Polizisten können nicht nur dabei helfen, Verbrechen aufzuklären – die Polizeibeamten können auch selbst gegen das Gesetz verstoßen. Erst am Wochenende sorgte ein Fall von Polizeigewalt in der Innenstadt von Frankfurt am Main landesweit für Aufsehen – am Montagabend sendete die ARD mit der Sendung "Staatsgewalt – Wenn Polizisten zu Tätern werden" einen Beitrag zu dem Thema.
Die Sendung zeigt drei bemerkenswerte Fälle von Polizeigewalt in Deutschland – und dokumentiert das Versagen bei der Aufklärung.
In dem Film von Marcus Weller kommt auch die Familie Schmid aus Baden-Württemberg zu Wort: Die Familie schildert den Fall ihrer Tochter Ann-Kathrin und ihres damaligen Freundes im Februar 2016. Die beiden seien zu einer Polizeiwache nach Stuttgart gefahren, da der Freund aufgefordert worden sei, sich dort zu melden.
Die Schmidt-Tochter wartete vor dem Revier, dort wurde sie von Polizeibeamten wegen einer angeblichen Personenkontrolle angesprochen. Die Schmidt-Tochter: "Es hieß, ich solle doch meine Jacke mitnehmen, die werde ich brauchen, wenn ich dann erstmal für ein paar Wochen im Frauenknast lande."
Eine Falle – denn gegen ihren Freund und Schmid selbst wurde wegen Versicherungsbetruges ermittelt. Schmid war unschuldig, dennoch wurde auch gegen sie ermittelt. Sie wurde an einem Sonntag in eine Zelle in Stuttgart gebracht. Auf ihren Wunsch nach einem Haftrichter habe man der Unschuldigen gesagt: "Es ist jetzt keiner da, es ist Sonntag."
Der deutsche Kriminologe Thomas Feltes zweifelt am Vorgehen der Polizeibeamten: "Man hätte relativ schnell herausfinden können, ob es notwendig ist, die junge Frau festzuhalten." Die Begründung, warum Schmid keinen Zugang zu einem Haftrichter gehabt habe, nennt Feltes "rechtswidrig." Haftrichter müssten auch am Sonntag Beschuldigten zur Verfügung stehen.
Schmid musste eine Nacht unschuldig in einer Zelle bleiben. Sie meint: "Der Geruch ist das schlimmste, der bleibt haften." Schmid ist den Tränen nahe: "Diese Ohnmacht war auch in diesem Moment grauenvoll."
Schmids Vater, selbst Polizist, kämpfte erfolglos gegen Aufklärung. Sowohl der Landtag als auch der Polizeipräsident wollen ihm nicht helfen. Die Polizei erklärte ihr Vorgehen, Ann-Kathrin Schmid über Nacht festzuhalten, später damit, dass man zunächst noch erforderliche Bankermittlungen habe durchführen müssen – doch die Bank habe am Sonntag geschlossen gehabt.
Auf Drängen der Familie kommt schließlich raus: Diese Ermittlungen hat es zu der Zeit nie gegeben. Für den Kriminologen Feltes ist das Vertuschen der Beamten typisch: "Wenn in der Polizei Fehler gemacht werden, ist der erste Reflex, das zu vertuschen, zu verneinen."
Forschungen der Universität Bochum zeigen: Schmids Fall ist kein Einzelfall. In dem Beitrag von "Kontraste" heißt es, dass es in Deutschland pro Jahr mindestens 2000 dokumentierte mutmaßlich rechtswidrige Übergriffe durch Polizeibeamte gibt, die von den Staatsanwaltschaften bearbeitet werden. Die Dunkelziffer, so die Forscher, sei viel höher. In Bochum geht man von mindestens 12.000 mutmaßlich rechtswidrigen Übergriffen durch Polizeibeamte aus.
