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Thüringen: "Ich fühle mich in Erfurt nicht mehr Zuhause" – Rapper über Rassismus

Rashid Jadla ist bereits seit 20 Jahren als Rapper Sonne Ra unterwegs
Rashid Jadla ist bereits seit 20 Jahren als Rapper Sonne Ra unterwegs Bild: privat
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"Ich fühle mich in Erfurt nicht mehr Zuhause" – Thüringer Rapper Sonne Ra über Rassismus

28.10.2019, 17:01
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Mitschüler nannten ihn "Mulatte", verprügelten oder mieden ihn: In seiner Jugend wurde der gebürtige Erfurter Rashid Jadla aufgrund seiner dunklen Hautfarbe regelmäßig rassistisch angegangen. Seit über 20 Jahren verarbeitet er als Rapper Sonne Ra seine Erfahrungen mit Hilfe von Musik.

Und auch heute beschäftigt der Rassismus den Rapper wieder. Das hängt mit der Landtagswahl in seiner Heimat Thüringen zusammen. Dort tritt Björn Höcke vom rechtsradikalen Flügel der AfD als Spitzenkandidat an. Und seitdem ist auch das Leben von Rashid wieder schwieriger geworden. Ein Gespräch über Ausgrenzung und den wachsenden Wunsch, Deutschland zu verlassen.

watson: In Thüringen tritt auch die AfD zur Landtagswahl an – und Björn Höcke ist ihr Spitzenkandidat. Wirkt die Situation bedrohlich auf dich?

Rashid Jadla: Gefühlt haben vor allem rassistische Äußerungen in vergangener Zeit zugenommen. Ich saß etwa in einem Café mit ein paar Leuten aus Eritrea und eine Frau gegenüber ärgerte sich über diese, bloß weil sie dort ihren Kaffee tranken. "Jetzt haben sie es geschafft und können sich breit machen", schmetterte sie los. Doch nicht nur deswegen fühle ich mich manchmal unwohl.

Reicht das nicht schon?

Natürlich verletzen solche Aussagen. Aber nach dem Anschlag in Halle habe ich manchmal Angst, dass hier jemand ebenfalls zur Waffe greift. Ein paar Tage nach dem Anschlag saß ich mit meinen Kindern in einem libanesischen Restaurant. Plötzlich überkam mich ein komisches Gefühl. Mein Herz schlug schneller, die Hände wurden zittrig. Ich dachte, dass jeden Moment jemand kommt und um sich schießt.

Hattest du eine Panikattacke?

Schwer zu sagen. Ich habe jetzt nicht mit einem Psychologen darüber gesprochen. Aber es ist ja so, dass rechter Terror etwa seit dem NSU irgendwie ein Teil unserer Lebensrealität geworden ist. Der Anschlag in Halle hat diese Erinnerung in mir wachgerüttelt.

Fühlst du dich mittlerweile auch unwohl, wenn du das Haus verlässt?

Manchmal ja. Dabei ist es momentan – abgesehen von den Sprüchen – recht friedlich. Solche Momente wie in dem Restaurant sind zwar nicht die Regel, trotzdem muss ich sagen, dass ich mich in Erfurt nicht mehr richtig zuhause fühle.

Dabei bist du dort geboren und aufgewachsen.

Aber als Kind eines Nordafrikaners und einer Deutschen. Manch einer kann mich deshalb nicht akzeptieren, was völlig schwachsinnig ist.

Wann kamst du erstmals mit Rassismus in Kontakt?

Ich würde sagen, kurz nach dem Mauerfall. 1984 wurde ich eingeschult. In der DDR gab es keinen Rassismus – der war schlicht tabuisiert. Rassisten gab es hingegen schon. Allerdings konnten sie sich in meiner Umgebung nur hinter vorgehaltener Hand äußern. Kaum fiel die Mauer, änderte sich das.

Und wie?

Als die Grenzen geöffnet wurden, kamen viele Rassisten aus ihren Löchern und posaunten ihre Meinung heraus. In der Schule musste ich mir dann Sprüche wie "Mulatte" gefallen lassen. Da ich der einzige Mensch mit arabischen Wurzeln war, konnte ich mich nicht wirklich an jemanden wenden.

Auch nicht an deine Lehrer?

Als ich meiner Lehrerin ein vollgeschriebenes Heft mit jeder rassistischen Äußerung vorlegte, erklärte sie mir, dass "Mulatte" ja kein Schimpfwort sei. Irgendwann wurde ich älter und die Sprüche und Angriffe nahmen ab. Mit der AfD hat sich das wieder geändert.

Wie gehst du heute damit um?

