Sieben WM-Titel, 91 Grand-Prix-Siege, eine Ära mit Ferrari. Rekordweltmeister Michael Schumacher hat die Formel 1 geprägt, sein Name wird immer einer der größten bleiben.
Mick Schumacher will kommende Saison in die Fußstapfen seines Vaters treten – und natürlich auch in die seines Onkels. Denn bei all den Erfolgen von Papa Michael geht fast unter, dass auch dessen jüngerer Bruder den Familiennamen sehr würdig vertrat: Ralf Schumacher zeigte in elf Jahren Königsklasse ebenfalls beachtliches Talent, besonders in seiner Zeit bei Williams war er regelmäßiger Gast auf dem Podium und gewann sechs Rennen.
30 Jahre nach dem Debüt seines Vaters wird nun Mick Schumacher im kommenden Jahr in die Königsklasse des Motorsports aufrücken und für das Haas-Team fahren.
Mick Schumachers Talent ist groß, das zeigte er bereits in der Formel 2 und Formel 3. Groß sind auch die Erwartungen an den 21-Jährigen mit dem berühmten Familiennamen. Die Fans, vor allem die deutschen, warten seit langer Zeit auf den Moment, in dem zum ersten Mal nach acht Jahren in der Formel 1 wieder ein Schumacher seine Runden dreht.
Manche Rennsport-Experten glauben, dass die Rennserie Mick Schumacher und vor allem dessen Namen für ihr Prestige brauche, das schon mal besser war. Andere warnen allerdings auch davor, dass dies zu viel Druck beim Talent erzeugen könnte.
Darüber haben wir mit einer Sportpsychologin gesprochen. Auch wenn solche Ferndiagnosen immer schwierig sind, wollten wir versuchen, Antworten zu finden.
watson: Was bedeutet es aus sportpsychologischer Sicht für einen jungen Leistungssportler, in diesem Fall Rennfahrer Mick Schumacher, einen weltberühmten Vater und einen so prominenten Nachnamen zu haben?
Valeria Eckardt: Das kann sowohl positiv als auch negativ sein. Es ist schwierig, die Frage auf ein konkretes Beispiel zu beziehen. Da kann ich im speziellen Fall von Mick Schumacher natürlich nur spekulieren. Allgemein lässt sich sagen: Er kennt vielleicht keine andere Realität, er ist die mediale Aufmerksamkeit durch seinen Vater wahrscheinlich ein Stück weit gewohnt. Und auch während seiner sportlichen Entwicklung in den vergangenen Jahren, zuletzt in der Formel 2, waren die Augen natürlich besonders auf ihn gerichtet, weil er eben der Sohn von Michael Schumacher ist. Das kann ihm bereits Erfahrungen mit und Sicherheit in herausfordernden Situationen sowie medialer Präsenz gegeben haben. Das kann aber genauso gut zu Druck oder hohen Leistungserwartungen beigetragen haben. Es ist häufig persönlichkeits- und situationsabhängig.
Interessant in diesem Zusammenhang ist, dass Mick Schumacher seine ersten Kartrennen als Neunjähriger noch unter dem Namen Mick Betsch fuhr – dem Mädchennamen seiner Mutter Corinna –, um die Öffentlichkeit nicht so früh auf sich aufmerksam zu machen. Später fuhr er als Mick Junior. Wie schätzt du das ein?
Das Verhalten könnte der Theorie nach eine Art Schutzhandlung der Eltern gewesen sein. Dass er unter anderen Namen fuhr, kann aber genauso gut zeigen, dass Mick selbst schon früh in der Karriere seinen eigenen Weg finden und sich einen eigenen Namen über eigene Erfolge machen wollte. Und eben nicht als der Sohn von Michael Schumacher. Aus psychologischer Sicht fiele das unter das Stichwort Autonomie, eines unserer drei Grundbedürfnisse: Für Kinder ist es wichtig, autonom zu sein, eigene Entscheidungen treffen zu können, sich von den Eltern abzulösen und Wahlmöglichkeiten zu haben. Man kann das Verhalten aus psychologischer Sicht als Identitätsentwicklung und Festigung des eigenen Charakters sehen.
Mick Schumacher fährt nun längst unter seinem echten Namen. Er hat auch oft betont, dass er seinen eigenen Weg gehen will, seine eigenen Erfolge schaffen will. Aber wie schwierig ist es für einen Sportler, wenn der prominente Nachname Vergleiche fast unmöglich macht?
Klar, der Name wird erstmal im Kontext Motorsport immer mit der Familie und den Leistungen der Schumachers assoziiert und wahrscheinlich oft verglichen werden. Wenn Mick auf einer Strecke fährt, auf der Michael Schumacher außergewöhnliche Erfolge gefeiert hat, zum Beispiel. Irgendwann aber, wenn sich Mick Schumacher eine eigene Formel-1-Karriere aufgebaut hat, wird er sich von derartigen Vergleichen ablösen können, vermute ich. Das ist für mich weniger eine psychologische Frage.
