groß, wenn was
passiert ist."
(ts/dpa)
Dr. G-Punkt über Sex und Traurigkeit
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