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Löw-Rücktritt: Experte verrät, warum es deshalb eine erfolgreiche EM werden kann

Joachim Loew: Nach der Fu
Jogi Löw verlässt den DFB nach der Europameisterschaft im Sommer.Bild: www.imago-images.de / Elmar Kremser/SVEN SIMON
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Löw-Rücktritt: Experte verrät, wie die Ankündigung für eine erfolgreiche EM sorgen kann

10.03.2021, 18:0011.03.2021, 09:58
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Mit seinem angekündigten Rücktritt nach der Europameisterschaft in diesem Sommer überraschte Bundestrainer Joachim Löw gestern die Fußballwelt. Die Spekulationen über seinen möglichen Nachfolger laufen bereits auf Hochtouren, doch Löw hat noch ein großes Ziel vor Augen: den EM-Titel.

Im Interview mit watson verrät Markenexperte Christopher Spall, warum der Zeitpunkt der Ankündigung perfekt ausgewählt war, wie der Rückzug die Europameisterschaft der deutschen Mannschaft beeinflussen wird und worauf der DFB bei der Suche eines Nachfolgers unbedingt achten muss.

Spall führt eine Beratungsagentur für Markenidentität, arbeitete als Marketingleiter bei der Commerzbank und beriet Unternehmen wie Rewe.

watson: Herr Spall, die Meldung, dass Jogi Löw nun seinen Rücktritt vor der EM ankündigt, kam überraschend. Bei näherer Betrachtung scheint die Entscheidung aber wohlüberlegt und terminiert zu sein, oder?

Christopher Spall: Das ist ein cleverer Zeitpunkt. Denn es gibt nur zwei Ausstiegsszenarien, bei denen er sein Gesicht wahrt und erhobenen Hauptes den Platz verlassen kann.

Welche Szenarien sind das?

Der eine Pfad ist der, den er jetzt eingeschlagen hat: weit vor dem Turnier aus eigenem Antrieb mit klarer Haltung den Rückzug anzukündigen.

Und das andere Szenario?

Das zweite Szenario endet mit dem EM-Titel. Die Rücktritts-Verkündung mit diesem Ausgang zu verbinden, wäre allerdings höchst spekulativ. Dass er mit dem EM-Titel aufhört, aber darauf zu setzen wäre nicht clever gewesen. Die deutsche Mannschaft strotzt derzeit nicht gerade vor Selbstbewusstsein und spielt bei der EM zudem in einer Gruppe mit Weltmeister Frankreich und Europameister Portugal. Gut möglich, dass frühzeitig Feierabend für Jogis Mannschaft ist. Auf dieses Szenario zu setzen, wäre deshalb mutig.

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Marken-Experte Christopher Spallbild: spall.macht.marke

Wie wird sich der angekündigte Rücktritt auf die Marke Jogi Löw auswirken?

Kurzfristig neutral. Mittel- bis langfristig klar positiv. Wir sehen bei seinem Verhalten das Muster einer starken Marke, weil er selbstbestimmt entscheidet. Jetzt werden Stimmen überwiegen, die sagen, dass es überfällig gewesen sei und sowieso zu spät. Aber der gute Ruf ist immer eine Zeitpunktbetrachtung. Wenn wir in drei Jahren darauf schauen, wird man diesen Schritt als Glücksgriff für Löw selbst einordnen. Die Marke Jogi Löw hatte immer Auf und Abs. Nach der WM 2014 hatte sie ihren Höhepunkt, im Sommer 2018 einen Tiefpunkt und im November 2020 nochmal einen Tiefpunkt.

Zahlreiche Fans und Kritiker forderten nach dem 0:6 gegen Spanien im vergangenen November bereits seinen Rücktritt.

Nach dem Spiel in Sevilla war ein Ausstieg aus eigenem Antrieb unmöglich, da wäre nur ein Rauswurf möglich gewesen. Mit so einer Niederlage wollte Jogi Löw aber nicht von Bord gehen. Der nächstmögliche und gleichzeitig auch letzte Zeitpunkt ist jetzt. Jetzt hat er noch die Möglichkeit, die Reißleine selbst zu ziehen, ohne die eigene Reputation zu beschädigen. Diese Chance hat er genutzt. Seine Entscheidung unterstreicht auch seine Grundhaltung als Trainer und Mensch, sich nicht von Außen beeinflussen zu lassen, sondern aus eigener Überzeugung zu agieren.

"Aus Markensicht ist 'Die Mannschaft' ruiniert. Sie rangiert zwischen Überkommerzialisierung und Überflüssigkeit."

Welche Möglichkeiten bietet der Löw-Rücktritt denn im Hinblick auf die Europameisterschaft?