Eher eine Frage der Berichterstattung?
Genau. Und eine Frage von Zuschreibungen von außen. Wie er dann mit diesen Vergleichen umgeht, liegt ausschließlich an ihm. Aus Studien wissen wir, dass es gesünder ist, wenn Sportler ihre Leistungen auf sich selbst beziehen und beispielsweise überprüfen, inwiefern sie sich im Vergleich zum vergangenen Wettkampf verbessert haben. Diese Sportler können häufig auch stressige Situationen besser bewältigen als jene, die ihre eigene Leistung ständig in Bezug zur Leistung von anderen setzen. Letztlich liegt es aber auch in der Natur des Sports, sich mit anderen zu vergleichen.
Ein Pay-TV-Sender, der ab 2021 die Formel-1-Rechte hält, macht seit Bekanntgabe des Wechsels von Mick in die Königsklasse bereits Werbung mit ihm, spricht schon vom "Held einer neuen Generation". Wie geht man als junger Leistungssportler damit um, wenn der Hype schon da ist, bevor die ganz große Karriere losgeht?
Seine Karriere hat ja eigentlich schon längst begonnen. In der Formel 1 beginnt sicherlich ein neues, großes Kapitel für ihn. Aber er war auch im Jugendalter bereits im Leistungssportbereich. Er ist in der Formel 3 gefahren, und jetzt führt er die Gesamtwertung in der Formel 2 an. Er kennt die Anforderungen, kann auf Routinen zurückgreifen. Das gibt erstmal viel Selbstvertrauen.
Kann hoher Druck von außen auch von Vorteil sein und motivieren?
Ja. Da ist aber jeder Sportler in seinen Wahrnehmungen und Bedürfnissen unterschiedlich. Jeder hat eine individuelle Zone, in der er Spitzenleistungen abrufen kann, und dafür braucht es ein gewisses Maß an Aktivierung. Wenn diese Aktivierung oder Anspannung, beispielsweise durch Druck von außen, zu hoch ist, kann die sportliche Leistung möglicherweise nicht optimal abgerufen werden.
Da Du in der Sportpsychologie auch Eltern-Kind-Forschung betreibst: Welche besondere Rolle spielen die Eltern generell bei Kindern und Jugendlichen, die auf dem Weg sind, Leistungssportler zu werden?
Sie spielen eine zentrale Rolle im Leistungssport von Kindern und Jugendlichen. Studien haben generell gezeigt, dass sich die emotionale Unterstützung der Eltern positiv auf das psychische Wohlbefinden auswirken sowie zu großem Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten führen kann und damit letztlich auch die sportliche Leistung positiv beeinflusst. Eltern unterstützen finanziell, sie stellen Equipment bereit, organisieren Fahrten zu Trainings und Wettkämpfen.
Und unterstützen emotional.
Ja, sie feuern an, sie trösten nach Niederlagen. Als Vorbilder können Eltern das sportliche Verhalten von Kindern beeinflussen, sie an den jeweiligen Sport heranführen, so war es sicherlich auch bei Mick Schumacher. Und Eltern sind diejenigen, die den Kindern am Anfang beibringen, was Erfolg innerhalb der Familie bedeutet: Bin ich nur erfolgreich, wenn ich gewonnen habe, oder bin ich schon erfolgreich, wenn ich mein Bestes gegeben habe?
Familiärer Rückhalt ist also entscheidend...
Genau. offenbar war und ist das auch bei Mick Schumacher der Fall. Aus meiner Perspektive wirkt es jedenfalls sehr positiv, dass er immer betont, wie viel Unterstützung er aus seinem sozialen und familiären Umfeld bekommt. Von seiner Mutter zum Beispiel. Das kann ein wichtiger Schutzfaktor sein. Allerdings muss man an dieser Stelle natürlich betonen, dass Mick Schumacher kein Kind oder Jugendlicher mehr ist, sondern ein 21-jähriger selbständiger, junger Erwachsener.
Als er noch ein Kind war, war sein Vater Micks größtes Idol, so heißt es. Kann ein Elternteil als Vorbild Potentiale bei einem Sportler freisetzen, wenn er seine eigene Karriere aufnimmt, oder blockiert so etwas eher?
Aus sportpsychologischer Sicht ist das eine Frage der Situationsbewertung, wie der Nachwuchs damit umgeht. Bewertet er es für seine eigene Leistung als Gefahr oder als Herausforderung, dass sein Vater in diesem Beispiel ein berühmter Formel-1-Pilot ist? Wenn er es als Gefahr bewertet, könnte es Stress auslösen. Aber nur, wenn er gleichzeitig davon überzeugt ist, dass seine Fähigkeiten nicht ausreichen, diese Situation zu bewältigen. Wenn er es dagegen als Herausforderung begreift, könnte es inspirieren und seine Motivation und Leistung und damit möglicherweise seinen Erfolg befördern.
(as)