Die Berliner Rapper machen ihr eigenes Ding. Immer schon. Das ist eine der ganz wenigen Konstanten, die sich durch die Berliner Rapgeschichte zieht: der Hang zur gepflegten Ignoranz gegenüber Trends und Gepflogenheiten vom Rest von Rapdeutschland.
Während sich Straßen-Rapper gerade krumm biegen, um mit Autotune-Hooklines und Flow-Stolpereien in Spotify-Playlisten stattzufinden, macht der derzeit größte Newcomer der Hauptstadt was ganz anderes: Samra rappt hart, auf 90 BPM-Beats mit Piano-Samples und mit einer ordentlichen Portion Körnern in der Stimme.
Klingt nach Bushido? Enthält auch Spuren von Bushido. Denn Samra war bis vor kurzem bei dessen Label "Ersguterjunge" und gilt nach Bushidos Untertauchen als sein potenzieller Nachfolger.
Mit "Harami" hat der 23-Jährige gerade seinen zweiten Solo-Nummer-1-Hit gelandet und dabei niemanden Geringeren als Rap-Kollegen und -Freund (dazu weiter unten mehr) Capital Bra auf Platz 2 verwiesen.
Es wird Zeit, Samra etwas näher kennenzulernen:
Im Südwesten Berlins, in Lichterfelde-Süd genau an der Stadtgrenze, ist Samra aufgewachsen. Genauer: in der berüchtigten Thermometersiedlung, von der Polizei als sozialer Brennpunkt klassifiziert, mit einem Ausländeranteil von 60 Prozent.
Übrigens kommen seine Rap-Kollegen Fler und Jalil auch aus der Siedlung.
2013 drehte "Vice" für ZDF-Kultur einen Beitrag über Straßenrap und befragte dazu Berliner Jugendliche mit Migrationshintergrund.
Mit dabei: Samra, als damals 18-jähriger Hussein, der möglicherweise noch ein wenig mit Babyspeck zu kämpfen hat, aber schon eine klare Haltung zu vielen Themen hat.
Als Samra 2016 seine ersten Songs veröffentlichte nannte er sich noch Pimp Hussin, danach Samra45 (die 45 steht für die Polizeidirektion 45 in Lichterfelde) und schließlich Samra. Der Name heißt auf arabisch so viel wie "die Dunkle".
Zusammen mit den Südberliner Rappern Anonynm, M-Jahid und Gent, der kürzlich von Kollegah unter Vertrag genommen wurde, bildete er das Kollektiv "Caney Armee". Der Schöneberger Straßenrap-Veteran Alpa Gun entdeckte Samra und featurte ihn auf seinem Album "Zurück zur Straße". Dabei bekam er vor allem Aufmerksamkeit dadurch, dass er gestandene Rapper wie Fler und die 187 Straßenbande beleidigte.
Das kann man wohl nur mit jugendlichem Übermut erklären. Ein paar Monate später rappte er im "U21"-Track mit dem Youtuber Mert: "Der 187-Diss war ein Eigentor!" Dennoch war ihm die Aufmerksamkeit der Rapszene sicher.
Samra veröffentlichte weiterhin Tracks und wurde immer mehr gehypt. In einem Kommentar auf Facebook gab er an, dass er gerne bei Farid Bangs Label "Banger Musik" signen würde. Stattdessen landete er bei Bushidos Label "Ersguterjunge".
Als Erklärung gab er auf Facebook an: "Farid Bang wollte mich zu Banger Musik holen, damit ich als Berliner EGJ disse. Ich wollte nur Musik machen und er wollte mich in dieses ganze JGB Ding reinziehen. Wegen Bushido habe ich angefangen zu rappen und mein Onkel ist mit Arafat befreundet, sowas wäre unehrenhaft und respektlos auch gegenüber meinem Onkel!"
Für seinen Onkel unterschrieb Samra also bei Arafat Abou-Chakers Geschäftspartner Bushido. Klingt nicht unbedingt nach einer Liebesbeziehung. Und doch blieb Samra als einziger bei Bushido, als sich dieser mit Arafat überwarf und alle Künstler bei EGJ nach und nach abhauten.
Im Sommer 2018 überraschte Bushido alle, als er mit Capital Bra den erfolgreichsten Rapper des Landes unter Vertrag nahm. Es entwickelte sich schnell eine Freundschaft zwischen Samra und Capital. Samra wurde von Bushido auf einigen Songs seines Albums "Mythos" gefeaturet und packte Samras "Rohdiamant"-EP in seine Box.
Doch die Liebe hielt nicht ewig. Im Januar ließ Capital die Bombe platzen und erklärte, dass er nicht mehr bei EGJ wäre, weil Bushido mit der Polizei arbeiten würde. Außerdem würde Samra dessen Texte schreiben.
Am gleichen Tag veröffentlichten die beiden jungen Rapper den Track "Fick 31er" auf Grundlage eines alten Bushido-Beats. Verräter werden im Straßenjargon 31er genannt.
Die Zukunft hält viel für Samra bereit. Nach seiner Trennung von "EGJ" unterschrieb er einen Major-Deal bei "Universal Urban". Sein Debütalbum "Marlboro Rot" (Samra raucht übrigens sehr gerne) soll am 13. September erscheinen. Danach ist ein Kollabo-Album mit Capital Bra geplant. Es wird spannend, auf lange Sicht zu beobachten, ob die Vorschusslorbeeren für Samra gerechtfertigt sind.