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Panik vor Klausuren: Psychologin erklärt, wie wir mit Prüfungsangst umgehen können

Prüfungen bedeuten für viele von uns eine Menge Stress. Wir haben die besten Tipps für euch, was ihr gegen das Lampenfieber machen könnt.
Wenn der Druck steigt und das Wissen schwindet während der Prüfung.Bild: Getty Images
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Prüfungsangst: Psychologin erklärt, wie wir Furcht vor dem Scheitern überwinden

20.09.2020, 18:4611.01.2022, 14:45
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Nach langer Vorbereitung ist es endlich so weit: die erste Prüfung in diesem Semester. Ein wenig nervös setzt du dich in den Hörsaal, gehst nochmal alles im Kopf durch – scheint alles da zu sein. Tja, und dann geht die Prüfung los. Plötzlich ist dein gesamtes Wissen weg, als hätte sich ein schwerer Vorhang über dein Gedächtnis gelegt. Rechenwege, die du Tag für Tag geübt hast, wirken plötzlich abstrakt. Statt zur Lösung zu gelangen, verirrst du dich. Deine Hände werden schwitzig, dein Puls rast. In deinem Kopf flüstert eine Stimme: "Das wird eh nichts, du bist zu schlecht."

Es ist keine Seltenheit, dass die Angst zu scheitern letztlich zu einem Blackout führt. Das gilt nicht nur für Prüfungen, sondern den gesamten Alltag. Wollen wir etwa bei der Arbeit stets über uns hinauswachsen, können wir auf der Stelle treten, machen vielleicht sogar für uns unübliche Fehler. Schnell suchen wir Wege, diese Angst abzuschütteln. Leider ist das nicht einfach. "Oft lässt sich die Angst auf Erfahrungen aus der Kindheit zurückführen", sagt die Psychologin Laura Ritthaler.

Mit ihrem Buch "Emotional Detox" sowie in ihrer Praxis in Berlin hilft sie Menschen, sich von negativen Gedanken und Ängsten zu lösen. Wir sprachen mit ihr darüber, wie Versagensangst entsteht, welche Rolle die Eltern dabei spielen und was wir gegen das Lampenfieber vor Prüfungen machen können.

"Wenn wir etwa nur das Ziel verfolgen, immer besser zu werden, landen wir früher oder später in einer Sackgasse."

watson: Woher kommt die Angst vor dem Versagen eigentlich?

Laura Ritthaler: Aus meiner Sicht kommt die Angst zu versagen durch übertriebene Ansprüche von außen. So sind es häufig Bezugspersonen wie Eltern, Lehrer oder Freunde, die einem ihre hohen Maßstäbe, ihre Weltvorstellungen und ihren Ehrgeiz bewusst oder unbewusst überstülpen. Ein Beispiel wären fürsorgliche Eltern, die ihrem Kind am ersten Schultag sagen: "Gib dein Bestes", oder nonverbal zu verstehen geben: "für gute Leistung bekommst du unsere Liebe."

Viele Eltern denken in dem Moment vielleicht, dass sie das Richtige tun. Immerhin modellieren die Kinder ihre Zukunft in der Schule.

Das mag richtig sein, aber durch die "motivierenden" Worte können bei dem Kind eine ungeheuerliche Spannung und Druck entstehen. Das sorgt für eine nachhaltige Angst vor dem Versagen und den "schrecklichen" Konsequenzen. Vor allem liegt das an dem Unterschied zwischen Kindern und Erwachsenen.

Und der wäre?

Der junge Mensch hat häufig noch nicht die Fähigkeiten, sich reflektiert abzugrenzen und nimmt Urteile sowie Normen der Erwachsenen als wahr an. Wenn ich mir kleine Kinder anschaue, dann haben die noch keine Angst zu versagen. Sie ärgern sich oder werden wütend, wenn sie etwas nicht schaffen, und freuen sich, wenn es klappt. Und sollte etwas auf Dauer nicht funktionieren, suchen sie sich eine andere Baustelle für die Entfaltung.

Was unterscheidet denn einen Erwachsenen ohne Versagensangst von einem mit?

Ein nicht von Angst geleiteter Erwachsener würde sich zum Beispiel bei einer größeren Prüfung eher sagen: "Ich tue was ich kann, was bekömmlich für mich ist. Wenn es nicht klappt, dann ist es vielleicht nicht das Richtige oder ich probiere es nochmal". Bei dem Verängstigten sagt die innere Stimme hingegen: "Du bist ein Versager, wenn du nicht einmal das hinbekommst."

"Vergleiche spielen eine wichtige Rolle bei der Versagensangst."

Und wie können wir diese innere Stimme zum Schweigen bringen?

Hier lohnt es sich, genauer hinzuschauen: Will ich ein Ziel überhaupt aus eigenem Antrieb erreichen, oder versuche ich die Vorstellungen von anderen zu erfüllen? Ist der Weg bekömmlich, wie ich mich unter Druck setze? Gönne ich mir genug Freiräume, oder aber auch: Bin ich zu lax mit meinen Anstrengungen, um meine Ziele zu erreichen?

Heute ist es beinahe üblich, sich ständig verbessern zu wollen, etwa bei der Arbeit oder auch sportlich. Kann man Versagensangst als ein Resultat dieses Selbstoptimierungszwangs betrachten?