Er hat ein bisschen weniger Druck für sein letztes Turnier im Sommer, denn der Fokus liegt nun auf der Nachfolgersuche. Jetzt steht nicht mehr die Kritik an seiner Person im Mittelpunkt und die Frage, ob er Thomas Müller wieder beruft. Die Aufmerksamkeit liegt auf den Zukunftsfragen: "Wie geht es nach der EM weiter und mit welchem Trainer?" Das gibt ihm Raum, das Turnier mit etwas mehr Ruhe zu bestreiten.

Wenn man sich die Reaktionen in den sozialen Netzwerken angeschaut hat, sah man bei den Fans auch eine gewisse Erleichterung über seinen Abschied.

Man hatte das Gefühl, dass allen ein Stein vom Herzen fällt. Es bringt ihm aber auch nochmal einen Vertrauensvorschuss der Fans, denn alle drücken ihm jetzt die Daumen. Jeder wünscht sich, dass er mit dem EM-Titel einen guten Abgang bekommt. Auch das Team wird zusätzlich motiviert sein, um seinem Trainer einen erfolgreichen Abschied zu bereiten. Durch seine frühe Entscheidung hat er sich in diese Position gebracht.

Das Interesse der Fans an der Nationalmannschaft lässt seit dem WM-Triumph 2014 und der vom DFB eingetragenen Marke "Die Mannschaft" aber stark nach.

Das stimmt. "Die Mannschaft" hat seitdem ihren Ruf wirklich nicht verbessert. Aus Markensicht ist "Die Mannschaft" beschädigt. Sie rangiert zwischen Überkommerzialisierung und Überflüssigkeit.

Wie können die Verantwortlichen das wieder ändern?

Es braucht Identifikation mit der Mannschaft und eine Persönlichkeit, die diese Aufbruchstimmung entfachen kann. Ich glaube, Joachim Löw konnte diese Person nicht mehr sein. Es braucht einen neuen Impuls von außen. Jetzt geht es darum, die Marke "Die Mannschaft" neu in die Köpfe und Herzen der Menschen zu bekommen. Das beginnt beim Trainer und hängt damit zusammen, wer nominiert wird. Da hatten wir in den letzten Jahren damit zu kämpfen, dass häufig neue Gesichter dabei waren. Gerade für Nicht-Fußball-Kenner war es schwierig, sich zu identifizieren, wenn ständig neue Leute dabei sind.

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Als Direktor der Nationalmannschaft muss Oliver Bierhoff einen Nachfolger für Löw finden.Bild: www.imago-images.de / Laci Perenyi

Also ist Identifikation wichtiger als fußballerische Kompetenz?

Nein, das ist natürlich die Eintrittskarte. Aber es geht nicht darum, einzig den besten Trainer zu finden, sondern jemanden, der Identifikation und Begeisterungsfähigkeit für die Leute spürbar macht. Der Hebel für einen Aufbruch ist immer Identifikationsstärke.

Ist deswegen der Ruf nach Jürgen Klopp so laut?

Genau. Die Leute wünschen wieder mehr Nähe zur Nationalmannschaft, die ihr Land und sich selbst repräsentiert. Da ist Jürgen Klopp die Trainerpersönlichkeit mit der größten Strahlkraft und der größten Volksnähe.

"Für den Verband bietet sich die Chance, sich zurückzuziehen und darauf zu besinnen, was die gemeinsame DNA jenseits der Unterschiede ist. Eine gute Gelegenheit die Rolle des DFB und des Fußballs insgesamt in einer durch Corona veränderten Welt zu definieren."

Nun hat er auf einer Pressekonferenz am Dienstag bereits gesagt, dass er nicht zur Verfügung steht. Als ein weiterer Top-Kandidat gilt Ralf Rangnick.

Er wäre aus Fußball-fachlicher Sicht die optimale Lösung, aber ich bezweifle, dass er die Persönlichkeit ist, die Fußball-Deutschland jetzt braucht. Mit der klugen Entscheidung bei der Nachfolgersuche kann der DFB die eigene Wahrnehmung in ein positives Licht rücken.

Diese Wahrnehmung ist aktuell vor allem von den internen Machtkämpfen zwischen Präsident Fritz Keller und Generalsekretär Friedrich Curtius und Steueraffären geprägt.

Richtig. Für den DFB kann der Löw-Abschied aber auch sehr heilsam sein, denn er hat jetzt ein Jahr Ruhe. Die Aufmerksamkeit liegt bis zum Sommer auf der Europameisterschaft und der Mannschaft. Ab Juli bis zum Winter wird es um den neuen Coach und das neue Team gehen. Für den Verband bietet sich die Chance, sich zurückzuziehen und darauf zu besinnen, was die gemeinsame DNA jenseits der Unterschiede ist. Eine gute Gelegenheit die Rolle des DFB und des Fußballs insgesamt in einer durch Corona veränderten Welt zu definieren.

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