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Geld: Finanzberaterin erklärt, warum vor allem Frauen investieren sollten

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Die Finanzbranche hatte die Frauen einfach lange nicht auf dem Schirm, sagt Olga Miler. (Symbolbild)Bild: iStockphoto / AndreyPopov
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"Sechs von zehn Millennial-Frauen überlassen die Finanzplanung ihrem Mann": Finanzexpertin über die Altersvorsorge von Frauen

10.03.2021, 20:0601.06.2021, 17:35

Frauen sind weiterhin stärker von Altersarmut betroffen als Männer. Sie arbeiten für ein geringeres Einstiegsgehalt und in schlechter bezahlten Care-Berufen. Gleichzeitig haben Frauen aber eine höhere Lebenserwartung als Männer, sie bräuchten demnach mehr Geld, um sich stabil für das Alter abzusichern.

Wer sich selbst um seine Altersvorsorge kümmern will, der legt oft in Aktien an. Auch Frauen haben das in den letzten Jahrzehnten immer stärker für sich entdeckt.

Olga Miler, die schweizerische Finanzexpertin und Unternehmerin, hält Seminare, die auf die Bedürfnisse von Frauen zugeschnitten sind. Für watson.ch schreibt sie regelmäßig über Themen rund ums Geld, und zwar aus einer weiblichen Perspektive.

"Ich habe es nie bereut, in die Finanzbranche gegangen zu sein, weil Geld vor allem mit den Menschen und dem Leben zu tun hat", sagt die 45-Jährige im Gespräch mit watson.

Dem Stereotyp des eingestaubten Finanzberaters versucht die Unternehmerin entgegenzuwirken, denn Finanzen können auch spannend sein, so Miler. "Um das den jungen Menschen zu erklären, muss immer erst mal Geldtante Olga kommen", sagt sie. Zwar sehe sie auch ein wenig "Boomer-mäßig" aus, aber mit ihrem Engagement will sie die rigide Finanzwelt für neue Kunden öffnen.

"Bei moderner Gleichberechtigung geht es um Wahlmöglichkeiten."

Sie sind Teil der Schweizer Bewegung "We/Men", bei der sich Männer und Frauen für Gleichberechtigung einsetzen. Welche Fortschritte sehen Sie in diesem Bereich?

Es ist schon viel Positives passiert. Das Thema Gleichberechtigung ist weit bekannt und viele Lücken fangen an, sich zu schließen, wie die Gender-Pay-Gap. Frauen bestimmen in der Politik mittlerweile mehr mit und sind auch häufiger als Führungskräfte in Unternehmen vertreten.

Was bedeutet Gleichberechtigung für Sie?

Bei moderner Gleichberechtigung geht es nicht darum, dass Frauen dieses können und jenes nicht können, sondern darum, dass wir als Gesellschaft eine Wahlmöglichkeit haben – sowohl Männer als Frauen. Da bleibt noch viel zu tun, um die Rahmenbedingungen zu schaffen, unternehmerisch wie auch gesellschaftlich.

Frauen sind weiterhin stärker von Altersarmut betroffen als Männer, weil sie öfter in Teilzeit und schlechter bezahlten Care-Berufen arbeiten. Gibt es dafür eine Lösung?

Vorsorge für Frauen ist teilweise ein Investitionsproblem. Das heißt, Gelder auf dem Sparkonto bringen viel weniger Ertrag und werden auf lange Zeit auch noch von der Inflation aufgefressen. Da ist das Anlegen für die Altersvorsorge ganz entscheidend.

Man muss also aufpassen, dass man sein Geld nicht "weg-spart"?

Es ist eine schleichende Entwicklung. Ich vergleiche das immer mit einem hohlen Zahn: Lange tut der Zahn nicht weh, bis er irgendwann ganz schwarz ist. So ist es auch bei der Altersvorsorge, da kommt es auf Disziplin und Langfristigkeit an. Wenn junge Menschen im Alter von 18 oder 20 anfangen monatlich 30 bis 50 Euro auf die Seite zu legen, das schafft eine gute Grundlage.

Aber verdienen Frauen ihr Leben lang über nicht trotzdem weniger Geld?

