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"Dogs of Berlin" startet auf Netflix: Regisseur Christian Alvart über Clans, Kritik und den Dreh

Dogs Of Berlin
Autor und Regisseur Christian Alvart, Felix Kramer und Sebastian Zimmler (v. l. n. r.)Bild: Stefan Erhard
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Dogs of Berlin-Regisseur: "Wollte keinen Clan denken lassen, dass er gemeint sein könnte"

07.12.2018, 18:4408.12.2018, 10:27
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Nach "Dark" steht nun auch die zweite deutsche Netflix-Produktion zum Bingen bereit. "Dogs of Berlin" verdichtet in zehn Folgen all das, was gerade gesellschaftliche Explosivität verspricht: Clan-Kriminalität, rechtsradikale Kameradschaften und deutsch-türkische Identitätskrisen in der Fußball-Nationalmannschaft.

Ausgangspunkt ist der Mord an einem deutsch-türkischen Fußball-Star, der im Berliner Stadtteil Marzahn von dem korrupten Polizisten Kurt Grimmer (Felix Kramer) gefunden wird. Er und der deutsch-türkische (und homosexuelle) Beamte Erol Birkan (Fahri Yardim) begeben sich in die Berliner Unterwelt, um den Fall zu lösen.

Sich ausgedacht und abgedreht hat die Geschichte Christian Alvart, Regisseur der Schweiger-Tatorte und bildvirtuoser Thriller-Spezialist. 

Wir haben ihn zum Interview getroffen.

watson: Stimmt es, dass du dir den Stoff für "Dogs of Berlin" privat ausgedacht hast, ohne Auftraggeber?
C
hristian Alvart: Mir ist aufgefallen, dass ich immer seltener eigene Sachen geschrieben habe, ohne einen Auftrag zu haben. In einer dieser Momentaufnahmen habe ich angefangen, ohne Ziel und Plan, wo das hinführt. Zuerst in Roman-Form, habe aber nach zwei Kapiteln gemerkt, dass ich es doch filmisch machen wollte. Die Geschichte sollte aber viel zu breit und tief gehen für einen Spielfilm. Ich wusste deswegen gar nicht, was ich damit machen sollte.

Trailer: "Dogs of Berlin"

Ich habe dann ein Buch für einen Pilot geschrieben, der im Grunde auch so geworden ist, wie er jetzt in der ersten Folge verfilmt worden ist. Mit einer kurzen Anpassung, weil wir seitdem Weltmeister geworden sind. (lacht)

Wann hast du denn mit dem Stoff angefangen?
2009. Ich habe dann noch den Pitch gemacht, was im Rest der Serie passiert und dann habe ich es weggelegt. Ich hatte keinerlei Andockpunkte, zu wem ich jetzt gehe und den Stoff versuche, zu verkaufen. Es gab vor neun Jahren nicht den Sendeplatz für eine horizontal erzählte Serie mit 10 Folgen, die es ja heute überall gibt.

Und wie kam es dazu, dass Netflix es abgespielt hat?
Ich hatte dann im Laufe der Jahre mehr Kontakte gesammelt. Ich hab's mit der ARD ein bisschen versucht, wo dann aber die klassischen Strukturen – Sendeplatz, Jugendschutz, Budget für eine Serie nach 20 Uhr – sehr mühsam auf mich wirkten. Irgendwann hat mich Netflix angesprochen, ob ich einen Stoff für sie hätte. Am nächsten Tag konnte ich einen Stoff schicken. Da hat es sich gelohnt, auf Verdacht etwas zu schreiben.

Dann war das wohl sehr gutes Timing. Überall wird über arabische Clans berichtet. Warum ist das Publikum so angefixt von dem Thema?
Ich fand das Thema auch vor zehn Jahren faszinierend. Es ist ja nicht so, dass die Clans auf einmal aufgetaucht sind. Auch damals gab es schon Berichte z.B. im Spiegel. Aber dadurch, dass diese Welt knallharte Gesetzmäßigkeiten hat, ist es einfach toll für Fiktion. Dramaturgie braucht Konflikte. In einem liberalen Milieu gibt es einfach viel weniger Konflikte als zum Beispiel auch in einer Kameradschaft oder Behörde.