Kommt drauf an. Vor ein paar Jahren arbeitete ich auf einer Baustelle als Hilfskraft. Viele der Kollegen dort hetzten gegen Flüchtlinge und alle anderen, die anders aussahen als sie. Die waren überwiegend unzufrieden mit ihrem Lohn, Leben und anderen Dingen. Dafür suchten sie einen Schuldigen.

Zum Beispiel?

Ein Baggerfahrer etwa hatte einen künstlichen Darmausgang und wollte nur noch in Rente. Zwangsläufig müsse er allerdings weiterarbeiten, sagte er. Mit seinem Lohn war er ebenfalls unzufrieden. Irgendwann sah er eine Familie. Die Mutter trug ein Kopftuch und die Kinder Markenklamotten. Für ihn ging das gar nicht.

Inwiefern?

Er sagte, dass er alleingelassen werde und die Flüchtlinge alles bekämen. Hintergründe interessierten ihn nicht. Er wollte nur hetzen.

Was war mit den anderen Kollegen?

Bei ihnen verhält sich das ähnlich. Als damals das Video vom Christchurch-Massaker die Runde machte, haben sich die Kollegen das im Pausenraum angeschaut und lauthals gelacht. Das geht einem schon durch Mark und Knochen. Da ist das in Halle keine Überraschung mehr. Genauso wenig überraschend wäre es, wenn sowas in Erfurt passieren sollte.

Dann werden sie dich doch sicherlich auch schlecht behandelt haben.

Sie verpassten mir unzählige arabische Namen wie Achmed, Hassan, Mohamed, Mustafa. Da ich allerdings meine Arbeit vernünftig erledigte, ließen sie mich schnell in Ruhe. Auf lange Diskussionen hatte ich keine Lust. Als mich ein Kollege in seine Hetzereien verwickeln wollte, sagte ich ihm, dass mir seine politische Meinung egal sei. Wenn er reden möchte, soll er etwas über sich erzählen.

Kam es zum Streit?

Überhaupt nicht. Wir tauschten uns mit der Zeit über unsere Familien und Probleme aus. Zum Schluss war er überrascht, dass ich selbst ähnliche Probleme wie er habe. Meiner Meinung nach erreichst du Menschen wie ihn nicht, indem du sie belehrst. Manchmal helfen Gespräche auf Augenhöhe – so schwer das auch ist.

Gerade bei Hetzereien schwingen Emotionen mit, die sich schnell hochschaukeln.

Ja, aber das hängt auch damit zusammen, dass sie nicht von ihren Theorien ablassen wollen. Natürlich kannst du ihnen sagen, dass sie falsch liegen, aber in der Regel machen sie dann einfach dicht. Oder es eskaliert.

Wie zum Beispiel beim ZDF-Interview mit Björn Höcke. Dort wurde ihm ein Clip gezeigt, in dem seine Parteikollegen Zitate aus seinem Buch nicht von welchen aus "Mein Kampf" unterscheiden konnten. Nach einer kurzen Diskussion brach Höckes Pressesprecher das Interview ab.

Und da sieht man doch, wie so ein Gespräch nicht aussehen sollte. Er konnte schnell in die Opferrolle schlüpfen und flüchten. Für ihn und sein Buch war das wahrscheinlich eine super Werbeaktion. Vielleicht hätte der Interviewer mit dem Wahlprogramm der AfD einsteigen sollen. Da gibt es genauso Raum für Diskussionen.

Rein hypothetisch: Höcke wird gewählt. Was würde das für dich bedeuten?

Für mich wäre das katastrophal. Thüringen könnte dann praktisch zur Pilgerstätte Rechtsradikaler werden. Bei seinen Aussagen wird mir schlecht. Ich könnte mir vorstellen, dass bei seinem Wahlsieg eine Pogromstimmung nicht fern ist.

Und was würdest du dann tun?

Dann würde ich mir überlegen, in welches Land ich auswandern soll. In das Heimatland meines Vaters? Nach Algerien? Dort werfen sie mir an den Kopf, dass ich kein richtiger Araber sei. Trotzdem weiß ich nicht, ob ich dann in Deutschland bleiben wollte. Auch wenn ich nicht die Mittel habe, aus Deutschland auszuwandern.

Du hast ja auch ein paar politische Songs gemacht. Ist eine politische Botschaft in der Musik wichtig für dich?

Was mir passiert ist, ist politisch. Ich selber würde mich aber gar nicht als politisch bezeichnen. Musik dient für mich mehr als Instrument, um Gefühle zu vermitteln. Als Künstler will ich mich gar nicht auf politische Songs versteifen.

Warum?

Es gibt genug andere und auch schöne Dinge, über die ich schreiben kann. Das Leben hat schließlich mehr zu bieten als Rassismus und Politik. Außerdem will ich gerade Rassismus nicht so viel Raum geben.

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