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Klopapier-Klau & Beleidigung – Kassierer schildert, wie Kunden ihn behandeln

Die Corona-Krise stellt eine besondere Belastung für Kassierer dar. (Symbolbild)
Die Corona-Krise stellt eine besondere Belastung für Kassierer dar. (Symbolbild)Bild: Getty Images/iStockphoto / Sergei Gnatiuk
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Klopapier-Diebe und Beleidigungen – was ein Kassierer während der Corona-Krise erlebt

15.04.2020, 17:15
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"Fotze", "Nazi", "Nutte" – nein, es sind nicht Verkehrspolizisten, die momentan derart beleidigt werden, sondern Supermarkt-Kassierer. Ausgerechnet die Menschen also, die mitten unter uns arbeiten müssen, während viele Deutsche ins virussichere Homeoffice umgestiegen sind.

Am vergangenen Wochenende erst teilte eine 21-jährige Kassierin aus Bayern auf Twitter, wie krass sie auf der Arbeit wegen eines Stücks Hefe beleidigt wurde. Die zahlreichen Reaktionen ihrer Kollegen zeigen leider deutlich, dass sie kein Einzelfall ist.

Für Franz aus Nordrhein-Westfalen ist das leider keine Überraschung. "Sowas passiert täglich seit der Corona-Krise", sagt er gegenüber watson. Deshalb sprachen wir mit dem Kassierer über seinen neuen Arbeitsalltag, Kunden, die ausrasten und das neue beliebteste Diebesgut.

Wie Corona Franz' Arbeitsplatz veränderte

Franz, 18, arbeitet seit August 2018 in einem großen, bekannten Supermarkt an der Kasse. Eigentlich ist er noch Schüler, aber da es einen Corona-Fall an seiner Schule gab, wurde sein Nebenjob nun zur Vollzeit-Beschäftigung.

"Einerseits bin ich froh. Mein Arbeitsplatz ist gerade jetzt gesichert wie kaum ein zweiter, andererseits würde ich lieber nicht arbeiten", sagt er. Er will seine Familie, vor allem seine Großeltern, auf keinen Fall mit Corona anstecken.

"Ich habe teils wirklich Angst zu arbeiten, da jeder dieser Kunden das Virus in sich tragen könnte und es selbst noch nicht mal weiß. Und ich spreche da, glaube ich, für alle Kassierer."
Franz zu watson

Ansonsten mag er seinen Job. Eigentlich. Er quatscht gerne mit den Kunden und hat die Covid-19-Anfangszeit lange als gelassen empfunden. Von Hamsterkäufen erfuhr er erst aus den sozialen Medien, nachdem es bereits den ersten Corona-Toten in Deutschland gab. "Ungefähr eine Woche später merkte ich selbst, wie die Regale immer leerer wurden: Es wurde häufiger nach Klopapier gefragt und Nudeln und Konserven wurden bis aufs Letzte geplündert."

Seit dem Lockdown gelten an seinem Arbeitsplatz besondere Bestimmungen. Nur noch hundert Kunden dürfen gleichzeitig im Supermarkt sein, dafür steht extra ein Mitarbeiter am Eingang, der die Menschen zählt. Überall gilt ein Abstand von 1,5 Metern zueinander. Er arbeitet jetzt nur noch mit Latexhandschuhen hinter einer Plexiglasscheibe. Doch noch etwas hat sich geändert: Franz ist seit Wochen der Blitzableiter an der Kasse, der den sowieso schon gestressten Kunden erklären muss, warum die Lager leer bleiben.

Schön ist das nicht, erzählt er: "Eine ältere Dame fragte mich zum Beispiel mitten im Kassiervorgang, ob wir Klopapier haben. Als ich ihr sagte, dass wir nicht wissen, wann Nachschub kommt, fing sie an, zu fluchen und mir an den Kopf zu werfen, dass wir Kassierer 'nur faulenzten' und einfach 'keine Lust' hätten, uns darum zu kümmern..." Dabei war dem plötzlichen Ansturm einfach nicht hinterherzukommen.

