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Lernrückstände bei Schülern: Lehrerpräsident fordert "Masterplan" wegen Lockdown

Wegen Corona sind die Schulen weitestgehend bis Mitte Februar geschlossen.
Zu Hause lernen anstatt Präsenzunterricht: Das gehört für die Schüler und Schülerinnen Deutschlands mittlerweile zum Alltag. (Symbolbild)Bild: www.imago-images.de / Fotostand
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Lebenslange Nachteile für Schüler wegen Lockdown? Lehrerpräsident fordert "Masterplan" wegen Lernrückständen

21.01.2021, 17:0322.01.2021, 14:05
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Schülerinnen und Schüler in Deutschland müssen weiter ausharren: Am Dienstag wurde nicht nur beschlossen, dass der bundesweite Lockdown bis zum 14. Februar ausgedehnt wird, sondern auch, dass die Bildungseinrichtungen geschlossen bleiben. Kinder und Jugendliche müssen also weiterhin im Kinderzimmer oder am Küchentisch per Laptop und Tablet lernen anstatt im Präsenzunterricht.

Das Thema Bildung wird seit Beginn der Pandemie besonders kontrovers diskutiert, auch bei der vergangenen Bund-Länder-Konferenz: Selten sind sich Bund und Länder über die Maßnahmen an Schulen auf Anhieb einig, letztlich ist Bildung auch Ländersache. Digitale Maßnahmen lassen sich nur schleppend umsetzen, der Fernunterricht lief vielerorts alles andere als reibungslos ab. Zehn bis 15 Prozent der Schüler drohen deswegen, vom Radar zu verschwinden, mahnte bereits im Dezember der Jugendforscher und ehemalige Leiter der Shell-Studie Klaus Hurrelmann im Interview mit watson.

Wird sich Corona nachhaltig auf den Schulerfolg auswirken?

"Wir wissen mit Sicherheit, dass eine ganze Generation von Schülern infolge der jetzigen Beschlüsse ein Leben lang Nachteile erfahren wird", warnte auch der Generalsekretär der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendmedizin, Hans-Iko Huppertz, in einem Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Das derzeit entstehende Bildungsdefizit bei Schülern führe dazu, dass sie im späteren Leben ihre Möglichkeiten nicht ausschöpfen und dauerhaft ein signifikant niedrigeres Einkommensniveau erreichen werden, sagte der Mediziner. Auch prangerte er das steigende Risiko von Fettleibigkeit und Onlinespielsucht an.

"Natürlich müssen wir verhindern, dass aus dieser Schulschließungsphase Kindern lebenslange Nachteile entstehen", sagt der Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL), Heinz-Peter Meidinger, gegenüber watson. Er ergänzt:

"Wir vom DL plädieren deshalb für einen Masterplan der Politik, wie wir mit diesen Lernrückständen nach Ende der Schulschließungen umgehen."

Manche Schüler bräuchten wohl dazu auch mehr Zeit, gibt der Lehrer und Direktor einer Schule in Bayern zu bedenken. Stellenweise relativiert er Huppertz' Aussagen jedoch auch: "Ob jetzt zwei Wochen mehr oder weniger Distanzunterricht massive Auswirkungen auf die Fettleibigkeit haben, lasse ich mal dahin gestellt."

Wenn die Seele der Schüler leidet, leiden möglicherweise auch ihre Schulnoten

Generell gehe es ihm in der Debatte nicht darum, ob man Schulschließungen für gut oder nicht gut befinde, sagte Meidinger. Er ergänzte: "Auch wir vom DL würden lieber heute als morgen die Schulen und Kitas wieder aufmachen." Wichtiger wäre es seiner Ansicht nach, zu klären, "ob Schulöffnungen bei dem derzeitigen Infektionsgeschehen vertretbar sind – und wenn ja, in welchem Ausmaß." Nach den Empfehlungen des RKI liegen in fast allen Regionen derzeit die Voraussetzungen für eine Rückkehr in den Präsenzunterricht nicht vor, sagt der Lehrerpräsident weiter. Er fordert:

"Wir bräuchten einen Hygienestufenplan, der dies klar regelt, wie ihn das RKI, aber auch der Verband von Herrn Huppertz, vorgelegt haben."

Was die Kontaktbeschränkung betrifft, die auch für Kinder und Jugendliche gilt, sieht Meidinger einen möglichen Zusammenhang zwischen mangelnden sozialen Kontakten und schulischer Leistung: Diese Maßnahme könnte "grundsätzliche Auswirkungen auf die seelisch-psychische Verfassung von Kindern haben (...). Und diese Verfassung hat sicher Auswirkungen auf Lernbereitschaft und Lernfreude."

Umso wichtiger sei es, dass Eltern, "sofern sie dazu in der Lage sind", für einen strukturierten Tagesablauf zu Hause sorgen:

"Man muss alles tun, um die negativen Auswirkungen zu minimieren und da sind alle gefordert: Lehrkräfte, die aus welchen Gründen auch immer nicht erreichbare Kinder oder deren Eltern kontaktieren, Eltern, die im Rahmen ihrer Möglichkeiten ihre Kinder unterstützen. Immer in der Hoffnung, dass es sich dabei um einen begrenzen Zeitraum handelt."

Diese Hoffnung teilen die Länderchefs sicherlich. Baden-Württemberg zeigt sich in dieser Hinsicht besonders optimistisch und möchte die Zeit, in denen die Schulen geschlossen sind, etwas kürzer halten als der Rest Deutschlands: So hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) verkündet, die Schulen bereits am 1. Februar wieder öffnen zu wollen. "Nach meiner Kenntnis gibt das die derzeitige Infektionslage in Baden-Württemberg nicht her", kommentiert Meidinger Kretschmanns Vorhaben. "Allerdings hat Herr Kretschmann ja die Öffnung an die Bedingung geknüpft, dass das Infektionsgeschehen es dann zulässt. Ich bin gespannt, an welcher Expertise er sich dabei orientiert. Wir müssen den Balanceakt zwischen Bildungsauftrag und Gesundheitsschutz hinkriegen."

Mutationen des Coronavirus könnten sich auch in Schulen verbreiten

Der Lehrerpräsident gibt weiterhin zu bedenken, dass Schulen nach bisherigem Wissensstand auch Teil des Infektionsgeschehens seien. "Zudem gibt es Hinweise dazu, dass die ansteckendere englische Mutationsvariante des Virus bei Kindern und Jugendlichen sich häufiger verbreitet als der bisher bekannte Erreger", so Meidinger.

Bei der Bund-Länder-Konferenz am Dienstag war die von Meidinger thematisierte Coronavirus-Mutation ein wichtiges Argument für die landesweite Verschärfung der Maßnahmen sowie die Verlängerung des Lockdowns. Auch am Donnerstag sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) bei einer Pressekonferenz: "Wir dürfen nicht warten, bis die Gefahr bei uns auch greifbarer wird." Es sei noch etwas Zeit, um der Gefahr, die in diesem mutierten Virus steckt, vorzubeugen, so Merkel.

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