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Unvergessen

Gladbach - BVB: Höchster Sieg der Bundesliga-Geschichte nutzte niemanden

Zwölf schmerzhafte Tore für jeden BVB-Fan.
Zwölf schmerzhafte Tore für jeden BVB-Fan.Bild: imago sportfotodienst
Unvergessen

Gladbach fügt Dortmund Rekord-Niederlage zu – und verliert trotzdem

29.04.2019, 21:24
Quentin Aeberli / watson.ch
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In der Serie "Unvergessen" blicken wir jeweils am Jahrestag auf ein großes Ereignis der Sportgeschichte zurück: Ob hervorragende Leistung, bewegendes Drama oder witzige Anekdote – alles ist dabei. Heute: Der 29. April 1978. Beim Borussen-Duell zwischen Mönchengladbach und Dortmund brechen alle Dämme. Gleich mit 12:0 fegen die Gladbacher ihren Gegner vom Platz. Damit liegen die Fohlen gleichauf mit dem Tabellenführer aus Köln. Meister werden sie trotzdem nicht.

Borussia Mönchengladbach und der 1. FC Köln starten mit gleich vielen Punkten in die letzte Meisterschaftsrunde. Die Ausgangslage scheint ausgeglichen, doch stehen die Anzeichen eines Kölner Triumphs wesentlich besser. Die Geißböcke treffen auf den Tabellenletzten St.Pauli und weisen vor dem Spiel ein um zehn Treffer besseres Torverhältnis auf.

Bei einem Kölner 1:0-Sieg bräuchte Gladbach, das zuhause auf Dortmund trifft, also einen 11:0-Erfolg. Wie sich eine solch scheinbar unmögliche Ausgangslage auf ein Spiel auswirken kann, zeigen die letzten 90 Minuten der Bundesliga-Saison 1977/78.

Jupp Heynckes(hier gegen Amand Theis) drehte mit fünf Toren nochmals auf.
Jupp Heynckes(hier gegen Amand Theis) drehte mit fünf Toren nochmals auf. Bild: imago sportfotodienst

Um 15.30 Uhr stehen zwei Teams auf dem Rasen des Düsseldorfer Rheinstadions, deren Vorgeschichte nicht unterschiedlicher sein könnte. Auf Seiten der Fohlen, die wegen der nur noch sehr minimalen Titelchancen völlig unbekümmert aufspielen können, kommt es zu einem Abschiedsspiel. Jupp Heynckes läuft nach 225 Spielen und 163 Toren zum letzten Mal im Dress der Gladbacher auf und er ist gewillt, für einen würdigen Schlusspunkt seiner erfolgreichen Karriere zu sorgen.

Auf der anderen Seite die Borussen aus Dortmund, welche den Ligaerhalt geschafft haben und außer Ruhm und Ehre nichts mehr zu gewinnen haben. Als der erste Pfiff des Schiedsrichters ertönt, beginnt eine Zerstücklung des Gegners, wie es die Bundesliga noch nie gesehen hat und wohl bis lange in die Zukunft nicht mehr sehen wird.

27 Sekunden bis zum ersten Tor

Es dauert ganze 27 Sekunden, da zappelt der Ball bereits das erste Mal hinter Dortmunds Goalie Peter Endrulat; Jupp Heynckes köpft ein.

Und weil die Gäste am liebsten in den Kabinen geblieben und ein Bier getrunken hätten, steht es nach 45 Minuten bereits 6:0 für die Gastgeber. Wird der 29. April 1978 zum Wunder von Mönchengladbach? Ein Schwenker zum Konkurrenten aus Köln lässt den Traum am Leben. Im Stadion von St.Pauli steht es erst 1:0 für Köln.