Zu wachsen und sich Fähigkeiten und Kompetenzen anzueignen, halte ich für einen lebenslangen Prozess. Grundlage dafür ist die Neugierde, das Interesse an den Dingen und Lösungen. Hier zählt die Motivation. Wenn wir etwa nur das Ziel verfolgen, immer besser zu werden, landen wir früher oder später in einer Sackgasse. Allein der Körper weist uns da irgendwann natürliche Grenzen auf. Ist das Interesse, der Wunsch nach Entfaltung oder der persönlich gefundene Sinn die Motivation sich einer Tätigkeit hinzugeben, hat der Mensch ein wesentlich tragfähigeres Gerüst und ist besser gewappnet auch in anspruchsvollen und stressigen Zeiten.

Spielen auch Vergleiche mit anderen Menschen eine Rolle?

Vergleiche spielen eine wichtige Rolle bei der Versagensangst. Man neigt leicht dazu, sich mit derjenigen Person zu vergleichen, die in einem Punkt wesentlich besser ist. Und erhebt den Anspruch an sich selbst genauso gut zu sein. Das erzeugt Druck. Die Medien sind vollgestopft mit Storys über Profis, die über ihre Grenzen gegangen sind, mit vorgefertigten Schönheitsidealen und angesagten Lebensentwürfen. Allzu rasch kann es geschehen, dass man aus der Sehnsucht heraus diese überspitzten und einseitigen Ideale für sich selbst als Grundlage nimmt und sich an ihnen misst.

Es ist aber auch menschlich, sich zu vergleichen.

Aber wenn wir uns schon vergleichen, dann doch besser mit Menschen, die wir persönlich gut kennen und die ein ausgewogenes Leben in unterschiedlichen Bereichen verwirklichen. Ebenfalls sehr hilfreich: Ich vergleiche mich mit mir vor fünf Jahren. In einer entspannten Atmosphäre einmal reflektieren, welche Herausforderungen man selbst in den vergangenen fünf Jahren erfolgreich genommen hat.

Welche Menschen sind von Versagensangst besonders betroffen?

Versagensangst kann sich dort zeigen, wo Erwartungen an uns gestellt werden, wo wir funktionieren "müssen", wo andere Menschen uns bewerten. Typischerweise also in den Bereichen, wo wir Schwierigkeiten haben oder haben könnten: Im Job, beim Studium oder auch beim Sex, falls es nicht wie erwartet "funktioniert". In meiner Praxis habe ich festgestellt, dass auch die besonders erfolgreichen Menschen in Führungspositionen mit hohem Einkommen Versagensängste haben können. Mit aller Kraft versuchen sie, der Gefahr, "als Versager" enttarnt zu werden, entgegenzuwirken.

"Sobald wir vom Versagen sprechen, bewerten wir uns. Wir sagen, dass die Erwartungen, die Andere an uns gestellt haben, oder die man an sich selbst stellt, nicht erfüllt wurden."

Wie machen sie das?

Durch viele Überstunden und den Anschein eines perfekten Privatlebens. Versagensangst ist dort anzutreffen, wo Fehler nicht gemacht, gezeigt und vermieden werden sollen. Kurzum: Wenn Fehler ein Zeichen von Schwäche sind und die Erfüllung der Pflicht die oberste Priorität darstellt.

Druck kann auch motivieren. Wir strengen uns mehr an, wollen bessere Ergebnisse. Kann das nicht auch positiv sein?

Theoretisch könnte man das sagen, weil man sich etwa sturer der Vorbereitung hingibt und in der Prüfungssituation aufgeregter ist. Allerdings ist der Preis dafür hoch. Die Motivation, sich für die Vorbereitung genug Zeit zu nehmen, kann auch zum Beispiel durch Interesse und der freudvollen Vorstellung des Erreichens des Ziels resultieren. Aufregung im Sinne von Lebendigkeit und Ressourcenaktivierung können wir auch haben, ohne die Angst, als Versager dazustehen.

Wie kann man am besten mit Versagensangst umgehen?

Es ist hilfreich zu erkennen, dass Fehler ein notwendiger und hilfreicher Schritt im Prozess des Wachsens und des Lernens sind. Fehler sind okay. Sobald wir diesbezüglich aber vom Versagen sprechen, bewerten wir uns. Wir sagen, dass die Erwartungen, die andere an uns gestellt haben, oder die man an sich selbst stellt, nicht erfüllt wurden. Wir machen uns selbst schlecht. Ich glaube, sich selbst runterzumachen ist nie hilfreich. Statt dass es uns weiterbringt, lässt es uns nur schlecht und ungenügend fühlen.

Es kann helfen, den Rahmen zu erweitern und sich zu fragen, wie es dazu kommen kann, dass man sich selbst als Versager fühlt: Mit wessen Maßstab bewerte ich mich gerade? Ist das Ziel vielleicht gar nicht meins? Was braucht es, damit ich mir wohlgesonnener und friedvoller entgegentreten kann? Hierbei kann die Unterstützung eines erfahrenen Psychologen sehr hilfreich sein. Mit meinen Klienten mache ich manchmal das folgende Gedankenspiel: Stellen Sie sich vor, Ihr bester Freund kommt zu Ihnen und sagt: Ich fühle mich als Versager, weil ich mich im Vergleich zu dir schlecht fühle. Wie würden Sie ihm zureden? Würden Sie ihm sagen, er ist ein Versager? Wohl kaum! Sie würden wohlwollende und differenzierte Versuche der Erklärung und der Lösungsstrategien finden.

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