Egal, ob in der Lebensmittelindustrie, der Mode oder im Nahverkehr – jeder will momentan mit dem Thema Nachhaltigkeit das große Geld verdienen. In Berlin nimmt dieser Trend momentan merkwürdige Ausmaße an, es gibt gefühlt Dutzende verschiedene Leihfarräder.
Noch merkwürdiger: Immer häufiger werden die Räder nicht zum Fahren benutzt.
Bürgersteige sind gepflastert mit Leihrädern, die eigentlich gestressten Großstadtautofahrern zum Radeln animieren sollen – ist ja schließlich nicht nur gut für die Natur, sondern auch für den eigenen Körper.
Der Fehler in der Rechnung: Berlin ist schlichtweg keine Fahrradstadt. Das merken auch die Anbieter: "Nur 12 Prozent aller Fahrten in Berlin werden mit dem Rad unternommen", sagt Alex Cappy, Deutschland-Chefin des chinesischen Leihbike-Anbieters ofo. ("Berliner Kurier")
Bis es auch in Berlin mit der Infrastruktur so weit ist, stehen viele der bereits über 14.000 Leihräder unbenutzt auf den Fußgängerwegen der Hauptstadt herum. ("Tagesspiegel")
Die Bikes gelten nicht gerade als cool, das Zielpublikum dürfte eher aus umweltbewussten Geschäftsleuten, Studenten und hippen Großstädtern bestehen, die man auch mit 200 Gramm Bio-Cheddar für 10 Euro im Prenzlauer Berg vorbeifahren sieht.
Eine Marke spricht allerdings offenbar unerwarteter Weise eine ganz andere Bevölkerungsschicht an: Wie die Bloggerin Dominique Hensel aus Berlin-Wedding bereits Ende Mai feststellte, seien überraschend viele Jugendliche in ihrem Viertel mit den asiatischen Zweirädern unterwegs. ("Weddingweiser")
Neulich im Video des Neuköllner Nachwuchs-Rappers Brudi030:
Der Berliner posiert im Video seiner Single "Plötzensee" in schönster Problemviertel-Ästhetik auf einem gelben ofo-Bike. Kann ja nicht direkt der Maserati sein, wenn man bereit seine ganze Kohle für die Gucci-Bauchtasche rausgehauen hat.
Was soll das?
Brudi030 wird mit dem prominenten Einsatz des gelben Rads offenbar einem kleinen Hype der Berliner Popkultur gerecht, wie ein Blick auf die Google-Trends der vergangenen 90 Tage: Die zeigen seit Mitte Mai immer wieder krasse Ausreißer für die Suchanfrage "ofo hack". Wie denkt der Musiker selbst darüber? Er schreibt uns eine WhatsApp:
Der betroffene Leihbike-Anbieter möchte den ofo-Anhängern nicht explizit kriminelle Energie unterstellen – auch wenn es sich bei ihren Aktionen um Straftaten handelt.
Ganz uncool scheinen sie den unerwarteten Popularitätsschub für ihre Räder nämlich trotz rechtlicher und finanzieller Bedenken nicht zu finden, wie Deutschland-Chefin Cappy wissen lässt: "Wenn wir damit wenigstens einen kleinen Beitrag dazu leisten konnten, junge Menschen zum Fahrrad fahren zu bewegen, können wir diesen Vorfällen doch zumindest ein bisschen auch etwas Positives abgewinnen." ("Vice") Das Unternehmen lässt verlauten, dass es sich strafrechtliche Schritte dennoch vorbehält.
Auch eine Art, einem Business-Desaster etwas Gutes abzugewinnen.