Frauen steigen im Allgemeinen mit einem niedrigeren Lohn ein, nicht nur wegen der Gender-Pay-Gap. Das fängt meist schon in der Verhandlung an. Frauen sind kompromissbereiter, wenn es darum geht, neben dem Job Zugeständnisse zu Familie, Umfeld und Work-Life-Balance zu machen. Man kann es "Negotiation-Gap" nennen. Statista-Daten zeigen, dass der Unterschied am größten im Alter zwischen 40 und 45 Jahren ist. Kombiniert mit einer geschlechtsbedingten höheren Lebenserwartung und Arbeitsunterbrechungen aufgrund von Kindern ergibt das eine sehr ungünstige Konstellation.

Ist das auch der Grund, weshalb Sie Finanzberatung speziell für Frauen anbieten?

Einerseits ja. Andererseits hatte die gesamte Finanzindustrie das Thema Frauen noch nicht auf dem Schirm, als ich vor neun Jahren angefangen habe. Ich habe heute eine Studie gelesen, bei der die "Fintech Alliance for Women" 140 Unternehmen befragt hat und 58 Prozent haben angegeben, keine Market-Research für Frauen zu machen. Das ist wie damals in der Gesundheitsindustrie, als der Health-Tracker vergessen hat, dass manche Menschen auch Perioden bekommen. Es gibt relativ wenig Finanzrechner, die erlauben, Teilzeitarbeit anzugeben. Da gibt es also noch große Lücken zu schließen.

Inwiefern?

Wir sprechen von einer Branche, die es lange nicht nötig hatte, sich um Kunden zu bemühen – Stichwort Customer Centricity. Die jungen innovativen Fintechs und auch große Player wie Apple, Google oder Facebook wagen hier einen Vorstoß. Das führt zu einer sehr positiven Entwicklung, nicht nur für Frauen, sondern für Kunden allgemein.

"Braucht es rosa Finanzprodukte für Frauen? Nein, es braucht eine bessere Kommunikation und lebensechtere Finanzplanung."

Wie reagieren denn Ihre männlichen Kollegen auf Ihre weibliche Agenda? Schließlich ist die Finanzwelt eher von Männern dominiert.

Innovative und progressive Menschen reagieren sehr positiv, weil sie das Bedürfnis ganz klar sehen, und zwar aus einer gesellschaftlichen und unternehmerischen Perspektive. Frauen sind ein starkes und wichtiges Kundensegment für die Finanzindustrie.

Die Reaktionen waren also insgesamt positiv?

Es gibt natürlich auch Menschen, die nicht so progressiv sind. Die sind dann vielleicht sehr traditionell im Banking groß geworden. Das sind auch oft Leute, die andere Trends, wie die Fintech-Bewegung, Nachhaltigkeit und Entwicklungen wie jetzt zum Beispiel bei Game-Stop als nicht so wichtig erachten.

Fehlt da der Wille zur Innovation?

Ich bekomme immer die Frage gestellt: Braucht es so eine Dienstleistung für Frauen? Braucht es rosa Finanzprodukte für sie? Meiner Meinung nach braucht es die nicht, es braucht aber eine bessere Kommunikation und lebensechtere Finanzplanung. Man muss die Gegebenheiten eines weiblichen Lebens abbilden können. Das gilt für Teilzeitberufe und selbstständige Personen unabhängig des Geschlechts.

Olga Miler ist Finanzexpertin für Frauen.
Olga Miler ist Finanzexpertin für Frauen.

Stimmt es denn überhaupt, dass sich Frauen seltener mit Finanzthemen auseinandersetzen? Und wieso?

Ich glaube, dass Frauen grundsätzlich weniger Zeit haben. Wenn du nebenbei noch Kinder betreust und arbeitest, dann hast du keinen Bock, am Abend 125 Finanzberichte zu lesen. Auch setzen sich Frauen anders mit dem Thema auseinander.

Wie viele Frauen setzen sich denn gar nicht mit dem Thema auseinander?

Statistisch gesehen überlassen sechs von zehn Millennial-Frauen die Finanzplanung in einer Partnerschaft immer noch dem Mann. Eine weitere Hürde ist, dass die Finanzsprache sehr unzugänglich und intransparent ist, das stößt auch vielen jungen Menschen auf. Wir haben kein Verständnis für Finanzinstrumente, weil wir sie nie in der Schule gelernt haben.