BVB-Torwart Peter Endrulat und seine Kollegen Amand Theis (links) und Hans Joachim Wagner mussten sich das Debakel aus der ersten Reihe anschauen.
BVB-Torwart Peter Endrulat und seine Kollegen Amand Theis (links) und Hans Joachim Wagner mussten sich das Debakel aus der ersten Reihe anschauen.Bild: imago sportfotodienst

BVB-Trainer Otto Rehhagel will reagieren und pfeift Siggi Held – den er überraschenderweise nur auf die Bank setzte – zu sich. Held erinnerte sich Jahre später für "11 Freunde" an die Situation: "Allen war klar, dass wir gegen diese Gladbacher keine Chance mehr haben werden. Ich habe Otto nur angeguckt und aus Flachs gekontert: 'Soll ich das Spiel etwa noch drehen?'" Rehhagel habe kurz nachgedacht und dann geantwortet: "Du hast recht. Setz dich wieder hin." Weder Held noch ein anderer Spieler wird eingewechselt: "Die armen Jungs aus der Startelf mussten durchspielen", erzählt Held.

Höchster Bundesliga-Sieg der Geschichte

Dafür ist es wieder Heynckes, der das muntere Toreschießen in Halbzeit 2 eröffnet. Dortmund dagegen scheint uninspiriert wie Held und will weder seinen Ruhm noch seine Ehre verteidigen. Die Spieler scheinen schon in den Ferien zu sein – fünf Tore später geht ihr Wunsch in Erfüllung. 12:0, Schluss und fertig. Am Ende habe gar der Schiedsrichter die Bälle aus dem Netz holen müssen, weil Dortmunds Torhüter nicht mehr wollte.

Alle Tore des Spiels:

Das Fohlen-Team von Trainer Udo Lattek brachte es dagegen mit diesem Kraftakt fertig, mit dem höchsten Bundesliga-Sieg der Geschichte die Meisterschaft bis zur 90. Minute spannend zu halten. Und Jupp Heynckes verabschiedete sich eines Meisters würdig mit fünf Toren vom aktiven Fußball. Für die Dortmund-Spieler kam laut Held das Schlimmste aber noch: "Wir mussten in den folgenden Wochen für einige Testspiele über die Dorfplätze tingeln. Was wir uns da alles anhören mussten, war aber fast noch schlimmer als diese Niederlage gegen Gladbach."

Die höchsten Bundesliga-Siege
29.04.1978: Gladbach – Dortmund 12:0
07.01.1967: Gladbach – Schalke 11:0
06.11.1982: Dortmund – Bielefeld 11:1
27.11.1971: Bayern – Dortmund 11:1
11.10.1984: Gladbach – Braunschweig 10:0
04.11.1967: Gladbach – Neunkirchen 10:0

Die Konsequenzen der Torflut

Nur hatte es das Schicksal mit den aufopfernden Fohlen nicht gut gemeint: St. Pauli konnte die nötige Schützenhilfe nicht leisten. Die schlechteste Defensive der Liga kassierte von Köln fünf Eier, was den dritten Meistertitel der Kölner zur Folge hatte. Punkte wiesen die Tabellenführer zwar gleich viele auf, doch bei Kölns Torverhältnis erschien ein +45, bei Mönchengladbach ein +42.

Der Meistertitel war lange nicht die einzige Konsequenz, welche die letzte Bundesliga-Runde mit sich trug. Nach der kapitalen Leistung von Dortmund leitete der Deutsche Fußball-Bund Untersuchungen wegen Manipulationsverdacht ein. Doch diese blieben erfolglos und die Verschwörungen eines Wettskandals verstummten bald. Trotzdem war im Nachhinein Gladbachs 6:0-Torschütze Herbert "Hacki" Wimmer "froh, dass wir nicht Meister wurden".

Auch bei Dortmund sorgte die Blamage trotz Ligaerhalt für Wechsel. Trainer Otto Rehhagel wurde entlassen und der bedauernswerte Torhüter Endrulat – der eigentlich alles hielt, was auf seinen Kasten kam – büßte für die Nachlässigkeit seiner Vorderleute, indem er keinen weiteren Vertrag mehr erhielt.

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