Doch weniger als zwei Prozent der Fälle kommen vor Gericht, nur 1 Prozent enden mit einer Verurteilung. Der Bochumer Professor Tobias Singelnstein ist sicher, dass für die geringe Aufklärungsquote vor allem die Staatsanwaltschaften, die ihr Verhältnis zur Polizei nicht belasten wollten, verantwortlich seien.
Von rund 2000 mutmaßlich rechtswidrigen Übergriffen durch Polizeibeamte jährlich werden nur etwa vierzig angeklagt. Hier kommt der, ebenfalls in der Sendung thematisierte Fall von Karl-Heinz Willemsen ins Spiel: Willemsen war im Dezember 2016 in einer Gaststätte in Friesland zu Gast, als er Opfer von Polizeigewalt wurde.
Die dortige Kellnerin Tanja Schmollmann erinnert sich an den Abend: Die Beamten seien auf der Suche nach dem Beteiligten einer Schlägerei gewesen. Auch der damals 63-jährige Willemsen – von Bekannten auch "Charly" genannt – war in der Kneipe zu Gast. Als Willemsen das Lokal verlassen wollte, wurde er von einem Polizeibeamten aufgehalten.
Willemsen fällt ins Koma, er verstirbt wenige Tage später. Nach dem Vorfall wurden die beteiligten Polizisten vernommen. Der beschuldigte Polizist schwieg. Seine Kollegen gaben jedoch Auskunft – und entlasteten den Kollegen. Willemsen habe den beschuldigten Polizisten bedrängt, sein Sturz sei ein Unglück gewesen. Dabei sprachen fünf Zeugen von einem deutlichen Stoß des beschuldigten Polizeibeamten gegen die Brust von Willemsen. Doch die Aussagen der Kollegen des Beschuldigten schienen der Staatsanwaltschaft zu genügen.
Das Verfahren wurde eingestellt. Der Pensionär Werner Wolter, der sich um die Aufklärung des Falls bemüht hatte, resigniert in der ARD-Sendung: "So wird es meiner Meinung nach sehr, sehr vielen Opfern gehen, die einfach keine Chance haben gegen dieses System hingegen anzukommen."
Die ARD-Sendung dokumentiert am Montagabend noch einen dritten Vorfall, der das Problem der Polizeigewalt aufzeigen soll: der Fall des irakischen Flüchtlings Hussam Hussein. Hussein war 2016 von Polizeibeamten bei einem Einsatz vor einer Flüchtlingsunterkunft in Berlin erschossen worden. Die Begründung damals: Hussein habe ein Messer in der Hand gehabt.
Er habe – so hieß es in der damaligen Stellungnahme der Polizei – mit dem Messer versucht, die Beamten und einen Bewohner der Flüchtlingsunterkunft zu attackieren. Nach den Recherchen von "Kontraste" kann man nun bezweifeln, ob Hussein tatsächlich ein Messer bei sich trug. Ein Zeuge des Vorfalls in der Sendung am Montagabend: "Hussein hatte kein Messer, das schwöre ich, ich habe kein Messer gesehen und ich stand ja neben ihm. Niemand von uns hat ein Messer gesehen. Der hatte einfach keins."
Auch ein Polizeibeamter, der an dem Abend vor Ort gewesen war, meint: "Meine Kollegen und ich glauben, nein, wir wissen, dass wir alle kein Messer gesehen haben. Aus unserer Sicht war der Mann nicht bewaffnet."
Ein Messer wird später dennoch gefunden, und ins Archiv gebracht. Der zentrale Zeuge des Vorfalls, ein Bewohner der Flüchtlingsunterkunft, den Hussein damals habe attackieren wollen, wird nicht befragt. Das Verfahren gegen die Polizeibeamten wird später eingestellt.
Polizei und Staatsanwaltschaft kommen in der Sendung von "Kontraste" kaum zu Wort. Sie wollten es wohl auch nicht. Die geschilderten Fälle zeigen eindrücklich: Es gibt in Deutschland ein Problem mit Polizeigewalt. Und die Behörden, die in der Pflicht wären, das aufzudecken, wollen oftmals das Thema lieber verschweigen.
(pb)