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Warum Onlineshopping nachhaltiger sein kann, als im Laden zu kaufen

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80 Prozent der Deutschen kaufen online ein. Corona wird diesen Trend noch verstärken, sagen Experten.Bild: E+ / filadendron
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Warum Onlineshopping nachhaltiger sein kann, als im Laden zu kaufen

04.08.2020, 10:1828.09.2020, 13:39
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Wenn wir uns eine neue Sonnenbrille, ein Paar Sneaker oder ein Buch kaufen möchten, haben wir in der Regel zwei Möglichkeiten: Entweder wir fahren in die Stadt, stöbern auf Flohmärkten, bei Einzelhändlern oder im Kaufhaus. Oder wir überwinden die zwei Meter zum Laptop, klicken uns online durch das weltweit verfügbare Angebot, lesen Kundenrezensionen und ordern uns das Objekt der Begierde mit ein paar Mausklicks nach Hause.

80 Prozent der Deutschen kaufen einer Bitkom-Studie zufolge zumindest hin und wieder im Internet ein, praktisch jeder, der einen Computer besitzt, shoppt damit auch online. Doch teilweise tun wir das mit äußerst schlechtem Gewissen. Wenn der Paketbote völlig verschwitzt zu uns in den fünften Stock hetzt zum Beispiel. Wenn wir mal wieder schuldbewusst beim Nachbarn klingeln, der das Paket entgegennehmen mussten. Oder wenn wir die übriggebliebenen Berge aus Plastiktüten und Pappkartons verschämt zum Mülleimer tragen.

In puncto sozialer Nachhaltigkeit schneidet Onlineshopping nicht sonderlich gut ab. Die Arbeitsbedingungen bei großen Versandhändlern wurden von Gewerkschaften in der Vergangenheit immer wieder kritisiert, die Missstände der oft über Subunternehmen angestellten Pakethändler sind ebenfalls immer wieder negativ in den Schlagzeilen. Aber wie steht es um die Ökobilanz der Päckchen, die die Paketdienste für uns quer durch die Stadt fahren?

Gar nicht so schlecht, meint Björn Asdecker, Leiter der Forschungsgruppe Retourenmanagement an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg. Darüber, ob der stationäre Handel in der Innenstadt oder das Onlineshopping die bessere CO2-Bilanz hat, gibt es viele Studien – mit ganz unterschiedlichen Ergebnissen. Alles in allem, sagt Asdecker, sind die Studien, die den Onlinehandel vorne sehen, aber in der Überzahl. "Beim Onlinehandel kann man Dinge bündeln, was in Bezug auf die CO2-Bilanz vorteilhaft ist", sagt er. "Besonders kritisch ist im stationären Handel die Frage, wie die Kunden in die Geschäfte kommen und wie die Ware in die Läden kommt."

Bewusster Konsum reduziert Emissionen

Schließlich gibt es eine Menge Variablen, die die Klimabilanz beim Einkaufen beeinflussen: Fahre ich mit dem Auto in die Innenstadt oder mit dem Fahrrad? Ordere ich Onlinekäufe gesammelt oder in vielen einzelnen Päckchen, von denen ich die Hälfte wieder zurückschicke? Werden die Produkte zentral in einer großen Lagerhalle gelagert oder in vielen kleinen? Kaufe ich nachhaltige Produkte oder konventionelle?

"Egal ob beim stationären Handel oder beim Onlineshopping: Wir haben individuell einen enormen Einfluss auf die CO2-Bilanz", sagt Asdecker. Dazu zähle nicht nur, entstandene CO2-Emissionen zu kompensieren, sondern auch, diese durch bewusste Konsumentscheidungen von vorneherein zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. "Wir sollten uns immer fragen: Brauche ich das zehnte T-Shirt? Oder reichen die neun, die ich schon im Schrank habe?"

Denn was den Onlinehandel problematisch und damit in gewisser Weise auch zum Klimakiller machen kann: Er hat es perfektioniert, Impulsbestellungen auszulösen. Er verleitet uns, Dinge zu bestellen, die wir gar nicht benötigen. Und die am Ende ungenutzt im Schrank stehen – oder direkt wieder zurückgeschickt werden. "Der Weg des Fingers zur Maus und dann zum Warenkorb ist sehr kurz, die Onlinehändler forcieren das", sagt Asdecker.

Eine Gebühr für Rücksendungen könnte ein Anreiz sein, dass wir ein wenig länger nachdenken, bevor wir den "Bestellen"-Button drücken. Der E-Commerce-Experte sagt:

"Wir führen im Hintergrund immer Kosten-Nutzen-Abwägungen durch. Wenn der Aufwand gleich null ist, reicht schon ein marginaler Nutzen, um eine Handlung zu rechtfertigen."

Überproduktion ist riesiges Problem

Was passiert, wenn dieser Aufwand minimal ist und am Ende Unmengen an Kleidern, Schuhen und Elektroartikeln wieder zurückgeschickt werden, zeigte im vergangenen Jahr eine Recherche von "Frontal 21", die von der "massenhaften" Vernichtung von Retouren berichtete – und damit eine politische Debatte über ein Verbot für Versandhändler anstieß, zurückgeschickte Artikel wegzuwerfen. 13 nagelneue Waschmaschinen vernichte sie teilweise in einer Schicht, sagte damals etwa anonym die Mitarbeiterin eines großen Versandhandels aus.

