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Amokfahrt in Trier: "Derartige Anschläge wird man nie zu 100 Prozent verhindern"

In der Innenstadt von Trier kamen am Dienstag über 450 Polizeibeamte zum Einsatz.
In der Innenstadt von Trier kamen am Dienstag über 450 Polizeibeamte zum Einsatz.Bild: dpa / Oliver Dietze
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Experte Rolf Tophoven zu Amokfahrt in Trier: "Derartige Anschläge wird man nie zu 100 Prozent verhindern"

02.12.2020, 15:0602.12.2020, 19:26
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Entsetzen und Trauer in Trier: In der rheinland-pfälzischen Stadt wurden am Dienstag fünf Menschen durch einen Amokfahrer in einem SUV getötet. Der 51-jährige Mann soll gezielt in eine Fußgängerzone gerast sein, um Passanten zu erfassen. Oberbürgermeister Wolfram Leibe sagte in einer Pressekonferenz vergangenen Abend, er sei erschüttert angesichts der Sinnlosigkeit: "Ich kann nicht verstehen, wie jemand auf die Idee kommt, mit einem SUV in die Innenstadt zu fahren und Menschen zu töten."

Das Motiv ist derzeit noch unklar, doch immerhin konnten die Beamten den Tatverdächtigen fassen und in Untersuchungshaft bringen – ihm wird unter anderem mehrfacher Mord vorgeworfen. Ein psychiatrisches Gutachten soll nun klären, ob der gebürtige Trier überhaupt schuldfähig ist und was ihn umtrieb.

Bis dahin bleibt vieles rätselhaft. Wie gehen Ermittler in solchen Fällen vor? Und lassen sich derartige Amokfahrten verhindern? Watson sprach darüber mit Rolf Tophoven. Seit den 1970er-Jahren erforscht er Terrorismus und gilt in sicherheitspolitischen Fragen als Experte in Deutschland.

"Man könnte noch so viele Beamte auf die Straße stellen, die Psyche eines Täters stoppt das nicht."

watson: Vier Minuten nach dem ersten Notruf an die Polizei war der Täter bereits festgesetzt. Über 450 Beamte waren direkt vor Ort. War das eine angemessene Reaktion?

Rolf Tophoven: Die Schnelligkeit, mit der Polizei und Rettungskräfte gehandelt haben, war absolut professionell. Offenbar hat es auch in der Zusammenarbeit unter ihnen eine reibungslose, effiziente Koordination gegeben. Das ist besonders in anfangs unübersichtlichen Lagen wichtig. Es wurden sicher direkt so viele Einsatzkräfte dazu gerufen, weil man bei Meldungen von Anschlägen immer auch von politischen und religiösen Hintergründen ausgehen muss und zu Beginn nicht abschätzen kann, wie groß und gefährlich die Lage tatsächlich ist. Von daher war es richtig, diese massive Konzentration der Kräfte einzusetzen.

Kurz darauf meldeten die Ermittler, dass es sich offenbar nicht um einen politisch oder religiös begründeten Akt handelt. Wie können Polizistinnen und Polizisten das so schnell herausfinden?

Das hängt sicher mit dem Profil des Täters zusammen. Sobald die Personalie des Tatverdächtigen feststeht, gleicht man sie mit der Gefährderkartei ab, schaut, ob die Person in irgendeiner Form in terroristischen Netzwerken auffällig wurde. Da dies in Trier offenbar nicht der Fall war, konnten die Ermittler ein derartiges Motiv vorerst ausschließen. Diese Erkenntnisse schnell zu erhalten, ist für die Polizei wichtig, um den weiteren Einsatz zu planen, daher folgt meist sehr schnell ein erster Abgleich mit früheren Anschlägen.

"Ein Auto ist einfach zu beschaffen, ähnlich wie ein Messer. Ihr Einsatz als Waffe ist daher auch unter Terroristen eine typische Vorgehensweise."

Auch bei früheren Anschlägen wurden Autos schon als Waffe verwendet.

Genau deshalb lag auch in Trier die erste Vermutung nahe, dass es sich um Terror handeln könnte. Nicht nur Einzeltäter, auch gut vernetzte Terroristen nutzen sehr häufig Autos für Anschläge, so wie 2016 am Berliner Breitscheidplatz. Ein Auto ist einfach zu beschaffen, ähnlich wie ein Messer, ihr Einsatz als Waffe ist daher auch unter Terroristen eine typische Vorgehensweise.

Verrät der Zick-Zack-Kurs des Fahrers etwas über die Absichtlichkeit seiner Tat?

Das sind Fragen, die die Staatsanwaltschaft klären muss. Vielleicht wurde dieser Kurs bewusst gewählt, aber der Tatverdächtige war, soweit bekannt, auch stark alkoholisiert am Steuer – auch das wäre ein plausibler Grund für seine unkontrollierte Fahrweise.

Gibt es einfache Sicherheitsvorkehrungen die Amokfahrten dieser Art verhindern könnten?

Diese Frage beschäftigt uns nach solchen Vorfällen immer. In bestimmten Zonen einiger Großstädte können Betonklötze oder Poller auf den Straßen sinnvoll sein, wie sie ja mancherorts schon installiert sind. Untersuchungen haben zwar ergeben, dass ein riesiger LKW über diese Absperrungen hinwegrauschen würde, aber es wäre zumindest eine Hürde. Andererseits muss man bei solchen Vorstößen immer die einzelnen Gegebenheiten in Betracht ziehen und verhältnismäßig bleiben. Man kann Innenstädte nicht komplett abschotten, sie müssen weiterhin erreichbar und nutzbar sein.

Würde mehr Polizeipräsenz helfen?

Das denke ich nicht. Man könnte noch so viele Beamte auf die Straße stellen, die Psyche eines Täters stoppt das nicht. Man kann präventiv arbeiten, um Terrorakte möglichst im Vorfeld zu verhindern, aber Einzeltäter sind schwer erfassbar und derartige Anschläge wird man nie zu 100 Prozent verhindern können. Wie Thomas de Maizière es 2016 in einem Spiegel-Interview sagte: "Bis zu einem gewissen Ausmaß muss eine Gesellschaft das aushalten." Da gebe ich ihm recht. Man kann nicht alles zubetonieren und absichern, wir sind nun mal eine offene Gesellschaft.

WHO schlägt wegen Ausbreitung von Vogelgrippe-Virus Alarm

Die Begriffe Vogelgrippe und Geflügelpest sind in Deutschland schon lange nicht mehr neu. Über Wildvögel aus dem südostasiatischen Raum gelangte das Virus laut Friedrich-Loeffler-Institut bereits 2004 auf den europäischen Kontinent, meist im Winter wurden Ausbreitungen regelmäßig etwa aus deutschen Zoos oder Geflügelfarmen gemeldet.

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