Pünktlich zu Silvester geht es wieder los mit den guten Vorsätzen und Hoffnungen für das neue Jahr. Da wollen wir alles anders machen, besser irgendwie. Und natürlich soll Corona endlich der Vergangenheit angehören. Dass der zweite Wunsch ein frommer bleiben könnte, warnen Wissenschaftler schon länger. Doch für Punkt eins besteht noch Hoffnung: Das Jahr der Pandemie könnte uns für die Zukunft Wege aufzeigen, ähnliche Krisen besser anzugehen, sagt zumindest Alexander Kekulé.
Der Virologie-Professor warnte als einer der ersten vor den Gefahren von Sars-Cov-2, erinnert sich selbst noch sehr gut daran, wie ein Kollege aus China ihm vor fast genau einem Jahr zum ersten Mal von Covid-19 berichtete, wie er in seinem Buch "Der Corona-Kompass" (Ullstein Verlag) berichtet.
Was folgte war ein 2020 voller Ängste, Isolation und Krankheit, für viele fühlte es sich an wie ein verlorenes Jahr. Das müsse es aber nicht sein, sagt Kekulé. "In jedem Fehler eine Anleitung zum Richtigmachen", tröstet er in einem Ausblick auf die Zukunft. Er ist überzeugt, dass wir alle von der Pandemie lernen können, wenn wir nur konsequente, logische Schlussfolgerungen ziehen. Watson fasst die drei wichtigsten Thesen aus seinem Buch zusammen.
Kekulé erwähnt hier zum Beispiel die Tatsache, dass in den USA überdurchschnittlich viele People of Color an Covid-19 erkrankten. Der Hintergrund sei unter anderem ihre schlechte medizinische Versorgung, erklärt er. Ein soziales Problem, das zwar immer schon bekannt war, aber erst unter Corona an gesamtgesellschaftlicher Relevanz gewann, da genau diese Gruppen auch in den unterbezahlten Pflegeberufen arbeiten, die nun so dringend benötigt wurden.
"Auch europäische Staaten mussten sich eingestehen, dass sie die Menschen in pflegerischen Berufen bislang vernachlässigt haben", so Kekulé. Und so bitter es ist: Durch Corona sei erstmals für jedermann offensichtlich geworden, dass diese Ungerechtigkeiten letztlich der ganzen Gesellschaft schaden. Kekulé fasst zusammen:
Die Bevölkerung der USA habe aber auch unter dem Fehlverhalten ihres Präsidenten gelitten. 18.000 Tote hätten, laut Kekulé, allein in New York verhindert werden können, hätte Donald Trump rechtzeitig entsprechende Maßnahmen des Social Distancing ergriffen. Viele Staaten in Südostasien hätten sich hingegen vorbildlich durch die Krise bewegt, auch weil sie in den Rat der Wissenschaft trauten und in der Bevölkerung das Wohl der Gemeinschaft, nicht das des Individuums im Vordergrund stünde – was ihn zu These Zwei führt.
Deutschland sei in der ersten Welle der Epidemie "ein kleines Wunder gelungen", so Kekulé zur heimischen Lage. Die Bevölkerung habe von selbst, noch vor dem offiziellen Lockdown, ihr Verhalten derart verändert, dass die Zahl der Infektionen zurückging. "Ohne staatliche Anordnung und auf Grundlage individueller Entscheidungen", lobt er weiter.
Dass diese Bereitschaft in Corona-Müdigkeit umschlagen würde, wäre jedoch absehbar gewesen. Staatliche Maßnahmen würden da kaum helfen, weil sie immer nur einen kurzfristigen Effekt erzwängen, die Motivation für langanhaltende Vorsicht müsse von innen heraus kommen und fuße auf drei Faktoren:
In einer heterogenen Gesellschaft sei zwar klar, dass unterschiedliche Ansichten aufeinanderträfen, die Abwehrhaltung von Corona-Zweiflern und Anhängern "alternativer Fakten" mache die gemeinschaftliche Bekämpfung der Pandemie jedoch schwierig, mahnt Kekulé.
Das plötzlich aufgeflammte Interesse einer großen Mehrheit an naturwissenschaftlichen Büchern, Sendungen und Wissen sei diesbezüglich ein Hoffnungsschimmer, der auch in der Zukunft vor unsachlichen Diskussionen schützen kann. Denn am Ende sei die Intelligenz des Schwarms relevant. Dann könnte die "Pandemie, neben all dem Leid, am Ende auch etwas Gutes bewirkt haben", sagt der Mikrobiologe.
Die Naturwissenschaften hätten aber auch unter Profis einen ungewöhnlichen Aufschwung erfahren, erläutert Kekulé weiter. Nie zuvor hätten Forscher einen derart schnellen Lernprozess hingelegt, wie während Corona. "Die hier gewonnen Erkenntnisse werden noch in ferner Zukunft Menschenleben retten", glaubt er.
Eine dieser Erkenntnisse sei, dass Fledermaus-Kolonien im Süden Chinas als Reservoir unzähliger Virusarten diene. An sich sei das nicht problematisch, da die Wildtiere fernab der Zivilisation lebten, doch Wilderei, Waldrodungen und Städtebau brächten sie in die Nähe der Menschen. Ein pandemisches Problem mit einer simplen Lösung, so der Wissenschaftler:
Da die Jagd auf seltene Tierarten und ihr qualvoller Tod auf Lebendmärkten "die ganze Menschheit bedroht", so Kekulé, müssten diese Praktiken eingestellt werden. Doch nicht nur das Tierleid, auch der Klimaschutz spiele eine Rolle bei der Entstehung globaler Pandemien: Seuchen würden durch Überschwemmungen gefördert, tropische Stechmücken in neue Klimazonen vordringen, die Artenvielfalt sterbe aus, übrig blieben nur die hartnäckigsten Organismen, nämlich Viren und Bakterien. Deshalb müsse die Menschheit und die Regierungen sich um den Schutz der Umwelt kümmern, so schnell wie eben möglich – aus eigenem Interesse, wie er weiter warnt.
Es ist noch nicht zu spät, so Kekulé. Aber es sei nun höchste Zeit für tiefgreifende Veränderungen und die Corona-Pandemie habe das aufgezeigt. Vielleicht ist es eine Chance. Vielleicht widmet sich die Menschheit diesen dringenden Problemen 2021 mit neuem Ansporn. Zum Arzt geht man ja auch erst, wenn es schon wehtut. Kekulé setzt darauf. "Es besteht Hoffnung", sagt er.
(jd)