Jupp Heynckes genießt seinen Ruhestand. Dennoch ist der ehemalige Bundesliga-Trainer wenige Tage vor seinem 75. Geburtstag "immer im Unruhezustand". Das hat er in einem Interview mit der Zeitung "Welt am Sonntag" ("WamS") erklärt. Heynckes könne sich gut beschäftigen: "Langeweile habe ich überhaupt nicht. Der Tag hat eigentlich zu wenig Stunden."
Und doch hat Bayerns Triple-Trainer Zeit gefunden, gleich zweimal ausführlich Rede und Antwort zu stehen – nicht nur der "WamS", sondern auch dem "Kicker" vom Montag.
Angesichts der Corona-Krise rät Heynckes den Klubs auf bestehendes Personal zu setzen. Der Fußball dürfe "nicht nur an den Profit denken", sagte er im Gespräch mit dem Fachmagazin "Kicker". "Ich würde auf junge Spieler setzen, wie Bayern-Sportdirektor Hasan Salihamidzic jüngst sagte." Ganz große Transfers, wie sie Salihamidzic eine Woche zuvor in der "WamS" ankündigte, würde er jedoch ausschließen.
Auch große Klubs würden wegen der Virus-Krise "wirtschaftliche Probleme bekommen", sagte der frühere Nationalspieler Heynckes dem "Kicker" weiter. "Deshalb würde ich als Verantwortlicher lieber meine Spieler halten, statt teure Stars zu holen. Sicher müsste ein Kai Havertz in der Bundesliga bleiben, aber nicht für einen utopischen Preis, das wäre nicht zu verantworten. Grundsätzlich war die bisherige Entwicklung im Fußball sowieso unmoralisch", ergänzte Heynckes.
Das betrifft auch die immer weiter steigenden Ablösesummen in der Branche. Was Nationalspieler Leroy Sané betrifft, der auf der Bayern-Wunschliste aktuell ganz oben stehen soll, ist der Ex-Trainer nicht sicher, ob man für ihn kolportierte 100 Millionen Euro ausgeben sollte: "Ich sage Ihnen auch ganz ehrlich, dass ich den Preis nicht für gerechtfertigt halte", sagte Heynckes der "WamS".
Vor seiner Verletzung sei Sané gut in Schwung gewesen, aber: "Für mich hat er noch nicht den Durchbruch zu einem absoluten Top-Spieler geschafft. Das ist ein Spieler, denke ich, der gerade am Scheideweg ist. Wird er weiter hart an sich arbeiten oder wird er weiterhin nur ein ganz außergewöhnliches Talent sein." Sané müsse bereit dafür sein, "den nächsten großen Schritt zu gehen, denn es nutzt nichts, das Talent ab und zu mal aufblitzen zu lassen."
Große Stücke hingegen hält Heynckes auf Oliver Kahn, der seit Anfang des Jahres Vorstandsmitglied beim FC Bayern ist und dort künftig den Posten von Karl-Heinz Rummenigge übernehmen wird.
Kahn sei ein Gewinn für den Klub: "Denn alles, was er als Spieler vorgelebt hat, den Siegeswillen, diese absolute Professionalität, das bringt er jetzt bei den Bayern wieder mit ein. Davon bin ich überzeugt." Oliver Kahn sei immer seinen Weg gegangen, "auch nach der Karriere als Spieler mit dem Studium und anderen Tätigkeiten. Er hat so viel Erfahrung und hat auf dem höchsten Niveau gespielt."
Heynckes ist sicher, dass Kahn der richtige Mann ist, "das haben die Mitglieder auch auf der letzten Jahreshauptversammlung demonstriert".
Zu einer möglichen Wiederaufnahme der Bundesliga mit Geisterspielen hat Heynckes eine klare Haltung. Die Vereine müssten hoffen, dass die Saison ohne Zuschauer zu Ende gespielt werden könne, "auch wenn Fußball ohne Zuschauer fürchterlich ist", sagte er dem "Kicker". "Aber es gibt keine andere Lösung, damit die Klubs bis Sommer über die Runden kommen. Und dann müssen die Vereins-Verantwortlichen begreifen, dass sie möglicherweise die kommende komplette Saison weiter ohne Publikum spielen werden."
(as/mit Material vom sid)