Darsteller und Bodybuilder Vito Pirbazari postete dieses Bild vom Set. Rechte Medien und die Junge Alternative Essen machten anschließend damit Stimmung. 

Wie hast du vor einem halben Jahr den Wirbel um eure Serie wahrgenommen, als Rechte eine Szene aus "Dogs of Berlin" für Propaganda nutzten?
Es war bizarr, wie solche Dinge in der Häufung passiert sind. Wir haben im Mai abgedreht. Danach gab es fast jeden Tag eine Schlagzeile, die wir in der Serie thematisiert haben. Zunächst kam die Frage auf, wie integriert die Nationalmannschaft wirklich ist, wir hatten eine große Clan-Beerdigung, danach kamen die Football-Leaks und irgendwann Rechtsextremismus in Chemnitz. ‚Dogs of Berlin‘ wirkt ein bisschen so wie „2018, die Serie“.

Davon träumt man doch als observativer Geschichtenerzähler, quasi parallel zur realen Welt zu erzählen?
Klar ist es nicht schlecht, wenn man aktuell ist mit der Serie, aber wenn die Aktualität so rasant ist, dann hofft man als Erzähler, dass sich nicht irgendwas tut, was deine Geschichte völlig überholt. 

Das Schicksal um den deutsch-türkischen Fußballer erinnert sehr beängstigend an Mesut Özils Geschichte.
Die deutsche Nationalmannschaft ist ja eher mannschaftsorientiert. In unserer fiktiven Nationalelf ist der einzelne Spieler Orkan Erdem vergleichbar wichtig wie ein Cristiano Ronaldo für die Portugiesen. Klar hat Mesut Özil ähnliche Probleme, wie die Entscheidung, ob man für Deutschland oder die Türkei spielt, die dann von beiden Seiten attackiert wird. Da es um Identitätspolitik geht, ist das natürlich spannend.

Kritiker monieren, dass die Serie vor allem Klischees zu sehr bedienen würde. 
Man kann Klischees brechen im Rahmen der Wahrheit. Soll ich die Nazis jetzt in Zehlendorf und nicht in Ost-Berlin ansetzen, nur um Klischees nicht zu bedienen? Dann wäre es nicht authentisch. Für jeden Charakter gibt es ein Vorbild in meinem realen Umfeld, den ich kenne. Und dem vertraue ich erst mal. Wenn Sinan G aus dem Gefängnis zum Set reist, dann glaube ich dem, wenn er sagt: „Im Knast sagen wir das so und so.“

Rapper und Darsteller Sinan G (Sinan Farhangmehr) gemeinsam mit Haftbefehl bei der Premiere. 
Rapper und Darsteller Sinan G (Sinan Farhangmehr) gemeinsam mit Haftbefehl bei der Premiere. Bild: imago stock&people

Wie war es, nicht so erfahrene Schauspieler wie Sinan G vor der Kamera zu leiten?
Jeder Schauspieler ist anders, egal ob Oscar-Gewinnerin Rene Zellweger oder Nachwuchstalent Sinan G. Und da muss man immer einen individuellen Zugang finden. Sinan ist in keiner Form als Amateur besetzt. Er hat über ein Casting überzeugt. Und er ist ein echtes Pfund in der Serie, was man auch merkt, wenn er später eine größere Rolle bekommt.

Du greifst dann auch auf das Wissen, was er von der Straße hat, zurück?
Ich bin nun mal ein Frankfurter Gymnasiast. Ich würde auch einem Neuköllner Jungen es nicht vorschreiben, wie er Berliner Slang zu sagen hat. Wir haben viel über Repräsentation und Diversität bei der Besetzung in der Geschichte geredet. Hinter den Kulissen ist das aber auch so. Den Culture Clash hatten wir auch am Set. Das war unglaublich bereichernd.

Du hast für das Hoheitsgebiet des Clans die Gegend um die fiktive U-Bahn-Station "Kaiserwarte" gewählt. Warum hast du einen fiktiven Ort gewählt?
Du kannst die Kaiserwarte auf Kreuzberg und Neukölln verdichten. Wir haben den Ort fiktionalisiert, weil es reale Familien gibt, die realen Gegenden zugeordnet werden können. 

Ich wollte keinen Clan denken lassen, dass er gemeint sein könnte. Durch die Fiktion wird eine Familie weder verherrlicht noch verharmlost.

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