"Ich kann ja nur einräumen, was wir auch kriegen!"
Franz zu watson

Wie die Kunden tricksen

Was die Menschen bunkern, sei eindeutig: Klopapier, Küchenrollen, Nudeln, Mehl, Hefe und Konserven – besonders Eintöpfe. Deshalb hätten bestimmte Produkte jetzt eine Einkaufsgrenze. Franz darf pro Kunde nur noch zwei Packungen Mehl rausgeben, dasselbe gilt für Klopapier und Hefe. Eine Zumutung, finden viele. Und so ergab sich kürzlich folgender Dialog an seiner Kasse, den er wörtlich wiedergibt.

Ich: "Sie dürfen nur jeweils zwei Pakete Klopapier mitnehmen."
Kunde: "Wer sagt das?"
Ich: "Anweisung vom Chef und für die allgemeine Versorgung aller."
Kunde: "Anweisung? Das hat ja was von 1945 mit ihren Anweisungen!"

Die Restriktionen werden von vielen Kunden als persönlicher Affront empfunden. Und sie machen einige Schlitzohren nur noch erfinderischer, sagt Franz. "Die Leute versuchen, jeweils Familienmitglieder einzeln reinzuschicken und somit mehr abzugreifen." Und so muss auch der Supermarkt nachziehen: "Wir verkaufen Toilettenpapier jetzt nur noch ab einem Einkaufswert von 25 Euro..."

Absurd? Und ob. Doch es geht noch extremer.

"Kunden versuchen sogar, Sachen zu stehlen, um das Limit zu umgehen. Bedeutet, dass sie unter ihren Tüten im Einkaufswagen mehrere Pakete Klopapier verstecken."
Franz zu watson

Besonders schwierig sei die Kommunikation mit Menschen, die von den ganzen Corona-Regelungen nur am Rande mitbekommen hätten, Obdachlose zum Beispiel: "Wir geben unser Bestes, auch diese Leute ins Boot zu holen und sie aufzuklären", sagt Franz. Doch auch Menschen, die es besser wissen sollten, regen sich zu schnell auf.

"Ich erinnere mich an einen Mann, der versuchte, 40 (!) Pakete Mehl zu kaufen. Er wurde laut und beteuerte, dass es ihm der Kauf der Ware 'zusteht' und ich 'die ganze Scheiße' jetzt abkassieren soll."

Und auch Streit zwischen den Kunden untereinander ist nicht selten. Vor allem, wenn sich einer nicht an die Abstände am Kassierband hält und seinem Vorgänger auf die Pelle rückt. "Da gibt es Kandidaten, die trotz der Abgrenzung dicht aufrücken und schon mal ihre Ware auflegen." Das endet dann mit wütendem Geschrei, bis einer der Streithähne den Laden verlässt. Wer zu ausfallend wird, bekommt Hausverbot. "In den meisten Fällen passiert aber nichts", sagt Franz.

Manchmal gibt es aber auch Pralinen...

Es scheint, als hätten wir in Zeiten der sozialen Isolation das gute Benehmen verlernt. Doch Gott sei Dank stimmt das nicht ganz. Franz hat seit dem Ausbrauch von Covid-19 auch Schokolade, Pralinen oder Glücksbringer von Kunden über die Kasse gereicht bekommen. "Das gibt uns Mut und Ansporn", sagt er. "Wir Einzelhändler geben unser Bestes, es läuft nun mal nicht alles reibungslos momentan..."

Und auch ein Held des Alltags bricht manchmal die Regeln, gibt er zu. Wenn die Stammkundin mit dem Rollator vorbeikommt, um ihren Wocheneinkauf zu machen, und dabei ihre immerselben drei Brote kauft, findet Franz das: "Vollkommen okay! Da drücke ich ein Auge zu." Schließlich weiß er, dass es gerade in Zeiten von Corona Güter gibt, die jeder von uns (neben Klopapier) auf Lager haben sollte: gesunden Menschenverstand und Empathie.

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