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Pflegerin auf Corona-Intensivstation: "Etwa Hälfte verlässt Station nicht lebend"

Reportage in Robert Ballanger hospital's Intensive Care Unit in France. A nurse cleans a patient's catheter. (Photo by: BSIP/Universal Images Group via Getty Images)
Auf den Corona-Intensivstationen liegen auch jüngere Menschen ohne Vorerkrankung. (Symbolbild).Bild: Universal Images Group Editorial / BSIP
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Pflegerin auf Corona-Intensivstation: "Etwa Hälfte der Patienten verlassen unsere Station nicht lebend"

06.12.2020, 11:3806.12.2020, 17:58
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sabine b.

Sabine B. (Name von der Redaktion geändert), 59, ist Krankenpflegerin in München. Momentan ist sie auf einer Corona-Intensivstation eingesetzt und beobachtet jeden Tag, wie schwer die Krankheit bei manchen Menschen verläuft – selbst bei jüngeren ohne Vorerkrankungen. Bei watson erzählt sie, wie sie ihren Arbeitsalltag momentan wahrnimmt und erklärt, warum sie von einem härteren Lockdown dennoch nichts hält.

"Ihr habt die Bilder aus Bergamo und New York doch auch alle gesehen – habt ihr sie bereits vergessen?"

Bilder von Leichen, überfordertem medizinischen Personal: Die Fotos aus Bergamo in Italien oder New York in den USA, die während der ersten pandemischen Welle entstanden sind, gehen mir immer noch nicht aus dem Kopf. Sie gruseln mich geradezu. Wenn ich allerdings jetzt, im Corona-Winter, miterlebe, wie seelenruhig die Menschen um mich herum in vollen U-Bahnen zur Arbeit fahren, keine Abstände halten, teilweise in Gruppen unterwegs sind, frage ich mich: Ihr habt die Bilder doch auch alle gesehen – habt ihr sie bereits vergessen?

Ich arbeite seit mittlerweile 30 Jahren als Krankenpflegerin, momentan bin ich auf einer Covid-19-Intensivstation eingesetzt. Aktuell betreuen wir hier zehn Patienten. Damit haben wir eigentlich unser Limit erreicht, obwohl wir noch weitere Intensivbetten freihätten. Das Problem sind aber weder zu wenige Betten noch fehlende Beatmungsgeräte, sondern schlichtweg der Personalmangel: Wir haben im Prinzip nicht mehr Pflegekräfte, selbst keine Nicht-Festangestellten, die weitere schwer an Covid-19 erkrankte Patienten aufnehmen könnten. Vor allem jetzt, da im Winter mehr Kollegen und Kolleginnen ausfallen als sonst, meist wegen Erkältungen. Vor Krankheiten sind auch wir schließlich nicht gefeit.

Krank arbeiten musste bei uns noch niemand

Dass bei uns Pflegekräfte krank arbeiten mussten, ist glücklicherweise noch nicht passiert. Auch hatten wir bei unserem Personal erst einen Corona-Fall, und das während der ersten pandemischen Welle im Frühjahr. Trotzdem macht uns der Personalmangel zu schaffen, übrigens nicht nur in der Pflege, sondern auch bei den Ärzten: Deswegen arbeiten Mediziner von anderen Stationen jetzt bei uns im Schichtdienst. Ideal ist es nicht, wenn Ärzte von der Corona-Intensivstation wieder zu anderen, nicht-isolierten Stationen zurückwechseln. Anders geht es aber momentan nicht – und der Winter hat gerade erst begonnen, müssen wir bedenken. Wer weiß, was angesichts des aktuellen Infektionsgeschehens noch auf uns zukommt.

Am meisten leid tun mir natürlich unsere Patientinnen und Patienten: Die meisten von ihnen sind schön älter und haben Vorerkrankungen, gehören also zu einer Risikogruppe. Allerdings nicht ausschließlich: Es kommen auch Menschen auf die Intensivstation, die jünger sind und gesund. Das beweist wieder einmal: Wir wissen noch zu wenig über das Coronavirus, um genau vorhersagen zu können, bei wem die Krankheit schwer oder gar tödlich verlaufen wird. Momentan verlassen etwa die Hälfte der Patienten unsere Station nicht lebend. In der Regel können sie sich wegen der strengen Hygienemaßnahmen auf unserer Station nicht einmal von ihren Angehörigen verabschieden.

"Wer auf der Corona-Intensivstation aufwacht, muss sich vorkommen, als wäre er plötzlich auf einem fremden Planeten, umgeben von Außerirdischen."

Generell muss die Situation für unsere Corona-Patienten sehr belastend sein: Abgesehen davon, dass sie natürlich körperlich unter der schweren Erkrankung leiden, sind sie bei uns extrem von der Außenwelt isoliert. Hier ist keine vertraute Stimme, kein Partner oder Freund, der ihre Hand hält, dafür lauter Fremde mit Schutzkleidung, Visieren und Masken. Wer auf der Corona-Intensivstation aufwacht, muss sich vorkommen, als wäre er plötzlich auf einem fremden Planeten, umgeben von Außerirdischen. Das nimmt einen schon mit.

Wir brauchen nicht mehr Regeln, sondern gesunden Menschenverstand

Dennoch glaube ich, dass ein härterer Lockdown uns nicht helfen würde. Ich denke, man sollte die Menschen nicht noch mehr unter Druck setzen: Selbstverständlich vermissen wir alle unser altes, sorgenfreieres Leben, die Restaurant- und Kinobesuche, die Treffen mit Familie und Freunden. Wenn wir die Regeln jetzt allerdings noch mehr verschärfen, werden die Leute sich nur noch mehr in die Ecke gedrängt fühlen, befürchte ich – und die Maßnahmen umgehen.

"Vielleicht müssen wir uns tatsächlich die Schreckensbilder der ersten Corona-Welle ins Gedächtnis rufen, um wieder mehr Acht zu geben."

Ich würde mir eher wünschen, dass die Regierung wieder stärker an den gesunden Menschenverstand appelliert und wieder mehr über die Krankheit aufklärt, der Bevölkerung wieder ins Gewissen ruft, was hier in Deutschland eigentlich gerade passiert. Damit wir wieder mehr Empathie für unsere Mitmenschen empfinden und dementsprechend vorsichtiger in unserem Alltag miteinander umgehen. Es muss sich ja nicht jeder komplett isolieren – ich finde, indem wir unsere sozialen Kontakte stark beschränken, haben wir eigentlich eine gute und sichere Kompromisslösung gefunden. Es müssen nur alle mitmachen. Vielleicht müssen wir uns aber tatsächlich die Schreckensbilder der ersten Corona-Welle ins Gedächtnis rufen, um wieder mehr Acht zu geben.

Ich persönlich fürchte mich übrigens nicht besonders vor einer Ansteckung, obwohl ich auf einer Corona-Intensivstation arbeite. Ich weiß schließlich, was ich tue, ich achte extrem darauf, die Hygieneregeln einzuhalten. In einer vollen U-Bahn, wenn die Menschen sich dicht aneinanderdrängen, habe ich manchmal mehr Bedenken, mich zu infizieren als bei uns im Krankenhaus.

Protokoll: Agatha Kremplewski

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