Dennoch scheinen sich immer mehr Frauen tiefergehend mit Finanzen auseinanderzusetzen.

Frauen wollen Finanzthemen genauer verstehen. Das dauert auch nicht kürzer oder länger als bei Männern. Wenn Frauen sich tiefer eingearbeitet haben, sind sie risiko- und zielbewusste Investoren. Etwa ein Drittel der Frauen in meinem Finanzseminar machen am Ende ihren Aktienhandel selbst.

Die Eintrittsbarrieren sind also relativ hoch: Was raten sie Leuten, die sich für Geldanlagen interessieren, aber bislang keine Ahnung davon haben?

Das kommt darauf an, was die Person möchte und wie viel Geld sie hat. Wenn man sich nicht viel damit beschäftigen möchte, dann sollte man in ETFs anlegen, oder einen Robo-Advisor zur Hilfe nehmen. Außerdem sollte man einen monatlichen Anlagebetrag festsetzen.

Wie viel wäre das?

Das hängt von den Einkommensverhältnissen ab. Wenn es irgendwie möglich ist, sollten das zehn bis zwanzig Prozent des Monatslohns sein. Bei vielen Leuten ist das aber absolut utopisch.

"Beim Anlegen geht es darum sich zukünftige Freiheitsgrade zu ermöglichen."

Es gibt das Bild vom reichen Aktienspekulant, da passt man als mit einem niedrigen Einkommen als Azubi und Student nicht rein. Kann man als Geringverdiener überhaupt Geld investieren?

Ja, absolut. ETFs sind für sehr wenig Geld zu haben, oder man kann etwas Geld ansparen und sich von einem Robo-Advisor ein Portfolio stricken lassen. Für diejenigen, die ganz wenig Geld haben, gibt es eine Rundungs-Sparfunktion. Da kann man beim Einkauf auf den nächsten Euro oder die nächsten 5 Euro aufrunden und die Differenz sparen – das läppert sich.

Was wäre also ihr Rat?

Keine Hemmungen zu haben und einfach mal zu machen. Selbstverständlich mit einem gewissen Risikobewusstsein. Die Schwierigkeit liegt auch teilweise darin, dass es so viele spezialisierte Angebote gibt. Da herrscht absoluter Wildwuchs. Früher hatte man eine Hausbank und eine Zahnpasta. Heutzutage hast du 100 Zahnpasten im Regal. Genau das Gleiche passiert mit den Banking-Apps. Dadurch, dass diese Tools hochgradig spezialisiert sind, ist es schwierig für den Konsumenten, das Richtige zu finden.

Ab welchem Alter ergibt es Sinn, sein Gespartes anzulegen?

Mein Sohn ist zwölf und der legt Geld an, weil es ihn interessiert. Es ist sinnvoll, die Finanzbildung und ein Selbstverständnis für Geld früh zu fördern. Ich fände es gut, wenn das zur Allgemeinbildung gehören würde. Bei einer Studie in England wurden Menschen gefragt, was sie sich wünschten, in der Schule gelernt zu haben. Fünf von den Top-Ten-Antworten waren zum Thema Geld, auf Platz 1 war Budgeting.

Worin liegt der Vorteil, wenn man früh mit dem Investieren anfängt?

Man kann sich erlauben, Fehler zu machen, denn man macht die Fehler mit kleineren Beträgen. In dem Moment tut es wahrscheinlich weh, sein Taschengeld zu verlieren. Aber aufs gesamte Leben gerechnet ist es eine kleinere Kostenposition, wenn drei oder fünf Euro weg sind. Die Erfahrung hilft.

Man sollte also früh lernen, mit Geld umzugehen?

Es ist auch wichtig, die Wertigkeit von Geld zu erkennen. Beim Anlegen geht es nicht darum, dass man das Geld auf dem Konto lässt, sondern, dass es zukünftige Freiheitsgrade ermöglicht. Das Ganze sollte ein Ziel haben, sonst kann man das Geld ja auch im Sparschwein oder unter der Matratze lagern. Geld ist nur das Mittel zum Zweck.

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Die Protokolle des RKI-Corona-Krisenstabs galten als Verschlusssache. Doch nach einer langwierigen Klage des Corona-Leugner:innen-Milieu nahestehenden Blogs "Multipolar" sind die mehr als 1000 Seiten jetzt öffentlich gemacht worden.

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