Asdecker hat es mit Kollegen in einer Studie für das Jahr 2018 genau berechnet: Jedes sechste Paket wird demnach zurückgeschickt, etwa vier Prozent der Retouren landen am Ende in der Müllpresse, rund 20 Millionen neuwertige Artikel sind das im Jahr. Dabei sind die Retouren laut Asdecker nur die Spitze des Eisbergs. Ein größeres Problem könnten die nicht verkauften Bestände sein, die durch Überproduktion entstehen. Das Problem: Dazu gibt es keinerlei Studien. "Da würde kein Unternehmen mitmachen, darüber will man nicht reden", meint Asdecker. Weiterhin sagt er:

"Aus qualitativen, nicht repräsentativen Erhebungen weiß man trotzdem, dass es hier ein riesiges Problem gibt. Zum Beispiel, dass am Ende der Verkaufssaison Dinge einfach in die Entsorgung gegeben werden, damit die Kollektionen sich nicht gegenseitig kannibalisieren."

Wenn wir weniger wahllos bestellen und damit auch weniger zurückschicken, können wir also zumindest einen kleinen Einfluss ausüben. Und es gibt noch andere Dinge, auf die wir achten können, um unseren CO2-Fußabdruck zu verringern und den Verpackungsmüll möglichst klein zu halten: Wenn wir auf Expresslieferungen verzichten, vermeiden wir, dass ein halbleeres Paketauto noch einmal extra für uns quer durch die Stadt fährt. Wenn wir Pakete persönlich entgegennehmen oder zum Paketshop liefern lassen, muss der Paketbote unsere Adresse nicht mehrfach anfahren. Und auch wenn wir bei nachhaltigen Onlineshops bestellen und uns die Ware in Mehrwegversandboxen liefern lassen oder einen CO2-neutralen Versand wählen, helfen wir der Umwelt.

Kaum Infos über Herstellung der Produkte

Gerade bei Letzterem tut sich etwas. Die meisten Onlineshops, die sich auf nachhaltige Produkte spezialisiert haben, kompensieren die entstehenden CO2-Emissionen durch den Versand längst, einige Unternehmen sind bereits komplett CO2-neutral. Und auch bei den großen Händlern gibt es Bewegung: Zalando nennt sich jetzt schon CO2-neutral, Otto will 2030 und Amazon 2040 folgen. "Wir wissen alle, dass es so nicht weitergehen kann", sagt Asdecker. Viele Onlinehändler würden allerdings nur die im eigenen Unternehmen verursachten Emissionen berücksichtigen. "Aber im Versandhandel wird viel outgesourct, der viel größere Teil der Emissionen liegt bei den Lieferanten." Wenn man das bedenke, würden sich die Unternehmen viel zu viel Zeit für ihre CO2-Neutralität lassen. "Das sind höchstens Trippelschritte in die richtige Richtung."

Neben den Lieferanten kommt es aber auch auf die Kunden an. Sind sie bereit, für eine emissionsfreie Lieferung mehr zu zahlen? Einer Yougov-Umfrage zufolge legen 60 Prozent der Deutschen Wert auf ökologische und soziale Nachhaltigkeit beim Online-Einkauf, ganze 86 Prozent würden einen umweltfreundlichen Versand dem herkömmlichen vorziehen. Aber: Nur jeder Fünfte ist bereit, dafür auch mehr Geld in die Hand zu nehmen.

Asdecker sagt: Mehr als auf die CO2-Kompensation der Lieferung kommt es ohnehin auf das Produkt an, das bestellt wird – und wie es hergestellt wurde. Bislang gibt es darüber nur kaum Informationen, bemängelt der E-Commerce-Experte.

"Ich sehe die Versandhändler in der Verantwortung, Kunden in ihrer Kaufentscheidung zu unterstützen. Derzeit wissen sie nicht, wie hoch der CO2-Abdruck der einzelnen Produkte ist, oder der Wasserverbrauch, welche sozialen Standards eingehalten wurden. Das muss sich ändern."

Jeder muss seinen Beitrag leisten

Einen ersten Vorstoß wagte hier der Online-Shop Galaxus, der zuletzt groß ankündigte, ein neues CO2-Kompensationsmodell für das gesamte Sortiment einzuführen. Wer sich dort für einen Grill, ein Smartphone oder ein Nagelpflege-Set entscheidet, erfährt am Ende, wie viel er zusätzlich bezahlen muss, um die bei der Herstellung und dem Transport entstandenen CO2-Emissionen zu kompensieren. Bei einem Smartphone wären das etwa 2,34 Euro, bei einer Handyhülle 10 Cent. Der Onlinehändler verweist dazu auf eine Umfrage, wonach zwei Drittel der Verbraucher bereit sind, ein bis fünf Prozent des Kaufpreises zusätzlich für den Ausgleich zu bezahlen. Bei der Generation Z, den unter 25-Jährigen, würden demnach sogar 80 Prozent eine Kompensation begrüßen.

Wie der Betrag für die Kompensation der Produkte genau zustande kommt? Auf Anfrage verweist Galaxus auf ein eher undurchsichtiges Berechnungsmodell. "Es besteht die große Gefahr, dass Kunden ein solches Verfahren als intransparenten Ablasshandel sehen", sagt Asdecker. "Das schadet der Sache eher." In Zukunft, glaubt er, werden die Kunden aber an der CO2-Kompensation nicht vorbeikommen – "weil sich einfach niemand vor dem Problem verstecken kann und man einfach seinen individuellen Beitrag leisten muss". Denn am Onlinehandel werden wir mit Sicherheit nicht mehr vorbeikommen. Das ist nicht erst seit Corona klar.

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